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Ausgabe:

1995

Spalte:

242-244

Kategorie:

Neues Testament

Autor/Hrsg.:

Schröter, Jens

Titel/Untertitel:

Der versöhnte Versöhner 1995

Rezensent:

Lohse, Eduard

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Theologische Litcraturzeitung 120. Jahrgang 1995 Nr. 3

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glaubenden Menschen bezieht, ist schon Vorbereitung auf seinen
Gegensatz dazu, der im Rückblick auf den Hymnus in 2,9-
15 die nach 2,15 von Christus besiegten ..Machte und Gewalten
" negativ sieht.

Der eigentliche Streit in Kolossac geht also darum, worauf
Weisheit gegründet ist. auf Naturbeobachlung des Verstands oder
- in von Paulus beeinflußter apokalyptischer Denkweise - im
dualistisch der Welt gegenüberstehenden „Geheimnis" Gottes,
das noch „verborgen" ist. Erfreulich ist die Rückfrage nach der
Bedeutung für heutige Theologie im Epilog (146-149). Freilich
zeig! sich da. daß die so verstandene Haltung des Briefverfasseis
das komplexe Verhältnis von Gott und Welt vereinseitigt, auch
wenn man gewiß nicht Gott mit dem Kosmos identifizieren darf.

Ich halte diese Lösung für möglich. Ihr Vorteil besteht darin, dafi auch
1.15-20 für die ..Irrlehrer" reklamiert werden kann, während ieh meine, daß
sie zwar die Weltherrschaft Christi anerkannt, aber gefürchtet hatten, daß
nicht völlig reine Seelen nach dem Tod nicht zu ihm aufsteigen könnten.
Der Hymnus wäre also der Gesamtgemeinde zuzuweisen, und der Briefverfasser
stünde genau in der (im Epilog geforderten) Mittelstellung zwischen
enthusiastischer Allversöhnung und ängstlich-rigoroser, asketischer Ablehnung
der Well. Zuzugeben ist. datl im Brief nie ausdrücklich vom Aufstieg
der Seele gesprochen ist: doch Mette sieh davon her die Abweichung von
Paulus erklären, daß (nach 2.12: 3.1) die Kolosser schon auferstanden siiul,
auch wenn das endgültige Leben noch verborgen ist und sie daher stets sieh
„nach oben" ausstrecken sollen (3,1-4).

Schwierig ist die Wendung „Philosophie gemäß (oder: einsprechend
) den Weltelementen", die eher auf deren positive
Bedeutung hinweist. Ihr zweimaliges Vorkommen zeigt deren
zentrale Bedeutung. Jedoch „Philosophie gegen die Elemente"

oder ..... der Elemente" konnte er doch nicht sagen und peri

cgen. hätte nicht eine von den Elementen bestimmte Philosophie
bezeichnet und wäre sogar als „zugunsten" interpretierbar.
Gewiß kann auch die gute Ordnung der Elemente geschildert
werden, aber meistens so. daß ihr mögliches Auseinanderbrechen
erwähnt wird. Auch zu Beginn des Textes Alexanders ist
immerhin der ganze die Welt umhüllende Äther ebenso wie
Abend und Herbst ..ungesund". Vor allem müßte man dann
„Kosmosphilosophie" oder „Philosophie des Lebens nach der
Natur" erwarten. Gal 4.3.9 sind so oder so schwer zu deuten,
sprechen aber negativ von einer Knechtschaft unter die „schwachen
und armen" Elemente.* Und ob die Erwähnung des in den
Paulinen geläufigen nous (2,18. vgl. 1,28: 3.16 nouthetein positiv
) dazu genügt, eme zentral die Rolle des Verstandes betonende
Philosophie vorauszusetzen, bleibt fraglich.

Ich sehe daher vorläufig (alle Belege: JBL 1988, 456-464)
immer noch als Hintergrund die vom ..I.einer Piatos" Empedo-
kies ausgehende Linie. In einem Fragment einer Dichtung über
„Reinigungen" durch Askese wird die Qual der „Dämonen" von
Mördern und Meineidigen geschildert, die 3000 Perioden lang
fern von den Seligen gejagt werden: „Macht des Himmels jagt
sie ms Reich des Ozeans. Ozean spuckt sie auf den Boden der
Erde, und die Erde treibt sie direkt in die Sonnenstrahlen, die
sie wieder in den Wirbel des Himmels überstellen." Zitiert wird
dies um 200 n.Chr. von Hippolyt, ist also noch immer lebendig.
Plutarch Inn (als Platoniker!) zehn (verlorene) Bücher über
Empedokles geschrieben, so wichtig scheint er damals gewesen
zu sein. Auch er sieht in den vier Elementen die sublunare Welt,
in der die „Dämonen" (Seelen) Buße tun müssen, aus der sie
aufsteigen, zu Heilanden der Menschen werden, schließlich
ganz in die Welt der Götter aufsteigen oder aber wieder für
unendlich lange Zeiten niedersinken. Dasselbe beschreibt der
zweite Teil des Abschnitts über die vier Elemente von Alexander
. Von den vom Leib wie von Erde und Wasser befreiten Seelen
steigen die einen zum höchsten Ort (oder Element) auf.
während die unreinen wieder „durch unzerreißbare Ketten
gefesselt werden", wieder andere als Heroen und Dämonen alle
Luft erfüllen und verehrt werden, wenn auch nicht mit gleicher
Reverenz wie die Götter. Reinheit aber ist zu erreichen durch

Bäder und (pythagoreische) Abstinenz von Speisen, aber auch
vom Sexualverkehr. Für Josephus ist der Glaube an den Aufstieg
der Seelen ins reinste „Element", von wo sie ihrer Nachkommenschaft
(lies 462 bei mir „posterity", nicht „prosperity")
als „gute Dämonen und wohlwollende Heroen" erscheinen, Allgemeingut
. Philo identifizier! diese dreimal mit den biblischen
Engeln. Die vier Elemente garantieren wohl den Bestand der
Welt, aber nur so. dafi Gott an jedem Neujahr die Kriegstrompete
bläst und unter ihnen wieder Frieden schafft („Frieden stiftend
" ist in Kol 1,20 terminus der Redaktion, nicht des Hymnus
), bevor das Chaos ausbricht. Auch sieht er die Rolle der
Elemente, die die Seelen hindern, aufzusteigen und zu Dämonen
(Engeln) zu werden, ja sie wieder „in sterbliche Leiber fesseln
". Die Vorstellung von der Welt als einer „Vernichtung
aller durch alle" ist gleichzeitig bei „Hippokrates" belegt. M.E.
preist das Gemeindelied also Christus, der ein für allemal Frieden
geschaffen hat im All. Antienthusiastisch erinnert der
Briefverfasser an Sündenvergebung und Bewährung im Glauben
, die zugleich von aller Angst und rigorosen Gesetzlichkeit
befreit, weil die Gemeinde grundsätzlich schon zu Christus aulerstanden
ist.

Seine gründliche, viel neues Material beibringende, sehr dankenswerte
Darstellung halte ich also für möglich, freilich mich
noch nicht überzeugend. Man müßte wohl einmal alle Stellen,
wo die Weltelemente vorkommen, ebenso gründlich prüfen.
Wenn sich dabei zeigen sollte, daß seine Sicht, für mich "less
problematic" als alle andern, das in meiner "less problematic"
(DeMaris!) Hypothese vorgelegte Material doch besser deutet,
werde ich, falls ieh das noch erlebe, mich für uns beide darüber
freuen.

Zürich Eduard Schweizer

* Vgl. den gründlichen Beiltag von J. L. Martyn: Christ, the Elements of
the Cosmos and the Law in Galatians. in: The First Christians and Their
Social World (FS A. Meeks. Minneapolis: Fortress 1955), nach Druckbogen
zitiert: S. 16-39. Besonders wichtig ist der Hinweis auf Apuleius.
Met.11,5 (vgl. 11,25): Isis als „Herrin aller Elemente" (21). auf Weish 13,2:
„Feuer, Wind, heftiger Luftzug. Kreisbewegung der Gestirne, stürzende
W.issct oder Fackelträger des Himmels" (23) und au Idas Modell Abrahams
als ersten Proselyten. der von der Betrachtung der Welt her (die Götzendienst
werden kann: Philo Vit Cont 3) zum Glauben an Gott kam (22-26).
Besonders das Letzte könnte für DeMaris (in Anm. 17 u. 35 genannt) sprechen
. Freilich betont Paulus nach Martyn das Gegeneinander der (bei Philo
in Gegensatzpaaren geordneten) Elemente (29-31). Ob damit die Schwierigkeit
gelöst ist. daß nach Gal 4.3 wir (die Judenchristen einschließend)
unter die Wellelemente geknechtet waren, weil auch das Mosegeselz die
(nach Gal 3.2X von Christus überwundene!) in Gegensätze geteilte Welt
festhält (31f). ist eine hier niehl zu diskutierende Frage für sieh, ebenso wie
sich das Gesetz der alten ..Well" zu dem der neuen verhält (.32-39).

Schröter. Jens: Der versöhnte Versöhner. Paulus als unentbehrlicher
Mittler im Heilsvorgang zwischen Gott und Gemeinde
nach 2Kor 2,14-7,4. Tübingen-Basel: Francke 1993.
XIV. 378 S. 8° = Texte und Arbeiten zum neutestamentlichen
Zeitalter. 10. Kart. DM 86.-. ISBN 3-7720-1889-0.

Diese engagiert geschriebene Heidelberger Dissertation untersucht
den Abschnitt 2Kor 2,14-7,4, „ein zentrales Stück paulini-
scher Theologie" (346). das freilich dem Verstehen erhebliche
Probleme aufgibt. Der Vf. ist sich der Schwierigkeiten der
angepackten Aufgabe durchaus bewußt, setzt sich mit ihnen
jedoch mutig und entschieden auseinander. Dabei verfolgt er
das Ziel, aus diesem Abschnitt das Verständnis zu erheben, das
Paulus von seinem Apostelamt entwickelt. Die darin sichtbar
werdende Auffassung aber möchte er als eine Anfrage begreifen
„an diejenige Richtung innerhalb der Paulusforschung, die
den Sühnetod Jesu und die Rechtfertigung aus Glauben auf