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Ausgabe:

1995

Spalte:

340-342

Kategorie:

Neues Testament

Titel/Untertitel:

Die Septuaginta zwischen Judentum und Christentum 1995

Rezensent:

Reinmuth, Eckart

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Theologische Literaturzeitung 120. Jahrgang 1995 Nr. 4

340

worden ist (132). Als Indiz dient dabei vor allem die Beobachtung
, daß durch die Erwähnung von mehreren Krankenheilungen
in 6,2 anscheinend die jetzige Kapitelfolge vorausgesetzt
ist. Da der Vf. 4,46-51 für red. hält, muß er konsequenterweise
auch Jo 6 für die Red. reklamieren, da er mit der literarischen
Kohärenz des Kapitels rechnet. „Es ist nicht nur das Volk oder
die Juden, bei denen sich Unglaube anmeldet, sondern auch viele
Jünger. Danach wiederholt sich noch dieselbe Problematik in
Bezug auf den inneren Kreis ,der Zwölf, in dem Judas als Sinnbild
des Unglaubens gilt (V. 64. 71). In Jo 6 wird zwischen
Glaube und Unglaube in immer engeren Kreisen unterschieden
." (131). Probleme bereiten dem Vf. nur die Ortsangaben in
6,3.15 und die unvorbereitete Lokalisierung der Rede Jesu in
einer Synagoge in V. 59. Die Erwähnung des Berges in 6,3
führt er dann auf mt Einfluß (Mt 15,29b) zurück, während er die
Abfolge Speisungswunder-Seewandel - samt Bergmotiv in
6,15! - auf den Einfluß der mk Red., der er die Akoluthie in Mk
6 zuschreibt, zurückführt. Auf mögliche Kenntnis des Mk verweise
darüber hinaus auch die Seewandelgeschichte, während
der Vf. in Jo 6,66-71 eindeutig „die bei Mk (8,27-33 KMB)
redaktionelle Abfolge" (173) im Hintergrund sieht. Immer aber
muß vorausgesetzt werden, daß die jo Red. den synoptischen
Stoff sehr frei benutzte, ja sogar „korrigierte" und mit jo Wendungen
wiedergab, „um sie den Vorausgesetzen Lesern, d.h.
der(n) jo Gemeinde(n) akzeptabel zu machen" (172). „Zugleich
liegt der Verdacht nahe, daß die Synoptiker den vorausgesetzten
Lesern unbekannt waren. Das gilt zumindest für die direkte
Kenntnis der synoptischen Evangelien." (ebd.)

Hier gerät nun die Gesamtthese des Vf.s ins Wanken, denn
man fragt sich denn doch, ob die Indizien wirklich ausreichen,
um einen literarischen (!) Zusammenhang zwischen den Synoptikern
und Jo anzunehmen. Der Vf. muß den Umfang der mk
Red. jeweils sehr hoch ansetzen, um eventuelle traditionsgeschichtliche
Zusammenhänge auszuschließen. Auch ignoriert er
vollkommen die Möglichkeit, daß das MkEv bereits wieder zur
mündlichen Tradition geworden sein könnte, als das JoEv entstand
. Es fällt mir auch gerade im Blick auf Jo 6 schwer, die
Kenntnis synoptischer Stoffe fast ausschließlich der jo Red.
zuzuschreiben. Es dürfte zwar richtig sein, daß der Ort, an dem
das Kapitel jetzt im Jo steht, auf die Red. zurückgeht, dem Vf.
entgeht aber durch sein Absehen von theologischen Spannungen
die deutliche Akzentverschiebung in 6,51c-58. Nur deshalb
kann er das Kapitel in seiner Gesamtheit für die jo Red. in
Anspruch nehmen. Gehören aber gerade Jo 6,1-25 zur Grundschrift
, müssen andere Modelle zur Erklärung der deutlichen
Anklänge an Mk 6 gefunden werden. Mir scheint ein traditionsgeschichtlicher
Zusammenhang immer noch am wahrscheinlichsten
zu sein, da die Zuweisung der Akoluthie in Mk 6 an die
mk Red. kaum überzeugend sein dürfte.

Abschließend wird man feststellen müssen, daß die Untersuchung
ihr eigentliches Ziel, die Kenntnis der Synoptiker durch
die jo Red. zu belegen, nicht erreicht hat. Die Belege für wirkliche
literarische Abhängigkeit sind einfach zu mager bzw. basieren
auf zu unsicheren literar- und redaktionskritischen Annahmen
. Trotzdem setzt die Untersuchung Maßstäbe, denn hinter
den methodischen Standard, den der Vf. gesetzt hat, wird man
bei dem Thema „Johannes und die Synoptiker" nicht mehr
zurück können. Vor allem die Erkenntnis, daß ein Einfluß der
red. Passagen der Synoptiker auf das Jo belegt werden muß, um
literarische Abhängigkeit annehmen zu können, ist richtungsweisend
. Insofern leistet die Arbeit neben vielen wertvollen
Einzelbeobachtungen einen wichtigen Beitrag zur Diskussion
um die jo Frage.

Abstract und Register schließen die Untersuchung, der eine
Liste von Corrigenda beigelegt ist, ab.

Rostock Klaus-M. Bull

Hengel, Martin, u. Anna-Maria Schwemer [Hrsg.]: Die Sep-
tuaginta zwischen Judentum und Christentum. Tübingen:
Mohr 1994. XII, 325 S. gr.8° = Wissenschaftliche Untersuchungen
zum Neuen Testament, 72. Lw. DM 238,-. ISBN 3-
16-146173-8.

Die griechische Übersetzung der hebräischen Bibel gehört zu
den fundamentalen Voraussetzungen des Neuen Testaments,
seiner Entstehung und seines Verständnisses. Der Umgang mit
ihr ist deshalb eine Selbstverständlichkeit neutestamentlicher
Auslegungsarbeit - freilich oft genug so, daß geschichtliche
und textbezogene Gegebenheiten dieser Arbeit unklar bleiben.
Erst langsam und spät wachsen Einsichten in die Fülle der
eigentümlichen Probleme der Septuaginta-Forschung. Sie besitzen
nicht nur historische, sondern auch hohe systematischtheologische
und hermeneutische, bis ins jüdisch-christliche
Gespräch hineinreichende Relevanz.

Der Sammclband geht auf ein Tübinger Oberseminar unter
der Leitung von Martin Hengel im Wintersemester 1990/91
zurück. Den Hauptteil nimmt sein das Buch abschließender,
rund 100 Seiten umfassender Aufsatz ein: Die Septuaginta als
.christliche Schriftensammlung', ihre Vorgeschichte und das
Problem ihres Kanons (182-284).' Die enzyklopädische Fülle
des Beitrags entspricht der weitausgreifenden Fragestellung.
Nach einer Einführung, bei der die historisch gewachsene Problematik
der christlichen LXX-Rezeption scharf umrissen wird,
schildert ein erster Zugriff (187-218) die Geschichte der Übersetzungslegende
im (Judentum und) frühen Christentum und
weist auf, daß sie christlicherseits dazu diente, den ausschließlich
auf die LXX, nicht aber auf die hebräische Bibel erfolgenden
Schriftbezug zu legitimieren. Hengel führt den Prozeß der
.Verchristlichung' der griechischen Bibel (205) eindrucksvoll
vor und beleuchtet u.a. sowohl die jüdische Gegenreaktion, den
Kompromißversuch Augustins. als auch am Beispiel der Rezeption
des Henochbuches die sich aus der kirchlichen Beanspruchung
der LXX als einer .christlichen' Schriftensammlung ergebende
Problematik. Ein weiteres Kapitel (219-235) ist dem
angesichts der unterschiedlichen Umfange von Hebraica und
Septuaginta konfliktreichen Prozeß der späteren Konsolidierung
des christlichen .Septuagintakanons' gewidmet. Anschließend
(236-263) gelangt die Entstehung der jüdischen LXX und
das damit in der Diaspora gegebene Kanonproblem zur Darstellung
. H. schildert sowohl die Übersetzungsgeschichte einzelner
Schriften als auch das Geschick der über den hebräischen Kanon
hinausgehenden Texte. Ein abschließendes Kapitel wendet
die Ergebnisse der umfassenden Bestandsaufnahme der jüdischen
und christlichen LXX-Rezeption auf die Frage nach der
„Entstehung der .christlichen Septuaginta' und ihren zusätzlichen
Schriften"(263-284) an. Es zeigt sich, daß die Frage, warum
das kirchliche Alte Testament gerade die uns überlieferte
Form erhalten hat, in diesem Sinne letztlich nicht lösbar ist
(270). H. zeigt indessen sowohl die Rezeption der gegenüber
dem hebräischen Kanon erweiterten als auch der über ihn hinausgehenden
selbständigen Schriften auf und faßt die dabei
sichtbar werdenden Entwicklungslinien zusammen. Der geschichtliche
Nachvollzug der Entstehung und Rezeption der
LXX und ihrer Schriften zeigt ein - z.T. wenigstens in Umrissen
- so differenziertes Bild, daß die theologische Tragweite
der Frage nach der christlichen Interpretation des Alten Testaments
ersichtlich wird.

Robert Hanhart. Textgeschichtliche Probleme der LXX von
ihrer Entstehung bis Origenes (1-19), geht unter Hinweis auf
den Prolog zum Sirachbuch von einem relativ festen Kanonbestand
der Heiligen Schriften bereits ab dem zweiten vorchristlichen
Jahrhundert aus; er sieht damit eine Unterscheidung zwischen
kanonischen und apokryphen Schriften in der Sache ab
dieser Zeit ermöglicht. Die kanonische Bedeutung der LXX in