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Ausgabe:

1995

Spalte:

322-323

Kategorie:

Religionswissenschaft

Autor/Hrsg.:

Weinberg, Werner

Titel/Untertitel:

Lexikon zum religiösen Wortschatz und Brauchtum der deutschen Juden 1995

Rezensent:

Schreiner, Stefan

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Theologische Literalurzeitung 120. Jahrgang 1995 Nr. 4

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seits gebot jedoch der universale Charakter der Menschenrechte
die Öffnung ihnen gegenüber, bildeten sie doch einen Orientierungsrahmen
für die Vereinten Nationen und die globale Gesellschaft
, an dem politische Aktivitäten und soziale Ordnungen
in allen Staaten der Erde gemessen wurden.

Spannend müssen Gespräche zwischen Christen und Moslems
in jedem Falle verlaufen; denn die Geschichte beider ist.
von wenigen Ausnahmen abgesehen, stets von gegenseitiger
Ablehnung und tendenziöser Verzeichnung bestimmt gewesen.
So macht die Abgrenzung gegen die islamischen Fundamentalisten
heute vergessen, daß es auch für Moslems Zugänge zu den
Menschenrechten gibt, sowohl durch den Rückgriff auf die
eigene Tradition als auch durch die Öffnung für neue Entwicklungen
. Denn auch für den Islam geht es in der Frage der Menschenrechte
nicht nur um den Zugang zur Welt der Moderne,
sondern auch um den Schutz eigener Interessen, nämlich überall
dort, wo Moslems in der Minderheit sind. Eben dasselbe
Recht klagen aber auch die christlichen Kirchen für ihre Mitglieder
ein.

Erst in neuerer Zeit wird die Wand der gegenseitigen Mißverständnisse
und Vorurteile aufgebrochen. Massignon hat das
..dialogische Wort" von den drei monotheistischen Religionen
geprägt (17). Danach ist Israel die Religion der Hoffnung, das
Christentum die Religion der Liebe, der Islam die Religion des
Glaubens. Auf dieser Basis geschah die Orientierung des Konzils
(vgl. „Nostra Aetate" und „Lumen Gentium"). Im Eintreten
für die Entrechteten dieser Erde wurde eine gemeinsame Maxime
aller großen Religionen gesehen. Die universale Geltung der
Menschenrechte erzwang die Öffnung auch des Islam, der
jedoch nach den Erfahrungen der „kulturellen Aggression des
Westens" (Mohammed Arkoun) zunächst große Schwierigkei-
len hatte, sich dem Gedanken universaler Menschenrechte zu
öffnen.

Eine weitere Schwierigkeit liegt in dem bewußten Plädoyer
für die „Herrschaft des Rechts", das die Würde des Menschen
allein durchzusetzen in der Lage ist. Damit stand aber die Spannung
zwischen „religiösem Recht" und „modernem Recht" auf
der Tagesordnung. Denn nur durch einklagbare Rechtsordnungen
und die Aufnahme der Menschenrechte in die Verlassungen
der Staaten kann das Recht des einzelnen durchgesetzt werden.
In dieser Frage haben aber auch die Kirchen Nachholbedarf.

In der Frage der Religionsfreiheit scheiden sich die Geister
abermals. Jede Konfession muß auf diesem Grundrecht bestehen
; andererseits setzt seine Anerkennung auch Toleranz, gegenüber
Andersgläubigen voraus. Damit ist die „selbstkritische
Aufgabe der Aufarbeitung der Machtgeschichte von Christentum
und Islam unumgänglich" (Schwartländcr). In der Tat hat
der eschatologische Anspruch des Christentums durch seine
Exklusivität faktisch die Intoleranz gefördert, wie Walter Kas-
Per betont. Hier gilt es umzudenken in Richtung auf eine „religiöse
Freiheit, die mehr ist als Toleranz" (228).

Das Grundproblem, mit dem der Islam im Dialog über die
Menschenrechte konfrontier) ist. ergibt sich daraus, daß er bis
heute seine mittelalterliche, vormoderne Gestalt noch nicht
dynamisiert hat. Das zeigt sich an der allgemeinen Islamischen
Menschenrechtserklärung von 1981, die noch immer auf dem
Boden der klassischen islamischen Tradition steht. Inzwischen
hat diese unrevidierte Sicht jedoch ihre Kritiker gefunden (z.B.
Charfi, Merad. auch Talbi). die in dem lesenswerten informativen
Sammelhand zu Wort kommen.

Im Teil I sind die Referate aus dem jahrelangen Dialog dokumentiert
, von denen ich für besonders wichtig, weil für den
östlichen Leser besonders erhellend, halte:

Mohammed Talbi: Religionsfreiheit - eine muslimische
Respektive (53-71). Mohammed Charfi: Die Menschenrechte
•m Bezugsleld von Religion. Recht und Staat in den islamischen
Ländern (93-118). Rotraud Wieland: Menschenwürde

und Freiheil in der Reflexion zeitgenössischer muslimischer
Denker (179-209). Lesenswert sind auch die Beiträge von Walter
Kasper (kath.) über „Religionsfreiheit als theologisches Problem
" (210-229). Marlin Honecker (ev.) über die Geschichte
der Religionsfreiheit im Protestantismus (230ff) und Mohammed
Arkoun: „Die Frage nach dem Staat am islamischen Beispiel
" (294ff).

Im Teil II sind die Diskussionsbeiträge in drei Abschnitte
gegliedert und mit einer trefflichen Einleitung von Heiner Bielefeld
! (319-346) versehen:

I. Menschenrechte als modernes Welt-Ethos - Aspekte der
Moderne: Säkularität. Geschichtlichkeit. Freiheitsethos; II.
Deutungen von Recht und Staat im Orient und Okzident - Das
Problem der sharia - Zum Ethos der Demokratie: III. Zum
Menschenrecht auf Religionsfreiheit - Rechtliche Gestalt und
religiöse Bedeutung.

Alle, denen die Durchsetzung der Menschenrechte wie auch
der christlich-muslimische Dialog am Herzen liegt, sollten diesen
Sammelband zu ihrer Pl'lichtlcktürc machen. Denn es warten
wichtige weiterführende Aussagen auf die Leser, z.B.:
„Letztlich gibt es kein wahres geistliches Leben ohne wahre
Freiheit... In einer Welt, in der die Kommunikation bestimmend
sein wird, müssen auch wir Juden. Christen und Muslime, ohne
unseren jeweiligen Glaubensüberzeugungen im geringsten
untreu zu werden, lernen, uns gemeinsam auf all das zu besinnen
, was uns im Erbe Abrahams miteinander verbindet..." (M.
Talbi, 260).

Berlin Günter Krusche

Weinberg. Werner: Lexikon /.um religiösen Wortschatz und
Brauchtum der deutschen .luden. Hrsg. von W. Roll. Stuttgart
: Frommann 1994. 356 S. gr.8«. Lw. DM 118.-. ISBN 3-
7728-1621-5.

Es ist nicht die erste Arbeit zum Jüdischdeutschen, die W.
Weinberg mit seinem hier anzuzeigenden Buch vorgelegt hat.
Bereits vor fast dreißig Jahren hat er unter dem Titel „Die Reste
des Jüdischdeutschen" (Stuttgart 1966. -1973) ein (erstes) Wörterbuch
veröffentlicht, in dem er das für jenes bis in die dreißiger
Jahre dieses Jh.s noch in Deutschland, hernach nurmehr
unter Emigranten in Amerika gehörte Idiom typische Vokabular
gesammelt und herausgegeben hat. Das in jenem Band nach des
Vf.s eigenem Bekunden absichtlich unberücksichtigt gebliebene
religiöse Vokabular (so jedenfalls nennt er es) hat er gesammelt
nun in diesem (zweiten) Band vorgelegt, ohne dabei die
Kenntnis des zuvor erschienenen Bandes vorauszusetzen oder
von den Benutzern seines neuen zu verlangen.

Der Titel des neuen Bandes ist mindestens ein wenig irreführend
; denn um ein Lexikon im herkömmlichen Sinne handelt
es sich hierbei nicht: und. um möglichen Mißverständnissen
vorzubeugen, betont der Hg. in seiner Vorrede ausdrücklich
, es sollte auch „nicht als enzyklopädisches Nachschlagewerk
, als ein Lexikon des deutschen Judentums, mißverstanden
werden" (II). Seiner Anlage nach ist es zunächst einmal ein
sprachwissenschaftliches Werk, ein Wörterbuch, das in seinem
Hauptteil (39-298) den vom Vf. als religiöses Vokabular definierten
Wortbestand des Jüdischdeutschen in alphabetischer
Folge von A bis Z geordnet enthält und als seine Benutzer Studierende
des Jüdischdeutschen oder an dieser Sprache Interessierte
im Blick hat. Vorangestellt ist dem Wörterbuchteil eine
Einleitung, in der der Vf. über die Auswahl seines Wortgutes
und dessen Klassifizierung (13-18) sowie über die Einrichtung
der Wörterbuchartikel (27-38) Rechenschaft gibt. Angesprochen
werden darin aber ebenso auch die philologischen Probleme
, vor die die Einrichtung dieses Wörterbuch stellte, von der