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Ausgabe:

1995

Spalte:

320-322

Kategorie:

Religionswissenschaft

Titel/Untertitel:

Freiheit der Religion 1995

Rezensent:

Krusche, Günter

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319

Theologische Literaturzeitung 120. Jahrgang 1995 Nr. 4

320

Entscheidendes Argument für die Authentizität ist nach Khoury neben
stilistischen und inhaltliehen Gründen die Textüberlieferung. innerhalb der
die Traktate Nr. 1-5 eine Einheit bilden. Nasrallah hat jedoch zu Recht darauf
aufmerksam gemacht, daß nur in einer der vier Handschriften des 13.
Jahrhunderts diese Sammlung tradiert wird (die übrigen Codices enthalten
weniger oder andere Traktate (auch unechte! |. noch dazu in anderer Reihenfolge
) und das Argument daher kaum zwingend ist.-1 Er hält denn auch die
drei Traktätchen Nr. 6-8 in Khourys Liste S. 19f. (..Über das Gute und das
Böse"; „Die Wunder Christi"; ..Über Prädestination und freien Willen")
sowie die ..Widerlegung der Häresien" (Nr. 9) für echt. Für diese ist nach
w ie vor auf die älteren Editionen bzw. Übersetzungen von Cheikho. Graf
und Horten zurückzugreifen.

Der kritische Text basiert selbst nur auf sieben Handschriften
, wobei mir nicht deutlich geworden ist, welche Kriterien für
diese Auswahl maßgebend gewesen sind. Darüber hinaus hat
Khoury die Lesarten der alteren Ausgabe von Louis Cheikho.
Vingt traites theologiques d'auteurs arabes chretiens (IXe-XIHe
Steeles), Beirut 1920 berücksichtigt.

Leider scheint er eine der ältesten Handschriften für die Traktate 1, 3 und
5. den Bodl. Greaves 30 aus dem 13. Jh. (Sigel: O). nicht kollationiert zu
haben. (Auch Cheikho hatte diesen Codex offenbar für seine Ausgabe nicht
herangezogen.) Ergänzend ist ferner darauf hinzuweisen, dati der cod. Bodl.
Uri 38 (=Hunt. 240), der ebenfalls Tr. 3 überliefert und unbekannten Alters
ist. offenbar als einziger den Namen des Adressaten dieses Briefes nennt
(seih Abü I-Qäsem; die Authentizität der Angabe ist aber unsicher).4
Ansonsten ist für die Überlieferung durchweg Nasrallah zu vergleichen, der
weitere Handschriften vor allem jüngeren Datums aufführt, die bei Khoury
nicht erwähnt sind. Nicht immer glücklich ist schließlich der Gebrauch der
Siglen. So erscheinen auf S. 33 plötzlich die Siglen T (1317) und u (1321),
und es dauert eine ganze Weile, bis man durch Zurückblättern herausgefunden
hat, daß es sich hierbei um die Vorlagen der Handschriften P- bzw. U
handeln dürfte (vgl. S. 9 mit Anm. 6 und 7. 24 und 27).

Khoury hat auf die Erstellung eines Stemmas verzichtet,
ohne dafür allerdings Gründe anzugeben. Das Urteil über die
Qualität des von ihm rekonstruierten Textes muß Arabistcn
überlassen bleiben. Die Übersetzung ist für einen Nichtfrankophonen
gut lesbar. Die Fußnoten beschränken sich weitgehend
auf eine Diskussion von Übersetzungsproblemen sowie auf den
Nachweis von Bibel- und Koranstellen sowie ■ gelegentlich -
von Parallelen bei anderen Autoren.

In der ausführlichen, mehr als 120 Seiten umfassenden Einleitung
, die mit einer beeindruckenden Fülle gelehrter Fußnoten
ausgestattet ist, widmet sieh Khoury zunächst der Frage nach
der Person Pauls (8-18). Anschließend gibt er einen ausführlichen
Überblick über die Textüberlieferung (19-44). Das dritte
Kapitel enthält eine Darstellung des Inhalts der Traktate sowie
eine allgemeine Charakterisierung des gesamten Werkes (45-
68). Im vierten und umfangreichsten Abschnitt diskutiert
Khoury die apologetische ..Strategie" des Autors (69-1 16). In
diesem Zusammenhang weist er überzeugend nach, daß Pauls
last naive Berufung auf die Vernunft selbst kulturell vermittelt
und dem muslimischen Gegenüber daher keineswegs ev ident
ist. Dabei betrachtet der Herausgeber das Werk Pauls ganz
bewußt vor dem Hintergrund des modernen christlich-muslimischen
Dialogs (110-116 und auch sonst). In der abschließenden
Conclusion äußert er die Vermutung, die Apologetik Pauls
und seiner Zeitgenossen sei nicht tieshalb so erfolglos gewesen,
weil die Muslime das Christentum grundsätzlich abgelehnt hätten
, sondern weil das byzantinische Christentum der Zeit Christentum
und Griechentum identifiziert habe, was für den Islam
unannehmbar gewesen sei. Die „providentielle. historische Aufgabe
, die sich damals den Christen stellte." hätte hingegen darin
bestanden, auf die Eigentümlichkeiten des byzantinischen Christentums
zu verzichten und nur die ..wesentlichen Enthüllungen
" (cMvoilements essentiels) der Botschaft Christi zurückzubehalten
, die man dann den Muslimen in ihrer Begrifflichkeil
hätte predigen müssen. So wäre es möglich gewesen, eine „arabische
Form des Christentums" zu schaffen. Diese Möglichkeit
zum Dialog eröffne sich, begünstigt durch veränderte Rahmenbedingungen
, heute aufs neue. Wenn man christlicherseits

zugestehe, daß ein Moslem, der aufrichtig Gott suche, sich nicht
im Irrtum befinde und wenn die Christen statt von christlichem
Wahrheitsbesitz von einem ...Sein in der Wahrheit" sprächen,
dann könne die gemeinsame Suche nach Gott in nichts anderem

als (ioit selbst enden (117-120).

Man wird fragen müssen, ob derartige hermeneulisehe Überlegungen
nicht etwas voreilig die historische Distanz ignorieren, die uns von diesem
Autor des 12. Jh.s trennt. Ob Pauls apologetische „Strategie", die - an heutigen
Maßstäben gemessen - unzulänglich wirken mag. in seiner Zeit gar so
erfolglos war. wie Khoury unterstellt, wäre ja erst noch wirkungsgeschichtlich
zu belegen. Immerhin nahm man ihn - wie die Gegenschriften zeigen -
islamischerseits durchaus ernst. Auch scheint mir Khourys Unterscheidung
zwischen ..essentiellem" und kulturell vermitteltem Christentum problematisch
. (Welche Form des Christentums wäre nicht kulturell vermittelt?) Die
Verweise auf Pascal (III, Anm. 57) und Heidegger (116, Anm. 59) kommen
unerwartet und sind im Zusammenhang der Edition eines Autors aus
dieser Zeit nach meinem Dafürhalten deplaziert. Auch scheint die heutige
Gesprächssituation zwischen Christen und Muslimen vom Herausgeber zu
optimistisch gezeichnet. Hier wäre eine durchgreifende Revision des ursprünglichen
Textes notwendig gewesen.

Ungeachtet dieser Einwände liegt nunmehr eine zuverlässige
Ausgabe mindestens der wichtigsten Werke dieses Autors vor.
dessen Platz innerhalb der dogmatischen Entwicklungen im
Osten erst noch genauer zu bestimmen wäre.

Ein Druckfehler: Im Inhaltsverzeichnis S. 345 muß es „Descriplion" statt
„Descrilpion" heißen.

Mannheim Wolfram Kiiizil'

' Vgl. Georg Graf. Geschichte der christlichen arabischen Literatur, Bd.
II: Die Schriftsteller bis zur Mitte des 15. Jahrhunderts. Vatikanstadl 1947
(Sludi e Testi 133). 72-78; Joseph Nasrallah, Histoire du mouvement lit-
teraire dans l'eglise [Belehrte du Ve au XXe sieele. Contribution ä l'elude de
la litterature arabe ehretienne, Bd. M/1, Louvain/Paris 1983, 257-269. Zur
Wirkungsgeschichte Pauls ebenda. 260.

2 Vgl. Nasrallah, ebenda. Bd. III/2. Louvain/Paris 1981. HM.

3 Vgl. a.a.O. (Anm. I)„ 265f.

4 Vgl. Nasrallah. a.a.O. (Anm. I), 260, Anm. I 16.

Schwartländer, Johannes: Freiheit der Religion. Christentum
und Islam unter dem Anspruch der Menschenrechte. Mainz:
Grüncwald 1993. 474 S. 8° = Forum Weltkirehe, 2. Kart.
DM 64,-. ISBN 3-7867-1392-8.

Für die verfaßten Kirchen des Abendlandes war das Thema der
Menschenrechte jahrhundertelang ein heißes Eisen, denn man
sah in ihnen einen Ausdruck des modernen säkularen Autonomiedenkens
. Erst unter dem Einfluß der UNO-Menschenrechts-
erklärung von 1948 und unter dem Eindruck der zahlreichen
Menschenrechtsverletzungen in und nach dem Zweiten Weltkrieg
kam das Thema auf die Tagesordnung der Kirchen, bei
den Protestanten vor allem ausgelöst durch das weltweite Engagement
des Ökumenischen Rates der Kirchen und seiner Kommission
für Internationale Angelegenheiten, bei den Katholiken
unter dem Einfluß des Zweiten Vatikanischen Konzils, wobei
man sehen muß, daß das vorrangige Interesse der Weltkirehe
zunächst an der Religionsfreiheit, dem „Eckstein der Menschenrechte
", festgemacht war,

Als geradezu sensationell muß es daher bezeichnet werden,
daß die Deutsche Bischofskonferenz Anfang der achtziger Jahre
ein Forschungsprojekt unier dem Titel „Menschenrechte in der
christlichen und islamischen Welt" einrichtete, in Analogie und
Widerspruch gleichsam; denn auch für den Islam war die Menschenrechtsbewegung
ursprünglich eine westlich-aufklärerische
Bewegung, die dem theonomen Menschenbild der Tradition ein
autonomes entgegensetzte und auf diese Weise dem Säkularismus
Vorschub zu leisten schien. So bereitete auch dort die Rezeption
der Mcnsehenreehte große Schwierigkeiten; anderer-