Recherche – Detailansicht

Ausgabe:

1995

Spalte:

244-246

Kategorie:

Neues Testament

Autor/Hrsg.:

Vouga, François

Titel/Untertitel:

Geschichte des frühen Christentums 1995

Rezensent:

Vogler, Werner

Ansicht Scan:

Seite 1, Seite 2

Download Scan:

PDF

243

Theologische Literaturzeitung 120. Jahrgang 1995 Nr. 3

244

Kosten dieses Denkansatzes zu stark in den Vordergrund stellt"
(1) - kein geringes Vorhaben!

Ehe der Vf. eine fortlaufende Exegese der einzelnen Abschnitte
vornimmt, trifft er zwei grundsätzliche Entscheidungen:
Zunächst weist er die verschiedenen Versuche ab, nach denen
der 2. Korintherbrief eine später hergestellte Briefkomposition
darstellen könnte, und nimmt an, daß der vorliegende Text -
einschließlich der Verse 6,14-7,1 - eine durchgehende Einheit
darstelle (5f.). Da die vorgenommene Untersuchung ausschließlich
dem Zusammenhang von 2,14-7,4 gilt, wird die Exegese der
einzelnen Abschnitte von dieser Annahme nicht wesentlich
betroffen. Gewichtiger ist die zweite Entscheidung, nach der sich
aus dem Text kaum Anhaltspunkte hinsichtlich der von den Gegnern
des Apostels eingenommenen Position gewinnen lassen -
außer dem Hinweis, daß sie sich gegenüber der Gemeinde auf
Empfehlungsbriefe berufen haben (7, ferner 47 u.ö.). Wird man
in der Tat mit der Möglichkeit zu rechnen haben, daß Paulus seine
Kontrahenten nicht immer richtig verstanden, vielleicht auch
ihre Position gelegentlich verzeichnet haben könnte (262 u.ö.),
so sollte doch nicht darauf verzichtet werden, ihren Standort so
genau wie irgend möglich zu ermitteln. Denn ohne Klärung dieser
Frage läßt sich nicht behaupten, es sei Paulus weniger um die
Auseinandersetzung mit einer gegnerischen Theologie gegangen
als vielmehr „um die Profilierung des eigenen Apostolates für die
korinthische Gemeinde auf Kosten der Gegner" (125), so „daß
wir es weniger mit Lehrunterschieden als vielmehr mit einer
Konkurrenzsituation zu tun haben" (134).

In der Interpretation des fortlaufenden Gedankengangs setzt
sich der Vf. mit den zahlreichen exegetischen Problemen auseinander
, ohne dabei die ihn leitende Fragestellung aus dein
Auge zu verlieren. Er sucht darzustellen, daß das paulinische
Verständnis des Apostelamts kaum als Reaktion auf gegnerische
Ansichten, sondern in erster Linie als Entfaltung eigener
Gedanken des Paulus zu begreifen sei. Dabei wird ausgeführt,
daß Paulus „seinen Apostolat durch die Verwendung verschiedener
Bilder und Bezugssysteme" darstellen kann (94), und die
Meinung vertreten, die Verkündigung des stellvertretenden
Todes Christi lasse sich gleichfalls nicht auf ein einziges Modell
der Interpretation - etwa den einer kultischen Sühnevorstellung
- zurückführen (316). Paulus spreche vielmehr „in unterschiedlicher
Weise vom Tod Christi" (314). Doch bevorzugt
der Vf. die Ansicht, daß die Deutung des Todes Christi „Analogien
in antiker Freundschaftsethik besitzt" (318). Wird man
sich mit diesen Argumenten im einzelnen auseinanderzusetzen
haben, so kann dem vom Vf. verfolgten Leitmotiv nur dadurch
die erforderliche Beachtung zuteil werden, daß man sich auf
dessen Beurteilung konzentriert.

Die Ausführungen des Vf.s sind von Anfang bis Ende davon
durchzogen, daß das apostolische Wirken des Paulus als Dienst
eines „Mittlers" charakterisiert (26, 73, 79, 138, 151, 189,
205f., 217, 249 u.ö.), bzw. als das eines „versöhnenden Gesandten
" (143) beschrieben wird. Der paulinische Apostolat werde
daher als eine „soteriologisch relevante Größe" verstanden (31
u.ö.). Der Apostel sei nicht nur berufener Missionar und beauftragter
Bote seines Herrn, sondern er begreife sich als Mittler,
dessen Verkündigung selbst Teil des - noch nicht abgeschlossenen
- Heilsgeschehens sei (195). Nur wenn die Gemeinden „ihn
als den von Gott gesandten Versöhner akzeptieren, haben sie
die Gnade Gottes wirklich angenommen" (ebd.). Wie wird diese
Interpretation begründet?

Die entscheidenden Argumente sucht der Vf. in seiner Interpretation
von 2Kor 5,11-21 vorzulegen. Dabei schließt er sich
neueren Untersuchungen an, nach denen hinter dem Begriff
eines „Gesandten", der freilich bei Paulus nur 2Kor 5,20 - sonst
niemals - verwendet wird, die antike Vorstellung eines Mittlers
von Friedensverhandlungen und Friedensschlüssen stehen soll
(295-299). Der in antiken Texten dabei verwendete Begriff

eines „Versöhners", der den besonderen Auftrag des „Gesandten
" charakterisiert, fehlt jedoch bei Paulus. Denn Gott allein ist
es, von dem die Versöhnung ausgeht und verwirklicht wird.
Dieser wichtige Sachverhalt, der die als „Analogie" herangezogenen
Belege von den paulinischen Aussagen in wesentlicher
Hinsicht unterscheidet, müßte genauer beachtet werden.

Zu fragen ist jedoch auch, ob die vom Vf. vorgetragene Exegese
- insbesondere von 2Kor 5,18 - die auferlegte Beweislast
wirklich tragen kann. Danach soll der erste Teil des Verses von
Paulus allein handeln und von der Versöhnung sprechen, die
ihm bei seiner Bekehrung und Berufung zuteil wurde; erst der
zweite Teil aber rede vom Apsotelamt, durch dessen Wirken
das Versöhnungsangebot gemacht werde. Der Vorgang der
Versöhnung sei mithin noch nicht abgeschlossen, sondern werde
erst vollendet, wenn das Angebot der Versöhnung angenommen
worden sei. Die vorgetragene Interpretation komm) somit
zum Ergebnis, „daß V. 18 zunächst nur der Apostel vom direkten
Versöhnungsvorgang... betroffen ist, alle anderen dagegen
erst in der Folge des durch den Apostel an sie ergangenen Versöhnungsangebotes
zur Gemeinschaft" in Christus hinzutreten
können (300). Hier ist nun nicht mehr davon die Rede, daß der
Bote ganz hinter seiner Botschaft zurücktrete (279), sondern
nun wird der Bote zur Botschaft selbst (189), der „auch seinerseits
mit der Herstellung von Versöhnung zwischen Gott und
Menschen beauftragt ist" (194), so „daß der apostolische Dienst
als ein unverzichtbarer Bestandteil dieses Vorgangs erscheint"'
(298). Damit ist deutlich, was der vom Vf. häufig verwendete
Ausdruck vom Mittlerdienst des „versöhnten Versöhners"
inhaltlich meint. Aber vermag diese Sicht zu überzeugen?

Der Vf. ist sich dessen bewul.lt. dal.! mancherlei Argumente gegen seine
Auflassung sprechen und nicht leicht ZU entkräften sind. Einige seien kurz
genannt: In Rö 5 entwickelt Paulus ein anderes Veständnis von Begriff und
Inhalt der Versöhnung, indem eindeutig „von einer bereits abgeschlossenen
Versöhnung" ausgegangen wird (299, 306). Im l. Korintherbrief trägt Paulus
keine Bedenken, auch andere Mitarbeiter wie z.B. Apollos neben sich
gelten zu lassen (63 Anm. 1). Sollte sich wirklich vom I. zum 2. Korinther
brief - und dann wieder zum Römerbrief - ein grundlegender Wandel im
paulinischen Gedankengefüge vollzogen haben, wie nach der vorgetragenen
These angenommen werden müßte? Im Römerbrief, der freilich an
eine nicht von Paulus gegründete Gemeinde gerichtet ist. würde dann nicht
nur ein von 2Kor S unterschiedenes Verständnis der Versöhnung entwickelt
, sondern nunmehr auch das Apostelamt zurückhaltender ins Spiel
gebracht. Doch will der Hingang des Römerbriefes unter dieser Fragestellung
noch einmal gründlich bedacht sein. Schließlich empfindet der Vf.
selbst, daß das von ihm einwickelte Urteil über das Apostelamt eine auffallende
Nähe zu deuteropaulinischen Aussagen aufweist - wie z.B. zu dem
Satz von Kol 1.24, den er am liebsten als authentische paulinische Feststellung
werten möchte (I K7f.). Der Vers 2 Kor 4.5 wird in der Abhandlung nur
kurz gestreift (1.37f.), müßte aber doch wohl zu gründlicherer Prüfung
Anlaß bieten. Denn Paulus läßt hier keinen Zweifel daran, daß er nicht sieh
selbst zu verkündigen hat, sondern allein Jesus Christus als den Kyrios.
Diese Feststellung dürfte ganz auf der Linie dessen liegen, was Paulus im I.
Korintherbrief als Anfrage gegen die Neigung zu Parteiungen formuliert: ob
er denn etwa für die Korinther gekreuzigt worden sei - oder sie auf den
Namen des Paulus getauft wurden (1.13)?

Zu Recht wird herausgestellt, daß Christologie und Apostelamt
von Paulus in enger Bczogenheit zueinander gesehen werden
. Wie deren gegenseitiges Verhältnis jedoch zu bestimmen
ist, wird aufs neue zu bedenken sein - eine Aufgabe, die aller
Sorgfalt exegetischer Bemühung wert bleibt.

Göttingen Eduard Lohse

Vouga, Fran^ois: Geschichte des frühen Christentums.

Tübingen-Basel: Francke 1994. XIV. 287 S. Id.8° = UTB,
1733. Kart. DM 32,80. ISBN 3-8252-1733-7.

Angesichts der Tatsache, daß seit Anfang der achtziger Jahre
mehrere - allein deutschsprachige - Darstellungen der „Geschichte
des frühen Christentums" erschienen sind, ist eine so