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Ausgabe:

1995

Spalte:

246-248

Kategorie:

Kirchengeschichte: Neuzeit

Titel/Untertitel:

Zwischen Anpassung und Verweigerung 1995

Rezensent:

Haendler, Gert

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Theologische Literaturzeitung 120. Jahrgang 1995 Nr. 3

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bald danach vorgelegte Publikation zum gleichen Thema nur
gerechtfertigt, wenn sie von einem anderen Ansatz als ihre Vorgängerinnen
konzipiert ist. Das ist bei der Arbeit des Betheler
Neutestamentiers in mehrfacher Hinsicht der Fall:

Zunächst zeichnet diese sich dadurch aus. daß sie sich nicht
auf das frühe ..orthodoxe" Christentum beschränkt, sondern daß
ihr Vf. auch „die Trägergruppen der apokryphen Traditionen in
Palästina, in Syrien und in Ägypten" (3) in seine Darstellung
einbezieht. Auf diese Weise wird das in den kanonischen
Schriften bezeugte Frühchristentum den Leser/inne/n als -
wenn auch maßgeblicher, so doch nur - Teil eines größeren Ge-
staltwerdungskomplexes vor Augen geführt. Sodann unterscheidet
sich V.s Untersuchung von ihren Vorgängerinnen
durch die Gliederung der Stoffe. Nach einer „Einleitung", in der
der Vf. über ..die literarischen Quellen" zur Geschichte des ältesten
Christentums (getrennt nach den Jahren 30-60, 60-80, 80-
100 und 100-150) informiert, stellt er diese selbst dann - an
jenen Quellen erkennbar orientiert - in drei I lauptteilen dar, die
jeweils in drei gleichlautende Abschnitte untergliedert sind: (I)
..Die beteiligten Personen und Gruppen", (II) „Auseinandersetzungen
und Trends". (III) „Personen und Werke". Diese gleichgestaltete
Untergliederung hat zur Folge, daß die Leser/innen
mühlos Entwicklungen verfolgen können, die sich über den
Zeitraum eines der Hauptteile des Buches hinaus erstrecken.
Endlich ist für V.s Arbeit bestimmend, daß in ihr die Ergebnisse
der neueren form- und sozialgeschichtlichen Forschung eingearbeitet
sind. Hierdurch wird nicht nur dem Eindruck gewehrt,
daß die Entwicklung der ältesten Christenheit einen linear verlaufenden
Prozeß darstellte, sondern zudem deutlich, daß bereits
dessen Anfänge als ein mehrschichtiges Geschehen zu
begreifen sind.

Der I. Hauptteil („Die wahrnehmbaren Anfänge des frühen
Christentunis") setzt mit den Christophanien ein, die eine ,.Vielfalt
von Erscheinungen und Strömungen" (30) ausgelöst haben.
Davon werden hier vorgestellt: (I.) die Wanderprediger des
sog. Wanderradikalismus in Galiläa, (2.) die ebenfalls in
Galiläa beheimateten Anfänge der weisheitlichen Tradition und
die aus ihr hervorgegangene „Thomas-Schule", die diese Tradition
stringent weiterentfaltete, sowie eine (in den Spätschichten
von Q belegte) „Schule", die sie apokalyptisch uminterpretierte
(36), (3.) der „Rabbinismus" der judenchristlichen Gemeinden
Judäas mit seiner radikalen Gesctzcsauslegung sowie (4.) die
sog. Hellenisten, durch die das Evangelium in die Synagogen
der Diaspora gelangte. Besondere Beachtung wird dabei der
unterschiedlichen Rezeption der Jesusüberlieferung durch diese
Gruppierungen zuteil. Nach Ausführungen über die Frage des
..Erbes" sowie der „wahren" wie der leiblichen „Familie Jesu"
werden für die älteste Phase des Christentums als maßgebliche
Persönlichkeiten präsentiert: Petrus, der Herrenbruder Jakobus,
die beiden Zebedäussohne Johannes und Jakobus sowie Thomas
.

Im II. Hauptteil („Von der paulinischen Heidenmission bis
zum jüdischen Krieg: Die Zeit der Apostel") informiert V.
zunächst über die Ausbreitung des Evangeliums noch vor 50
v.Chr. in Ägypten. Syrien, Griechenland (Thessalonich) und
Rom, danach über die Fortentwicklung des hellenistischen
Christentums, die (weitere) paulinische Mission: ihre Träger
und deren „Feinde" sowie über „die Radikalisierung der weis-
heitlichen Kreise". Dabei gelingt es dem Vf. zu zeigen, daß
selbst dort, wo einzelne „Strömungen" urchristlichen Geschehens
heute nur noch punktuell erkennbar sind, dies - z.T. mit
anderen in Beziehung stehend, z.T. losgelöst von ihnen - keine
starre Größe darstellten, sondern, bedingt durch den religiösen
Kontext, in den sie eingetreten sind, Entwicklungen durchlaufen
haben, die sie mitunter erheblich veränderten. Außerdem
fuhrt er eindrücklich vor, daß „die Beziehungen zwischen Christentum
und Judentum vielfältiger gewesen (sind), als es die

lukanische Darstellung der apostolischen Mission harmonisierend
schildert" (122f). Außer Paulus werden zum Schluß gesondert
vorgestellt: der "Licblingsjünger" Jesu sowie Maria Magdalena
.

Der III. Hauptteil („Das Ende der apostolischen Zeit: Die
Zeit der apostolischen Literatur") enthält zunächst Ausführungen
zur „Problematik der apostolischen Literatur", später zu der
des „Frühkatholizismus" sowie zur Pseudcpigraphie, um danach
unvermittelt in thematisch orientierte „Schlußlhesen" umzuschlagen
, von denen indes nur die letzten (zur „Einheit des
Christentums") eine engere Beziehung zu den voranstehenden
Darlegungen erkennen lassen. Im Mittelpunkt dieses Hauptteils
steht jedoch der Fortgang der Entwicklung und damit weiteren
Differenzierung der frühchristlichen Gruppierungen in den
schon bekannten Regionen bis zur Mitte des 2. Jh.s sowie deren
Schicksal zur Zeit der ersten Verfolgungen. Durch diese - nunmehr
wesentlich aus nachkanonischen Schrillen belegte - Phase
der Kirche des Anfangs aber erweist V. erneut die Richtigkeit
seiner (ihn wohl schon von Anfang an leitenden) These: „Der
Versuch, die heutige christliche Vielfalt auf einen gemeinsamen
Nenner, das heißt auf einen einheitlichen und maßgebenden
Ursprung zurückzuführen, erweist sich als eine unhistorische
Betrachtungsweise" (281).

Trotz der Darstellung der Gestaltwerdung der Urkirche als
eines vielgestaltigen Prozesses stellt V.s Buch ein geschlossenes
Ganzes dar, das sich zudem durch Klarheit und Stringenz
auszeichnet. Dieses Urteil schließt nicht aus, daß diese Monographie
auch Fragen aufwirft; allem voran die, ob die innere
Entwicklung der Gruppen des frühen Christentums - V. verwendet
hierfür mehrfach den unüblichen (auch mißverständlichen
) Plural „Christentümer" - nicht stärker hätte zur Geltung
gebracht werden sollen (z.B. die Formen ihres Lebens, ihrer
Gottesdienste etc.). Ebenso sind manche Einzelaussagen kritisch
anzufragen; etwa die, ob das Verlangen nach einer „geistigen
Leitung" tatsächlich „von Anfang an" bei allen Gruppierungen
bestanden hat (64) oder die Behauptung, daß die Gemeinden
in Thessalonich, Korinth und Galatien „rein" heidenchristliche
waren (94f). Diese und andere Anfragen sollen jedoch
nicht verdecken, daß V. mit seiner „Geschichte des frühen Christentums
" eine beachtliche Leistung erbracht hat, die es verdient
, daß sein Buch eine zahlreiche, es intensiv studierende
I .cserschaft findet.

Leipzig Werner Vogler

Kirchengeschichte: Neuzeit

Demke, Christoph. Falkenau, Manfred, u. Helmut Zeddies:
Zwischen Anpassung und Verweigerung. Dokumente aus
der Arbeit des Bundes der Evangelischen Kirchen in der
DDR. Hg. im Auftrag der Evangelischen Kirche in Deutschland
. Leipzig: Evang. Verlagsanstalt 1994. 488 S. 8». ISBN
3-374-01549-2.

Die Einleitung erinnert an zwei frühere Bände der Evangelischen
Verlagsanstalt Berlin zur Geschichte des DDR-Kirchenbundes
: „Kirche als Lerngemeinschaft" (1981) zum 70. Ge-
burtstag von Altbischof Albrecht Schönherr; „Gemeinsam unterwegs
" (1989) zum 20jährigen Bestehen des Kirchenbundes.
Der jetzige Band ist in drei Teile gegliedert: 1. Gestalt und Weg
der Kirche (14-169); 2. Zeugnis und Dienst in der Gesellschaft
(172-408); 3. Dialog und Gemeinschaft in der Ökumene (410-
455). Den Band beschließen Verzeichnisse, Nachweise und