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Ausgabe:

1995

Spalte:

344-346

Kategorie:

Neues Testament

Autor/Hrsg.:

Wick, Peter

Titel/Untertitel:

Der Philipperbrief 1995

Rezensent:

Schenk, Wolfgang

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343

Theologische Literaturzeitung 120. Jahrgang 1995 Nr. 4

344

Luz, Ulrich: Die Jesusgeschichte des Matthäus. Neukirchen-
Vluyn: Neukirchener Verlag 1993. 181 S. 8«. Kart. DM 38,-.
ISBN 3-7887-1445-X.

U. Luz, der Autor des auf vier Bände angelegten Kommentars
zum Matthäusevangelium in der Reihe EKK, legt hier die Er-
gebnise seiner Arbeit am Matthäusevangelium vor. Er wählt
dazu eine Mischform zwischen nacherzählender Deutung des
Evangeliums und mehr systematischen Abschnitten.

Die Deutung der matthäischen Jesusgeschichte beginnt mit
dem Prolog, der nach L. Mt 1,1-4,22 umfaßt und einen echten
Prolog darstellt, weil hier die Themen, die im weiteren Verlauf
des Evangeliums große Bedeutung gewinnen werden, anklingen
, nämlich die Verwerfung Jesu durch Israel und das sich daraus
ergebende Licht für die Heiden, das Gott-Mit-Uns-Thema
als Grundmotiv des Evangeliums und dessen narrative Christo-
logie. Für L. ist dieser Prolog zugleich Vorwegnahme des Weges
Jesu und des Weges der aachösterlichen Gemeinde, gilt
doch für Matthäus: „Was in der Jesusgeschichte geschehen ist,
geschieht in ihrem (sc. der Gemeinde) Leben erneut und umgekehrt
: Was in ihrer Gegenwart geschieht, hat in der Jesusgeschichte
seinen Grund." Die im Prolog besonders häufig begegnenden
Erfüllungszitate weisen zwar Matthäus selbst nicht als
Schriftgelehrten aus, zeigen aber seine Nähe zu solchen und daß
die christliche Gemeinde genauso wie die Synagoge das Erbe
Israels für sich beanspruchte.

Der Abschnitt über die Bergpredigt geht u.a. der Frage der
Adressaten und dem Verständnis von Gericht und Gnade bei
Matthäus nach. Als Adressaten der Bergpredigt werden die dem
Matthäus gegenwärtigen Leser und Leserinnen ausgemacht,
wie auch die Geschichte Jesu im Matthäusevangelium die Geschichte
der matthäischen Gemeinde spiegelt. L. versteht die
Bergpredigt weder als bloßen Zuspruch noch als bloße Forderung
, sondern als Bewegung, die Gott fordern, den Menschen
aber in seiner Forderung auch seine Zusagen erfahren läßt. Die
jüdischen Gesetze gelten weiter, sind aber dem Liebesgebot als
Entscheidungskriterium untergeordnet; die Bergpredigt bietet
exemplarische Ethik, die Jesus aufgrund seiner Kenntnis des
Gotteswillens letztgültig auslegen kann. Im Gericht wird die
Erfüllung dieses Gotteswillens und nicht die Zugehörigkeit zur
Gemeinde entscheidend sein. Auch in dem Wunderabschnill Mt
8.1-1 1,30 spiegeln sich Geschichte Jesu und Erfahrungen der
Gemeinde. Mt will mit seiner Darstellung die Anlagerung eigener
Assoziationen möglich machen. In diesem Sinne gibt es nur
eine Art von falschen Deutungen, nämlich die, die eigene
Erfahrungen mit Jesus ausklammert. „Jüngerschaft heißt: dem
Leben Christi konform werden, sein Modell übernehmen."

Die aus Israel sich herausbildende Jüngergemeinschaft behandelt
Mt 12,1-16,20. Hier wird die matthäische Bearbeitung
des Konfliktes Jesu mit den jüdischen Oberen dargestellt und
die sowohl heilsgeschichtliche als auch paränetische Deutung
der Gleichnisse bei Matthäus auf Jesus zurückgeführt sowie die
Kirche als Lern- und von der machtvollen Gegenwart Jesu geprägte
Erfahrungsgemeinschaft gezeichnet, die allerdings der
Bewährung bedarf.

In 16,21-20,34 steht die Belehrung der Jünger im Vordergrund
, vor allen Dingen über die Notwendigkeit des Leidens, der
freilich Erfahrungen der Osterherrlichkeit gegenüberstehen.
Erste innergemeindliche Probleme werden sichtbar und mit Hille
der Kirchenzucht, also ohne Amtsträger, gelöst, wenn auch sonst
die unbegrenzte Vergebung gefordert wird. Matthäus fordert
Vollkommenheit, zu der auch der Verzicht auf Besitz gehört.

Mt 21,1-25,46 beinhaltet die Abrechnung mit Israel und das
Gericht über die Gemeinde. Hier wird die Überlegenheit Jesu
im Geist über seine Gegner dargestellt, gleichzeitig aber auch
der Gegensatz zu den Pharisäern in einer die eigene Identität
stabilisierenden, nicht als faire Darstellung der Gegner zu kennzeichnenden
Rede betont, die in der Ablehnung Jesu durch Israel
ihren Grund hat. „Die schroffe Gerichtstheologie ist für Matthäus
und seine Gemeinde eine Folge ihrer Christologie." Das
Mt.-Ev. betont das Gericht, zugleich aber auch, daß die Christen
den Richter kennen und er ihr Herr ist. Auffällig ist, vor
allem auf dem Hintergrund der Verkündigung früherer Jahrhunderte
, daß L. den Gedanken des Gerichts nach den Werken mit
dem Gott Jesu von Na/.areth für theologisch unvereinbar hält.
Aber der Gerichtsgedanke sei vielleicht anthropologisch nötig.

Im Passionsabschnitt zeichnet Matthäus dem äußeren Anschein
zum Trotz, gleich am Anfang Jesus als den eigentlichen
Herrn des Geschehens und laßt den Erzählfaden mit einem vernichtenden
Urteil über die jüdischen Führer enden, was zugleich
das Ende der Erwählung Israels bedeutet. Dieses Ende
hat zur Folge, daß die Mission der Jünger sich nicht mehr an
Israel, sondern nur noch an die Heiden richtet.

Ein anregendes Buch, das gegenüber der notwendig atomi-
sierenden Tendenz, eines Kommentars das Ganze des Mallhäusevangeliums
im Blick zu halten versucht und insofern eine
wichtige Ergänzung des Luzschen Matthäuskommentars darstellt
. Das Buch wendet sich trotz einiger griechischer Wendungen
an Studenten und andere Interessierte und kann diesen
nachdrücklich empfohlen werden. - Natürlich bleiben Fragen,
was gerade den anregenden Charakter des Werkes zeigt. Um
das Gespräch in Gang zu halten, seien zwei davon hier abschließend
genannt: Ist die negative Haltung des Matthäus
gegenüber Israel nicht überzeichnet, wenn Israel von der Jüngermission
ausgeschlossen wird, zumal die ...luden" in Mt 28,
11-15 wie in 27,19-25 von den Oberpriestern Verführte sind
und die auch von L. kräftig nachgezeichnete Differenz zwischen
dem Volk und dessen Führern im Matthäusevangelium
damit übersprungen wird? Wie verträgt sich mit der erwähnten
theologischen Unvereinbarkeit eines Gerichts nach den Werken
die Tatsache, daß L. Jesus durchaus auch vom Gericht sprechen
läßt - lassen sieh dessen Worte „den Charakter eines drohenden
Rufs zur Buße" begrenzen, die aber letztlich nicht meinen, was
sie sagen, also letztlich nicht mit dem Gericht rechnen?

Das Buch ist dem Hallenser Neutestamentier Traugott Holtz
gewidmet und ist ein Akt bemerkenswerter Solidarität in für
Holtz und seine Familie sehr schwieriger Zeit. Nachdem wir
schon die Geschichte der Exegese im Dritten Reich in ihren
positiven und negativen Seiten nur ungenügend aufgearbeitet
haben, dürfen wir die Hoffnung, daß die jüngere Vergangenheil
noch zu unseren Lebzeiten aufgearbeitet und das Unrecht wiedergutgemacht
wird, wohl kaum haben. Dieser Pflicht werden
wohl erst spätere Generationen nachkommen. Aber wir sollten
sie dazu wenigstens ermuntern!

Siegen Ingo Broer

Wiek. Peter: Der Philipperbrief. Der formale Aulbau des
Briefs als Schlüssel zum Verständnis des Inhalts. Stuttgart-
Berlin-Köln: Kohlhammer 1994. 209 S. gr.8*> = Beiträge zui
Wissenschaft vom Alten und Neuen Testament, 135. Kart.
DM 79,-. ISBN 3-17-012706-3.

Daß das Interesse an diesem paulinischen Brief wächst, ist Anlaß
zur Freude. Die vorliegende Baseler Dissertation stellt sieh
in die Reihe der ,Unitarier', die im letzten Jahrzehnt erneut die
literarische Integrität gegen uns .Fragmentarier' nachzuweisen
suchen (vgl. auch die Dissertation von V. Koperski, Leuven
1991: vgl. Dies.. Textlinguistics and the Intcgry of Philippians,
EThL 68 11992| 331-367, und meine Antwort darauf: EThL 70
[ 1994] 122-131). Das neue Grundaxiom von Wiek ist seine Par-
allehsmusthese: „Phil 1,12-2,30 wird durch 3,1-4.20 parallel
verdoppelt und entfaltet" (II). Dieser .große Parallelismus'