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Ausgabe:

1995

Spalte:

183-185

Kategorie:

Praktische Theologie

Autor/Hrsg.:

Rückert, Markus

Titel/Untertitel:

Diakonie und Ökonomie 1995

Rezensent:

Daiber, Karl-Fritz

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Theologische Literalurzeitung 120. Jahrgang 1995 Nr. 2

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liehe Einordnungen der behandelten Autoren fehlen ganz oder
sind wenig hilfreich (vgl. 224 zu Rudolf Otto). Ebenso selten
wie unpräzise sind historische Abrisse (etwa 221 f. zur Geschichte
der Religionspsychologie). Die konkreten Gegebenheiten der
Seelsorge einschließlich ihrer Methoden werden nicht eigens
thematisiert, was in einem „Handbuch zur Seelsorgeausbildung
" doch einigermaßen verwundert.

Der originale Titel, deutsch: „Auf der Suche nach einem neuen
Horizont", entspricht den Intentionen des Autors besser. Im
letzten Teil wird sein Bemühen, in einer Zeit des Umbruchs
einen neuen Horizont anzudeuten, besonders deutlich. Ein großflächiger
Überblick über Kennzeichen unserer Zeit läßt aktuell
wichtige Stichworte wie etwa den vielbeschworenen „Paradigmenwechsel
" (319) in den Blick kommen. Die Art hingegen,
wie der Autor in der so umrissenen Situation Orientierung geben
will, entspricht kaum der Aktualität der Problemsichtung.
Beispielsweise wird die Frage nach einem neuen Paradigma in
der Theologie mit einem Hinweis auf die historisch orientierte
Bibelwissenschaft beantwortet (349) - als ob nicht auch und
gerade deren Paradigma aktuell zur Diskussion stünde. Dem
Problem der Sprache, insbesondere dem Verhältnis von Sprache
und Wirklichkeit sowie der möglichen Funktion der biblischen
Symbolsprache für das Zustandekommen von religiöser
Erfahrung wird kein Raum eingeräumt.

Ein Pionier der Seelsorgebewegung legt Rechenschaft ab
über die psychologischen, philosophischen und theologischen
Positionen, die seinen Weg geprägt haben. Zugleich wird etwas
deutlich von der Betroffenheit, mit welcher der Autor die kulturellen
Umbrüche der Gegenwart wahrnimmt. Daß an manchen
Stellen Fragen notiert sind statt Antworten, ist ehrlich und
spricht für das Buch. Manche Einsichten, dem Autor auf seinem
Weg zugewachsen, sind sicher noch nicht verbraucht und könnten
in Zukunft noch einmal Deutekraft entfalten. Die Ziele freilich
, die der Autor selbst für sein Unternehmen nennt (s.o.),
scheinen mir durch den vielfach undeutlichen Entwurf allenfalls
ansatzweise erreicht.

Erlangen Martin Nicol

Praktische Theologie: Diakonik

Rückert, Markus: Diakonie und Ökonomie. Verantwortung,
Fianzierung, Wirtschaftlichkeit. Gütersloh: Mohn 1990. 219
S. SO. Kart. DM 58,-.

Die Untersuchung von Markus Rückert stellt eine Dissertation
dar, die von Prof. Dr. A. Jäger, Bethel/Bielefeld betreut wurde.
Der mit dem Namen Jäger verbundene Reflexionszusammenhang
diakonischer Probleme bestimmt auch die vorliegende
Arbeit, wobei der Vf. mit seiner Themenstellung einen ganz
eigenen, in der praktisch-theologischen Diskussion völlig vernachlässigten
Schwerpunkt setzt, der sich nicht zuletzt aus eigenen
diakoniepraktischen Arbeitshintergründen erklärt. Zentrales
Interesse der Untersuchung ist es, nach Möglichkeiten einer
tendenziell unabhängigeren Diakonie zu suchen, unabhängiger
vor allem von den durch die Möglichkeiten des Sozialstaales
und seiner Leistungen gesetzten Vorgaben. Dies stellt für R.
eines der Hauptprobleme gegenwärtiger Diakonie in der Bundesrepublik
dar, daß sie in hohem Maße von der Einbindung in
staatliche Vorgaben abhängig ist, rechtlich gesicherte Leistungen
mühsam einklagen muß und zusätzlichen bürokratischen
Kontrollen unterliegt. Eigentlich notwendige innovative Ansätze
innerhalb des diakonischen Handelns kommen nach Meinung
R.s deshalb zu kurz. Die Frage nach der Ökonomie der

Diakonie stellt sich für ihn somit als Frage nach Handlungsbedingungen
, die die gegenwärtige Diakonie in der Bundesrepublik
wieder diakoniefähiger machen, d.h. für theologisch verantwortete
Aufgabenstellungen offener. Es ist ein Verdienst
R.s, die Bedeutung ökonomischer Bedingungen für eine theologisch
verantwortete Diakonie herausgestellt zu haben. Eine
blauäugige Programmatik alternativer Diakonieformen hat von
daher in seinen Überlegungen keine Chance. Überhaupt zeigt
die ganze Arbeit, wie fruchtbar die gewählte Fragestellung ist.
diakonische Handlungsbedingungen erscheinen in einem neuen
Licht. Fragehorizonte werden eröffnet, die zuvor gar nicht ohne
weiteres entdeckbar waren.

Der Vf. entfaltet seine Überlegungen in vier Teilkapitel. Er
versucht zunächst ein theologisches Konzept diakonischer Finanzierung
zu entwickeln. Dabei geht es ihm darum, die Eigenständigkeit
ökonomischen Handelns in der Diakonie zu sichern
und gleichzeitig die Dominanz der theologischen Perspektiven
festzuhalten. Es ist kaum verwunderlich, daß er in diesem
Zusammenhang auf das Modell der Zwei-Reiche-Lehre zurückgreift
. Für ein derartiges Handlungsinteresse, wie es R. vorschwebt
, bietet sie sich geradezu an, insbesondere dann, wenn
man Fehlintcrpretationen vermeidet, der ökonomischen Eigengesetzlichkeit
also klare Grenzen setzt: Verwirklichung von
„Liebe" wird zum entscheidenden Kriterium, an dem sich auch
die diakonische Ökonomie ausrichten muß - dies, wie gesagt,
nicht wiederum ohne Beachtung von spezifisch ökonomischen
Bedingungen.

Das zweite Kapitel stellt die gegenwärtige Finanzierung diakonischer
Arbeit in der Bundesrepublik dar. Es zeigt die Rahmenbedingungen
derzeitiger diakonischer Finanzierung auf,
verweist auf die wachsende Bedeutung der Finanzierung diakonischer
Projekte durch Kirchensteuermittel, auch wenn diese
insgesamt einen geringen Prozentsatz, ausmachen. Von ebenso
geringer Bedeutung sind die Spenden, wobei R. darauf hinweisen
kann, daß die unterschiedliche Situation in den USA und in
Deutschland auch durch rechtliche Rahmenbedingungen (Absetzbarkeit
von Spenden) beeinflußt wird. Das Kapitel bleibt
nicht auf der Ebene allgemeiner Erörterungen, sondern zeigt
zugleich Detailprobleme aus verschiedenen Arbeitsfeldern konkret
auf.

Das dritte Kapitel beschäftigt sich mit zwei historischen Modellen
diakonischer Finanzierung und zwar solchen Modellen,
in denen die Selbstfinanzierung diakonischer Projekte angegangen
wurde, Modelle, in denen Wirtschaftsbetriebe diakonisches
Handeln ermöglichen sollten. R. zeigt dies am Beispiel von
Gustav Werner einerseits auf. am Beispiel von August Hermann
Francke andererseits. Beide Modelle hält er für wegweisende
Modelle. Das Scheitern des Ansatzes von Gustav Werner
erklärt er dadurch, daß eine klare Trennung der Wernerschen
Wirtschaftsunternehmungen (Papierfabrik Reutlingen. Maschinenfabrik
Reutlingen, Papierfabrik Reutlingen) von den diakonischen
Unternehmungen nicht stattgefunden hat. er also jene
Trennung, die das Modell der lutherischen Zwei-Reiche-Lehre
anbietet, nicht praktizierte - anders als bei August Hermann
Francke, der diese Trennung erfolgreich vollzog, ohne dabei die
theologische Perspektive der Finanzierung diakonischen Handelns
außer acht zu lassen. In beiden Teilkapitcln erfährt der
Leser interessante Sachverhalte, dies gilt insbesondere für das
Kapitel über Francke. Im Anschluß an dieses Kapitel könnte
gefragt werden, ob nicht auch das Luthertum einen spezifischen
Beitrag zur Entstehung und Verbreitung des kapitalistischen
Geistes geleistet hat. Webers Thesen könnten vermutlich hier
deutlich ergänzt werden.

Im vierten und letzten Kapitel des Buches geht es um die Frage
nach der Selbstfinanzierung als Chance der Diakonie. Die
Eingangsthese der Notwendigkeit einer solchen Selbstfinanzierung
wird noch einmal betont, konkrete Beispiele angespro-