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Ausgabe:

1995

Spalte:

220-222

Kategorie:

Allgemeines

Autor/Hrsg.:

Politik, Religion

Titel/Untertitel:

Menschenwürde 1995

Rezensent:

Jähnichen, Traugott

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219

Theologische Literaturzeitung 120. Jahrgang 1995 Nr. 3

220

Ein Jurist und eine Juristin. Wilhelm Henke und Regina Ogorek, befassen
sich mit „Hermeneutik in der Jurisprudenz". Bei unterschiedlichen Akzentsetzungen
zum Verhältnis von Recht und Gerechtigkeit sind sie einig darin,
daß ..erst am Fall und durch den Fall... in einer Art szenischem Verstehen
einsehbar" wird, „was das Gesetz eigentlich meint" (195), und so auch erst
Gerechtigkeit entstehen kann.

Der Alttestamentier Odil Hannes Steck behandelt die „Prophetische Prophetenauslegung
" und meint damit das Phänomen von „in sich wachsender
Schriftprophetie" (206). Er ist der Ansicht, daß der „Sinn prophetischer
Aussagen des Alten Testaments" heute nur aus dem „höheren Einklang von
historisch erhobenem ursprünglichen Sinn, der Sinnbewegung des Traditionsprozesses
in der Heiligen Schrift selber und am christlichen Credo orientierter
Hermeneutik gefunden werden" kann (243).

Der Systematiker Walter Mosterl redet „Über die Wahrheit der Schriftauslegung
" und stellt das „Ineinanderexistieren der christologischen Kontingenz
mit der Fundamentalfrage des Gottesverhältnisses" heraus, wobei
„die Kontingenz Jesu Christi... keine bloß historische, sondern eine theologische
oder eschatologische Kontingenz" ist. Demzufolge sei „die Wahrheit
der Auslegung der Schrift... die Auslegung der Wahrheit der Schrift" (256).

Der Literaturhistoriker Robert Jauß nimmt sich des Buches Jona als „Paradigma
der .Hermeneutik der Fremde'" an. Er will am Beispiel einer Jonaauslegung
„der spontanen Horizontverschmelzung durch eine reflektierte
Horizontabhebung" entgegensteuern (276). So gelesen findet er im Jonabuch
die „moderne Dialektik" von Autorität und Konsens vorverhandelt
(282).

Die Praktische Theologin Susanne Heine bespricht den „Widerstand der
Schrift" gegen eine „erfahrungsorientierte Auslegung", sagt, daß „unsere
Erfahrung als eine gottlose zu den Prämissen nicht vorzudringen vermag,
die in der Schrift vorausgesetzt sind" und daß „die Schrift... unsere Erfahrungen
auslegen" will (307), weshalb es „letztlich... dieses Sich-gerufen-
Wissen" bleibt, „das ein voraussetzungsloses Ja erfordert, durch das
menschliche Geschichte in ihrer Vieldeutigkeit und Endlichkeit überhaupt
erst akzeptiert werden kann" (304).

Der Literaturkritiker Werner Weber schließlich hebt zum Thema
„.Gründliches Verstehen'" auf die „Euphorie des Unterwegsseins" ab, „die
mit dem Wissen umzugehen vermag, daß die Herberge nicht zu erreichen
ist - daß es sie aber gibt". Sage man statt „Herberge" Wahrheit, wo sei „mit
dem impliziten Ewig-Nie auch die Lust und die Last des Geschäfts berührt,
das Hermeneutik heißt" (318).

Hans Friedrich Geißer hat sich in einer Einführung große
Mühe gegeben, einen roten Faden der Vorlesungen herauszustellen
und Diskussionsanstöße mitzuteilen. Das ist schon fast
eine in reflektierender Meditation vor sich gehende Rezension
der Reihe, der eine weitere kaum hinzuzufügen wäre. Hervorzuheben
sind die ungemeine Erudition der Referierenden und die
Höhenlage ihrer Gedankenführung, was ein notwendigerweise
an den Zielgedanken orientiertes Referat nicht wiederzugeben
vermag. Hervorzuheben ist auch, daß hier alle textbezogenen,
also auslegenden Wissenschaften sich zu gemeinsamer Besinnung
vereint haben, was doch nicht so häufig geschieht. Man
kann da im einzelnen viel lernen, wobei dem Rezensenten die
Juristen mit ihrer geschichtlich vergleichsweise gering reflektierten
, jedoch sachlich und persönlich tief bedachten Bezugsproblematik
von Gesetzestext und Anwendungsfall, dabei aber
von Recht und Gerechtigkeit, besonders entgegengekommen
sind.

Hervorzuheben ist schließlich, daß die hermeneutische Problematik
als solche fast allenthalben bejaht wird, was selbstverständlich
scheinen mag, jedoch so selbstverständlich auch wieder
nicht ist. Die Lösungswege sind aber höchst plural, wobei
immer noch eine eher textbestimmte und eine eher rezeptionso-
rientierte Hermeneutik einander zu begegnen scheinen und
Horizontverschmelzung oder Horizontabhebung different
akzentuiert werden. Man wundert sich ein wenig dabei, wie
gering der Einfluß von Naturwissenschaftlich-Weltbildhaftem
veranschlagt wird. Es bleibt also die umfängliche, disziplinenübergreifende
, hochgelehrte und immer, wenn auch unterschiedlich
, lösungsorientierte Vorstellung hermeneutischer
Konzeptionen, und es bleibt der sensible Schlußsatz Geißers:
„Wir bedenken vielleicht, was unsere Gedanken rein, was uns
mitsamt unseren Worten wahr zu machen vermöge" (28).

Jena Martin Seils

[Hampel, Adolf:] Politik - Religion - Menschenwürde.

Herrn Prof. Dr. theol. Adolf Hampel zum 60. Geb. am 7.
September 1993. Hg. von B. Jendorff u. G. Schmalenberg.
Gießen: Selbstverlag des Fachbereichs Evang. Theologie und
Kath. Theologie und deren Didaktik 1993. 416 S., 1 Porträt, 1
Taf. 8° = Gießencr Schriften zur Theologie und Religionspädagogik
des Fachber. Evang. Theologie u. Kath. Theologie
u. deren Didaktik der Justus-Liebig-Universität, 7. ISBN 3-
923690-06-1.

Diese Festschrift, erschienen im Selbstverlag der Gießencr
theologischen Fakultät, ist dem katholischen Moraltheologen
und Kirchengeschichtler Adolf Hampel gewidmet. Die Anordnung
der einzelnen Aufsätze, von den einleitenden, persönlich
gehaltenen Beiträgen der ehemaligen stellvertretenden Mini-
sterpräsidentin Litauens, K.-D. Prunskiene, und H.s Schwagers,
Th. Ross, abgesehen, erfolgt nach alphabetischer Reihenfolge
und scheint zunächst eine Fülle unterschiedlichster Themen und
Problemstellungen zu versammeln. Bei genauerem Zusehen
lassen sich jedoch deutlich einige Schwerpunkte benennen, die
grundlegende Anliegen der theologischen und damit implizit
auch politischen Arbeit H.s widerspiegeln.

Der eindeutige Themenschwerpunkt dieser Festschrift gilt
dem Engagement H.s für die Freiheit und die Menschenrechte
der Völker Ost- und Südosteuropas. H., von Geburt Sudetendeutscher
, hat sich schon früh intensiv um einen Dialog mit
Menschen in Osteuropa bemüht. So hat er stets versucht, die
Traditionen und Geistesströmungen dieses Raumes, nicht
zuletzt auch durch Übersetzungen wichtiger osteuropäischer
Schriften, seinen Studierenden wie auch einer breiteren Öffentlichkeit
bekannt zu machen. Vor allem aber ist er bereits seit
länger Zeit ein unermüdlicher Anreger persönlicher Kontakte
und Begegnungen zwischen Ost und West. Getragen ist dieses
Engagement, wie Th. Ross in der Festschrift formuliert hat, von
der Hoffnung auf eine Verbindung von Ost und West in Freiheit
und Vernunft (vgl. 22). Vor diesem Hintergrund konnte H. den
„Zusammenbruch des Kommunismus und des sowjetischen
Imperiums (sowie) die Befreiung Ostmitteleuropas" (ebd.) als
die Erfüllung eines großen Traumes erleben.

Diese vielfältigen Aktivitäten finden in der Festschrift einen
reichen Niederschlag. Neben dem persönlich gehaltenen Bericht
Frau Prunskienes, die interessante Details aus der Zeit der
Umbruchsituation des Baltikums anführt, finden sich Beiträge
zum polnisch-deutschen Verhältnis (61 ff und 337ff), zur kirchlichen
Situation in Jugoslawien (23ff), wobei auch die positiven
ökumenischen Ansätze aus der Zeit vor 1991 zur Sprache kommen
(123ff), zur Bedeutung des russischen Kosakentums
(149ff), zur kulturellen und religiösen Erneuerung in der Ukraine
(201 ff), zur Situation in Albanien (239ff) sowie resümierende
Artikel über die Rolle der Kirchen während des Umbruchs in
Ostmitteleuropa (253ff) und über die zentrale Bedeutung der
Religionsfreiheit - nicht zuletzt im KSZE-Prozeß - als Prüfstein
für die Wahrung der Menschenrechte (363ff). Auch die
Bedeutung der liturgischen Überlieferung für den Dialog zwischen
der katholischen und der orthodoxen Kirche wird in ihrer
Grundproblematik thematisiert (3171T). Ergänzt wird diese
Umschau schließlich durch zwei Beiträge georgischer Dozenten
für Philosophie und Psychologie über die Struktur und Wisscn-
schaftlichkeit von Weltanschauungen (287ff u. 397ff)- Somit ist
die Festschrift eine wahre Fundgrube zum Thema Osteuropa
und kann wichtige Materialien und Einsichten zum Dialog zwischen
West- und Osteuropa beitragen.

Die beiden weiteren thematischen Schwerpunkte der Festschrift
ergeben sich im wesentlichen aus der universitären Verankerung
H.s. Zum einen finden sich einige kirchengeschichtliche
Arbeiten, zum anderen religionspädagogisch orientierte
Beiträge.