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Ausgabe:

1995

Spalte:

185

Kategorie:

Praktische Theologie

Autor/Hrsg.:

Bach, Ulrich

Titel/Untertitel:

"Gesunde" und "Behinderte" 1995

Rezensent:

Winkler, Eberhard

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185

Theologische Literaturzeitung 120. Jahrgang 1995 Nr. 2

186

ehen, das theologische Problem der Bewertung von „Gewinn"
grundsätzlich erörtert.

Seit Erscheinen des Buches haben sich die Probleme der
Finanzierung des Sozialstaales, und damit auch gerade der Leistungen
an die freien Trager. eher verstärkt. Von daher kann R.s
Untersuchung als höchst aktuell bezeichnet werden. Ob seine
Lösungen zu verwirklichen sind, kann allerdings gefragt werden
. Diakonie unter ökonomischen Gesichtspunkten zu betrachten
hat eher Seltenheitswert, ist Sache von einzelnen. Kurzum,
der Gesamthorizont, und zwar auf der theologischen Reflexionsebene
wie auf der Ebene praktischer Handlungsimpulse
stimmt mich eher skeptisch, so sehr man sich um einer innovativen
Diakonie willen die Weiterentwicklung der Ansätze von R.
wünschen möchte.

Hannover Karl-Fritz Daiber

Bach, Ulrich: .Gesunde' und .Behinderte'. Gegen das Apart-
heidsdenken in Kirche und Gesellschaft. Mit einer Einführung
von Th. Strohm. Gütersloh: Kaiser; Gütersloh:
Gütersl. Vcrlagshaus 1994. 128 S. 8° = Kaiser Taschenbücher
, 134. Kart. DM 19,80. ISBN 3-579-05134-2.

Die Trennung zwischen Gesunden und Behinderten, die sich
mit einer theologischen Abwertung behinderten Lebens verbindet
, versteht Bach wie in zahlreichen vorangegangenen Publikationen
in Analogie zum rassistischen Apartheidsdenken. Im
Gegensatz zu einer solchen Apartheidstheologic. die in Christus
das Ende der Behinderung finden will, steht Christus als „das
Ende der Behinderung als Unwert". B. deckt Wurzeln der
Euthanasie-Mentalität auf und sieht sie u.a. in einem gespaltenen
Menschenbild, das Behinderte ausgrenzt. Er untersucht das
Problemfeld in diakoniegeschichtlichcr Sicht („Wir sind in die
Irre gegangen". Überlegungen zur Diakonie in den Jahren vor
1933 und nach 1945, 14-55), in der Perspektive theologischer
Anthropologie (Bausteine für ein theologisches Nachdenken
über Menschenbild und Menschenwürde, 56-76), in der Auseinandersetzung
mit Ch. Anstötz und P. Singer über sog. „lebensunwertes
Leben" (77-99) und in einem Vortrag „(Biblische)
Theologie: Förderung oder Korrektur der heutigen Gesund-
heits-Vergottung?" (100-121). Immer geht es um die Botschaft,
daß Gottes sola gratia zu empfangendes Heil Behinderten und
Kranken nicht weniger gehört als Gesunden.

n. w.

Kirchen- und Religionssoziologie

Grahner, Wolf-Jürgen: Religiosität in einer säkularisierten
Gesellschaft. Eine Kirehenmitgliedschaftsuntersuchung in
Leipzig 1989. Frankfurt/M.-Berlin-Bern-New York-Paris-
Wien: Lang 1994. 225 S. 8»> = Europäische Hochschulschriften
. Reihe Theologie. 499. Kart. DM 65.-. ISBN 3-631-
46670-6.

Knapp fünf Jahre nach jenen Ereignissen, die sich, biographienah
, für DDR-Bürger eher als „Wende" eingeprägt haben, in
Westdeutschland dagegen stärker nur als das „Hinzutreten der
neuen Bundesländer" wahrgenommen wurden, fallen nun in
verstärkter Zahl sozialwissenschaftliche Untersuchungen an,
die weniger dem „Voiher-Nachher"-Schema folgen. Sie versuchen
vielmehr die Dynamik eines sozialen Prozesses zu protokollieren
, dessen Ergebnis im Bereich des Sozial-Kulturellen
noch kaum absehbar ist. Auf dem Gebiet der sozialwissenschaftlichen
Erforschung religiös-subjektiver Attitüden und
einer auf Kirche hin orientierten Religionspraxis wird demnächst
die dritte EKD-Mitgliedschaftsuntersuchung ihren abschließenden
Bericht vorlegen. In ihm wird erstmals auch Ostdeutschland
vertreten sein. Er dürfte, sowohl bezogen auf den
Zeitpunkt der Datenerhebung als auch auf den der Interpretation
der Daten, nachdrücklich von der Dynamik der „Nachwende-
Erfahrungen" geprägt sein. Da erscheint es nicht nur wegen
historiographischer Interessen, sondern auch um Legendenbildungen
vorzubeugen, sehr hilfreich, daß im religions- bzw. kirchensoziologischen
Bereich nun eine Studie erschienen ist, die
noch unter DDR-Bedingungen konzipiert und realisiert wurde,
nämlich 1989. Sicherlich ist dieses Jahr als umbruchgeprägt zu
kennzeichnen. Gleichwohl erschien die Annahme nicht plausibel
, daß die in dieser Arbeit erhobenen Einstellungen und Praktiken
dem Bewußtsein baldigen Wechsels der Verhältnisse entsprungen
seien und von daher als untypisch gelten müßten.
Gerade angesichts mancher verklärungswilliger Erinnerungen
an ein DDR-Kirchentum, in der Kirche „noch ganz bei sich
selbst" gewesen sei, ehe sie den Korruptionszumutungen eines
mit Staat und Finanzsystem verwobenen westdeutschen Kirchenmodells
ausgesetzt wurde, ist eine sozialwissenschaftlich-
systematisch erarbeitete Bestandsaufnahme der wirklichen Verhältnisse
für die einschlägige Wissenschaftsdisziplin sehr wichtig
. Das gilt fast mehr noch für kirchenleitendes Handeln, besonders
wenn dieses sich seine Kraft u.a. aus der Pflege ebenso
nostalgischer wie realitätsferner Projektionen holen sollte.

Die hier angesprochene Leipziger Dissertation ist gut geeignet
, zu einer solchen notwendigen Orientierungsfunktion beizutragen
. Auch wenn der Obertitel - „Religiosität in einer säkularisierten
Gesellschaft" - dem flüchtigen Leser eine flächendeckende
Problembeschreibung suggerieren könnte, so ist doch das. was
sich tatsächlich dahinter verbirgt, nämlich eine raum-zeitlich
beschränkte Befragung von Mitgliedern ausgewählter Leipziger
Kirchengemeinden im Jahre 1989, aufschlußreich genug, schlaglichtartig
und zugleich paradigmatisch das Phänomen der Kirchenmitgliedschaft
soziologisch zu erfassen - also die objektivquantitativ
meßbaren Verhältnisse wie auch, in Ansätzen und
statistisch abstrahiert, die je subjektiven Selbstbilder. Das macht
die Ergebnisse mit denen bestehender (westdeutscher) Untersuchungen
vergleichbar und damit einschätzbar.

Den Leser erwartet eine von einem Theologen geschriebene,
sozialwissenschaftlich-.handwerklich' solide konzipierte Arbeit
, die entsprechend den Erfordernissen einer Dissertation
sehr ausführlich die prinzipiellen und die spezifischen Beschränkungen
der Aussagereichweite ihrer erhobenen Daten erörtert
. Sie referiert den theoretischen Kontext, aus dem heraus
die Fragen konzipiert wurden, und sie stellt die Ergebnisse der
Auszählungen behutsam, mitunter auch sehr zögerlich, in den
allgemeinen Diskussionsraum empirischer Religionssoziologie.
Dabei scheint der Autor stets eine kirchlich-theologisch geprägte
Leserschaft vor Augen zu haben, die er sehr behutsam an die
Ergebnisse und ihre Konsequenzen meint heranführen zu müssen
- ein „Kommunikationsstil", für den es im Raum der
(DDR-)Kirche, in der der Autor aufgewachsen ist, wohl genügend
Anlaß zu geben scheint. Insgesamt ist seine Arbeit für
den, der der Profession empirisch-soziologischen Arbeitens
eher fernsteht, vermutlich nicht leicht lesbar, vor allem wenn
ein unterschwelliges Bedürfnis nach sprachlichem und argumentativen
"fast food" bestehen sollte, wie es heute selbst im
akademisch-geisteswissenschaftlichen Raum mitunter anzutreffen
ist, besonders in Reaktion auf soziologische Arbeiten zum
Thema „Religion (und Jugend)". Aber dem beharrlichen und in
die intellektuelle Disziplin eingebunden bleibenden Leser werden
bei seiner Frage, ob denn wirklich - und ggf. inwieweit -