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Ausgabe:

1995

Spalte:

316-317

Kategorie:

Religionswissenschaft

Autor/Hrsg.:

Burkhardt, Helmut

Titel/Untertitel:

Ein Gott in allen Religionen? 1995

Rezensent:

Wagner, Herwig

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315

Theologische Literaturzeitung 120. Jahrgang 1995 Nr. 4

316

Mit dem Stichwort „Matristics" geht nun wieder K. E. B0rre-
sen auf die „Kirchenmütter" ein, wo so unterschiedliche Frauen
wie Birgitta von Schweden, Juliane von Norwich und Caritas
Pirckheimer im Vergleich zu Vittoria Colonna ausführliche und
exemplarische Würdigung erfahren. Mittelalter und Renaissance
erscheinen so in einem bisher recht ungewöhnlichen
Licht, weil auch Hagiographen bei der Darstellung „ihrer" Heiligen
von bestimmten männlichen Voraussetzungen ausgingen.

Im 4. und kürzesten Teil des Buches werden einmal das
katholische Frauenbild nach dem Apostolischen Schreiben
„Mulieris Dignitatem" (1988) und die erstaunlichen Zusammenhange
eines katholischen und islamischen Frauenverständnisses
aufgewiesen, wenn die jeweiligen Glaubensurkunden
dafür herhalten müssen, die Rolle der Frau als Braut und Mutter
festzuschreiben.

Dem Leser/der Leserin bietet sich eine ungeheure Materialfülle
, auch wenn die islamische Seite nicht so stark repräsentiert
ist wie die christliche. Für weitere Diskussionen konstitutiv notwendig
sind die Klärungen, die beide Autorinnen im Blick auf
die theologische Bewertung und spirituelle Ausstrahlung religiöser
Frauen herausarbeiten und dies jeweils im christlichkirchlichen
oder islamischen Umfeld untersuchen.

Was die christlichen Traditionen betrifft, so steht als Leitthema
zuerst die Frage nach der Gottähnlichkeit bzw. der Gottebenbildlichkeit
der Frau gegenüber dem Mann zur Disposition.
Dies wird an der Entwicklung des Mariendogmas referierend
aufgezeigt (15f) oder in der Spannung von Römischem Recht,
Geschlechtslosigkeit und weiblicher Sexualität beschrieben,
wobei männliche Einseitigkeiten (z.B. in der Folge Auguslins,
23) oder entsprechende Filterung der weiblichen Hagiographien
ins Blickfeld geraten (49). Allerdings führt die Beschreibung
der Schwäche und Ohnmacht Jesu als weiblich orientiert zu
einem Gesamtbild, das das Klischee von der Verachtung des
Weiblichen durch theologisch das Wort führende Männer nicht
durchgängig zuläßt. Immerhin mußte die Kirche die weibliche
Mystik in ihren vielen Ausprägungen tolerieren (86).

Bei einer Gesamtschau der auch unterschiedlich aufgebauten
Beiträge fallen einige Schwerpunkte auf, die sich fast unbewußt
ergeben, obwohl das vorliegende Buch nicht nur chronologisch
vorgeht und dabei schon systematisiert, sondern auch Einzelaspekte
hervorhebt. Folgt man dem Gang der Geschichte seit der
Antike, so kristallisiert sich bei unterschiedlicher Zugehcnswei-
se in den verschiedenen Beiträgen m.E. Folgendes heraus:

- Alexandria als ein kultureller Mittelpunkt der Antike gerät
angesichts des Christentums in die Spannung der Beurteilung
von Frauen christlicher und nichtchristlicher Herkunft. Extrem
ist die Auseinandersetzung von Cyrill von Alexandria mit der
„heidnischen" Philosophin Hypatia (vgl. 155ff).

- Auch die islamische Tradition kennt das „Männlich werden
", wenn es um die Vollkommenheitswerdung des Menschen
vor Gott geht. Die Frauen des Propheten Mohammed und die
Infragestellung Marias, der Mutter Jesu, als Prophetin signalisieren
eine heftige Debatte um die Privilegien, die dem Stande
des Prophetseins generell zukommt (234ff),

- Der Zusammenhang von (weiblichem) Geschlecht und spirituellem
Fortschritt in der Verbindung zu Gott bekommt bei
einer männlich dominierten Theologie sowohl im Christentum
wie im Islam ein seltsames „Symbolgewicht" (vgl. 238).

In einer solchen Diskussionslage betonen Rabi'a (islamisch)
und die christlichen mystischen Feministinnen wie Hildegard
von Bingen, Birgitta von Schweden und Juliane von Norwich
die mütterlichen und weiblichen Züge Gottes teilweise so stark,
daß männliche Theologie ins Schwanken gerät.

- Solche Schwankungen lassen sich besonders bei folgenden
Fragen ausmachen:

a) Inwiefern ist Maria Miterlöserin im christlichen bzw. Prophetin
im islamischen Heilsgeschehen?

b) Inwiefern eröffnet die Trinität selbst die Möglichkeit
weiblicher Rede von Gott?

c) Wie ist die globale Erlösungsqualität von Frauen zu beurteilen
? (43, 262ff u.ö.)

- Hypatia von Alexandria, Rabi'a, Hildegard von Bingen,
Birgitta von Schweden und besonders Juliane von Norwich bilden
in ihrer Denkweise keineswegs von der christlichen bzw.
islamischen Wurzeltradition abgehobene Denkmodelle, sondern
beschreiben die Offenbarungsmerkmale der Erlösung im
Kontext einer weiblich-religiösen Gotteserfahrung, die durchgehend
ganzheitlich erfahren und auch so formuliert wird
(309f).

Leider ist es nicht möglich, all die anderen im Buch erwähnten
Frauen wenigstens kurz zu skizzieren, weil durch ihr Denken
und Handeln ein weiterer Strom von Gotteserfahrung zur
Sprache kommt, der sich nicht immer von männlichen Vorgaben
trennen kann oder will, aber in der Eigenständigkeit des
Theologisierens eine Spannbreite zwischen „geschlechtsloser"
Gottebenbildlichkeit (z.B. 257f) und weiblicher Gottesrede
dokumentiert.

Juliane von Norwich scheint dabei die weitestgehende zu
sein, weil ihr systematischer Entwurf einer weiblich bezogenen
Trinität (fatherhood, motherhood, Iordship im Blick auf Vater,
Sohn und HI. Geist) gerade heute der theologiegeschichtlich
orientierten Diskussion die notwendigen Grundlagen und feministischer
Theologie eine Ausgangsbasis vermittelt, die die
Kontinuität der Weiblichkeitsgeschichte christlicher und islamischer
Theologie unüberhörbar macht. Daran ändern konservativ
gemäßigte Äußerungen der katholischen Kirche nach dem Vaticanum
II ebensowenig wie die immer härter werdenden Äußerungen
des jetzigen Papstes (vgl. 34311).

Aber auch für die islamische Theologie führt diese (an dieser
Stelle erweiterungsbedürftige) Studie unmißverständlich vor,
daß Frauenrechtlerinnen, Theologinnen und Soziologinnen aus
dem islamischen Raum, besonders aus Ägypten und dem Ma-
ghrch heute durchaus von den Quellen des Koranverständnisses
her eine islamische feministische Theologie autbauen können
und auch werden. Wie die bisher männlich dominierte islamische
Theologie damit umgehen wird, dürfte nicht der Spannung
entbehren, einer Spannung die durchaus dem vergleichbar ist,
was sich im antiken Alexandria, im Dunstkreis europäischer
Universitäten oder spiritueller (Kloster-(Zentren, oder gar zwischen
den Orden und den Terliarinnen (besonders in der Begui-
nenbewegung) abgespielt hat.

Die Mystikerinnen werden zueinander finden - über Religionsgrenzen
hinweg, keine männliche Meinung bildende Gnosis
(vgl. 217ff) oder institutionalisierte Theologie werden den
Frauen und Müttern, den Mystikerinnen und Nonnen das Verdienst
abspenstig machen, die Gottheit Gottes umfassend
menschlich und damit auch weiblich gesehen zu haben.

Daß es den beiden Autorinnen gelungen ist, eine solche
Übersicht und exemplarische Einsicht mit dieser Publikation
auf den Weg zu bringen, ist nicht hoch genug einzuschätzen.

Nachrodt Reinhard Kirste

Burkhardt, Helmut: Ein Gott in allen Religionen? Wiederkehr
der Religiosität Chance und Gefahr. Gießen: Brunnen
1993. 112 S. 8° = TVG-Orienlicrung. Kart. DM 16,80. ISBN
3-7655-95349-9.

Der Vf. sieht in der „Wiederkehr der Religiosität" (so der Titel
der 1. Aull., 1990) den z.Z. aktuellen Einstieg zu der viel grundlegenderen
Frage einer christlichen Theologie der Religionen,
„einem der gegenwärtig brennendsten theologischen Probleme
". (8) Das war eigentlich auch schon das Hauptaugenmerk in