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Ausgabe:

1995

Spalte:

236-238

Kategorie:

Altes Testament

Autor/Hrsg.:

Krieg, Matthias

Titel/Untertitel:

Mutmaßungen über Maleachi 1995

Rezensent:

Feist, Udo

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Theologische Literaturzeitung 120. Jahrgang 1995 Nr. 3

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Erstere bestehe darin, daß „ein Sachverhalt sprachlich verfremdet
wird (Bild), über eine darin liegende Wahrheit (Botschaft)
Verbindung zur Situation des Angesprochenen findet und so ein
Modell vermittelt wird, das ein neues Verständnis der Situation
eröffnet" (29). Als „Parabolik" bezeichnet K. „die Fähigkeit"
eines maschal, „seine Leser in besonderer Weise anzusprechen
(reader-involving quality)" (30): „Er zwingt den Angesprochenen
zum Überdenken der momentanen Situation (self-judg-
ment) und versucht, ihn zur Zustimmung zu der von ihm vertretenen
Wahrheit (Botschaft) zu bewegen", indem er ihn bestätigt
, ihm einen Rat gibt oder ihn umzustimmen versucht (37).
Mit „Paradigmatik" und „Parabolik" sind nach K. „zwei Merkmale
genannt und exakt beschrieben, mit deren Hilfe man in
Zukunft zweifelsfrei entscheiden kann, ob ein maschal vorliegt
oder nicht" (37).

Im folgenden Kap. 3 behandelt K. den „weisheitlichen Kunstspruch
" im AT. Während ein „Sprichwort" sich auszeichnet
durch seine „Kürze, geringe poetische Elemente und einjen|
Inhalt, der den Bereichen allgemeiner Erfahrung entstammt", ist
ein „Kunstspruch... demgegenüber länger, durch den Parallelismus
membrorum gestaltet und kann über Bereiche allgemeiner
Erfahrung hinaus Spczialwissen der weisheitlichen Tradition Israels
enthalten" (61). Das Sprichwort gehört nach K. als Mittel
der „Belehrung" zur „Erfahrungsweisheit", während der Kunstspruch
als Mittel der „Erziehung" der „Bildungsweisheit" zuzuordnen
ist und einer „feiernden Haltung" zur Wirklichkeit sowie
einem „elitären Selbstbewußtsein" Ausdruck gibt. „Anlaß für die
Entstehung des Kunstspruches war die mit der Entstehung der
Monarchie gewandelte Funktion der Erziehung. Es konstituierte
sich ein Erziehungswesen, dem es nicht mehr um Orientierung in
den wechselnden Situationen des täglichen Lebens, sondern um
Menschenbildung ging" (61).

Im umfangreichsten 4. Kap. seiner Arbeit legt K. sodann eine
..formgeschichtliche Analyse des Buches Kohelet" vor. Nach
einer Einführung in den Diskussionsstand (4.1) untersucht er
„die Sprüche Kohelets" (4.2), „die größeren meschalim Kohe-
lets" (4.3) und die Form des Kohelet-Buchs als Ganzem (4.4). Er
kommt zu dem Ergebnis, „daß Kohelet von den Denk- und Aus-
sageformen seiner Tradition Abschied genommen hat." Sein
„Selbstverständnis ist kein elitäres und sein Verhältnis zur Wirklichkeit
kein feierndes mehr" (157). Angesichts der „Kontingen/
allen Geschehens" geht es ihm „mehr um Verhalten als um
Erkenntnis und mehr um Handlungsanweisungen für spezielle
Situationen menschlichen Lebens als um die Offenheit für wiederkehrende
Ordnungsstrukturen der Wirklichkeit". „Gott ist für
ihn zum Gegenstand existentieller Furcht geworden", und die
„Lebensfreude" ist „kein rein positives Gut, insofern der sie
gewährende Gott damit versucht, dem Menschen das Bewußtsein
seiner Sterblichkeit zu nehmen" (158). Der Tod ist „für Kohelet
nicht nur eine unüberschreitbare Grenze, sondern eine das gesamte
Leben des Menschen bestimmende Macht" (159). Das
Kohelet-Buch als Ganzes ist „eine formgeschichtliche Größe sui
generis, weil es zwei weisheitliche Gattung|en|. die Spruchsammlung
und die Weisheitslehre, zu einer spannungsvollen
Einheit verbindet" (166). „Das Buch Kohelet ist kein maschal",
aber „für den aufmerksamen Leser" wird „der Autor selbst im
Laufe der Lektüre zum maschal" (167).

Im abschließenden Kap. 5 ordnet K. die „Weisheit Kohelets"
(5.4) in die geschichtliche Entwicklung der „Weisheit Israels"
von der „Erfahrungsweisheit" (5.1) über die „frühe" (5.2) zur
„späten Bildungsweisheit" (5.3) ein. Die ..Negativerfahrungen"
der hellenistischen Zeil führten bei Kohelet zu einem „Zusammenbruch
weisheitlichen Selbst- und Wirklichkeitsverständnisses
" (198) und dem „Versuch einer Synthese mit dem herrschenden
Zeilgeist" (199). Kohelets „Wirklichkeitsverständnis" ist
geprägt von einem „distanzierten Realismus" (203). sein „Selbstbewußtsein
" von einem „resignierten Subjektivismus" (204).

Die Ausführungen K.s zum maschal und zum ..Kunstspruch" im AT sind
durchaus diskutierbar. aber doch in historischer wie in exegetischer Hinsieht
mit /.ahlreichen Fragezeichen zu versehen. Zudem wären sie durch den
Einbezug außcr-atl. Weisheitsliteratur auf eine breitere Basis zu stellen. Vor
allem aber zeigt K.s formgesehiehtliehe Untersuchung der ..Sprüche Kohelets
". daß sich dessen Eigenarten wahrscheinlich weniger „an der Art und
Weise, wie er vorgegebene Sprachschemata abwandelt, ablesen lassen",
wie K. anfänglich vermutete (12). als vielmehr daran, welchen Gebrauch er
von solchen ..Sprachschemata*' macht. Wenn etwa ein ..Kunstspruch...
durch den Kontext und die Einbindung des Spruches in diesen korrigiert"
wird (157). wird damit das ..Spraehsehenia" dieses Spruches selbst ja gerade
nicht abgewandelt. In Anbetracht dieses Befundes wäre es interessant
gewesen, wenn K. neben maschal und Kunstspruch auch Spruchsannnlung
und Weisheitslehre als Kohelet vorgegebene „Sprachschemata" (vgl. 1651!)
bei seinen „form- und gatlungsgeschichtlichen Analysen" berücksichtigt
hätte. In der neueren Forschung zum Proverbia-Buch (vgl. nur den 1991
erschienenen Proverbia-Kommentar von Arndt Meinhold) wird ja zunehmend
deutlich, daß schon in der Komposition (und nicht nur ..Sammlung"!)
von Sprüchen in Prov IOff diese durch ihre Einbindung in einen literarischen
Kontext neu interpretiert und auch kritisch korrigiert werden.

Daß die „Formgeschiehte" allein keine tragfähige „Basis" für
ein „neues Verständnis" des Kohelet-Buchs bietet, lassen K.s
eigene Interpretationsvorschläge zu einzelnen Texten erkennen,
in die zahlreiche Voraussetzungen einfließen, die philologisch,
literaturwissenschaftlich sowie traditions- und theologiegeschichtlich
zu überprüfen wären. Aber auch „formgeschichtlich
" erscheint es z.B. durchaus fraglich, ob es sich bei Koh
1,12-2,26 wirklich um eine ..weisheitliche Lehrerzählung"
(„mit negativem Vorzeichen" und „autobiographische!r| Stilisierung
") handelt, wie K. meint (1341"). Historisch wären die
Eigenarten des Kohelet-Buches nicht nur im Spannungsfeld von
„Weisheil Israels" und „hellenistischer Zeitgeist" zu bestimmen
, sondern im weiteren und zugleich differenzierteren Dis-
kussions-Horizont der frühjüdischen Theologie seiner Zeit.
Theologisch sind wohl nicht nur die „Fragen", die das Kohelet-
Buch stellt, für heutige Leser von Bedeutung, sondern auch seine
„Antworten" - auch wenn sie „vielleicht nicht die sind, die
sie zu finden hoffen" (204).

Zürich Thomas Krüger

Krieg, Matthias: Mutmaßungen über Maleachi. Eine Monographie
. Zürich: Theologischer Verlag 1993. 283 S. 8« =
Abhandlungen zur Theologie des Alten und Neuen Testaments
, 80. Kart. DM 38,-. ISBN 3-290-10858-9.

Wie Ironie stets der Wahrheitsfindung dient, so auch hier: Von
vornherein verheißen die Anlehnungen von Titel und Text an
Uwe Johnsons Roman .Mutmaßungen über Jakob* den Eingeweihten
, daß der Weg, die Suche nach dem wahren Maleachim,
am Ende die Wahrheit selbst sein bzw. diesseits von purer Fak-
tizität liegen wird. Ebenso programmatisch ist die Wahl einer
bestimmten Gattung von Wissenschaftsprosa, denn: „Der
Monograph ist Hermeneut seines Gegenstandes." (17) Insofern
löst die Atbeil alle Selbstverständlichkeit in Rede von Selbstverständnis
auf. Diese Offenherzigkeit und die im Anschluß an
Johnson durchgehaltene Unterscheidung von Beobachtung und
Mutmaßungen (wechselnder Wahrscheinlichkeil und insofern
gerade auch historisch-kritisch!) sind zunächst bestechend, also
suggestiv. Wegen der ironischen Konzeption wirkt das jedoch
niemals störend.

Die sachliche Programmatik liegt begründei in den Vorentscheidungen
: Mit der zeitgleich abgeschlossenen Arbeit Utz-
schneiders (Künder oder Schreiber? Frankfurt/M. 1989) in der
Auffassung von .schriftstellerndcr und Lektüre verarbeitender
Schriftprophetie' (13) einig, wendet der Vf. sich entgegen heute
die Forschung dominierenden Tendenzen, den vorliegenden
Text einheitlich zu lesen, explizit den „Pfaden der .Alteren""
(15) zu. Dabei sollen die unübliche Zeilen- stall Verszählung