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Ausgabe:

1995

Spalte:

180-181

Kategorie:

Praktische Theologie

Autor/Hrsg.:

Oksanen, Antti

Titel/Untertitel:

Religious conversion 1995

Rezensent:

Fraas, Hans-Jürgen

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179

Theologische Literaturzeitung 120. Jahrgang 1995 Nr. 2

180

Nase, Eckart: Oskar Pfisters analytische Seelsorge. Theorie
und Praxis des ersten Pastoralpsychologen, dargestellt an
zwei Fallstudien. Berlin-New York: de Gruyter 1993. XVIII,
622 S., I Porträt gr.8° ■ Arbeiten zur Praktischen Theologie,
3. Lw. DM 218,-. ISBN 3-11-013235-4.

Die Anfänge dieser Studie führen zurück in die bewegten 68er
Jahre, zum Aufbruch der jüngeren Generation an den Hochschulen
und in der evangelischen Kirche, in eine Zeit neuer, intensiver
Begegnungen zwischen praktischer Theologie und Humanwissenschaften
. Dennoch ist sie, nach 25 Jahren publiziert, keine
Frucht der Seelsorgebewegung, auch wenn sie deren Wirkungen
im ersten Teil mit im Blick hat; vielmehr handelt es sich um eine
eigenartige, eigenständige Beschäftigung mit dem Lebenswerk
eines Theologen, den einzuordnen Zeitgenossen und Nachgeborenen
schwerfiel.

Oskar Pfister (1873-1956), der Zürcher Pfarrer, dessen immense
wissenschaftliche Produktivität und unermüdliche pasto-
rale Tätigkeit der Förderung „reifer, erwachsener Frömmigkeit"
(IX) galt und der mit diesem Elan zu einem dauerhaften Gesprächspartner
Sigmund Freuds wurde, wird von E. Nase in seiner
Besonderheit als psychoanalytisch tätiger Seelsorger gewürdigt
und im Zusammenhang von Theorie und Praxis evangelischer
Seelsorge vorgestellt. Seinen theologischen Berufskollegen
in Wissenschaft und Praxis war Pfister offenbar viel weniger
Gesprächspartner als einigen Pädagogen und Psychologen.

Die noch ausstehende Darstellung der praktisch-theologischen
Diskussion über die Tiefenpsychologie in den zwanziger
Jahren wird ein differenziertes Urteil über das Verhältnis von
Theologen und Psychologen erbringen; schon jetzt darf man
vermuten, daß das Schweigen über Pfister nicht als Symptom
einer prinzipiellen Abwehr der Psychoanalyse durch die ev.
Theologie aufzufassen ist, sondern eher mit Pfisters Einbindung
in die psychoanalytische Bewegung in der Schweiz, aber auch
mit der Fülle seines Werkes, mit den schwierigen politischen
Verhältnissen in der Zeit des Nationalsozialismus und nicht
zuletzt mit der Besonderheit der Pfisterschen Theoriebildung zu
tun hat.

Der Fülle der 334 Nummern in der Bibliographie Pfisters
begegnend, hat N. sich für eine Einführung entschieden, die
einem Psychoanalytiker angemessen ist: Die Nachzeichnung
zweier ausführlicher Falldarstellungen „im Supervisionsstil"
gibt Einblick in die Seelsorge-Praxis Oskar Pfisters. („Zweiter
Teil. Die Praxis der analytischen Seelsorge"). Die Hinführung
zu diesem Hauptstück der Studie, die Darstellung der „Voraussetzungen
der Analytischen Seelsorge" (Erster Teil), steht nach
Quantität und Qualität der Fragestellungen nahezu selbständig;
sie entwickelt als Ausgangsfragestellung „Identitätsprobleme
des Pastoralpsychologen", schildert den Hintergrund Pfisters
(„Praktische Theologie und pastorale Seelsorge auf der Suche
nach Wirklichkeit") und skizziert die wissenschaftstheoretischen
, biographischen und methodischen Voraussetzungen des
Denkens und Arbeitens Pfisters.

Die Konsequenzen der analytischen Seelsorge systematisiert
der dritte Teil in den Abschnitten: Glaubenswissenschaft und
Psychoanalyse als Praxistheorien (11.), das ethische Problem in
der Seelsorge (12.), die Erziehung des Wunsches als Ziel der
Seelsorge (13.) und Erlösung durch Wahrheit und Liebe (14).

Das breite Spektrum der angesprochenen Themen bietet dem
Psychoanalytiker Einblicke in ein Frühstadium psychoanalytischer
Theoriebildung (- das Instanzenmodell aus Freuds „Das
Ich und das Es" hat Pfister nicht rezipiert -), zudem die Interpretation
eines älteren Falles (aus den Jahren 1909/10) mit Hilfe
neuerer Theorien (Narzißmus-Konzept).

Der Leser mit praktisch-theologischem Interesse wird sich
vermutlich am ehesten den einleitenden Gedanken über das
Rollenproblem zwischen Pastor und Psychotherapeut, der Frage

nach dem ethischen Problem in der Seelsorge und nach den Zielen
der Seelsorge oder der zur Einleitung korrespondierenden
abschließenden Verhältnisbestimmung zwischen analytischer
Seelsorge und pastoraler Praxis (14.3) zuwenden.

Besonders erhellend für die Arbeitsweise Pfisters wie des
Vf.s ist der Abschnitt über „.Leben und Liebe'. Unwissenschaftlicher
Exkurs zur Hermeneutik Pfisters." (111-120). Auch
die Unterschiede zu S. Freud werden hier greifbar:

Die Begriffssymbole Leben und Liebe gehören zum Zentrum Pfisterschen
Denkens und Fühlens. Die Vorstellung überströmender Liebesabgabe
bestimmt ihn ganz im Gegensatz /.um /.wanghaften Zurückhalten der Libido
, das in der Psychoanalyse der Anal-Erotik das einzig beachtete Trieb-
schicksal darstellt.

..Überall fließt und strömt es. wenn wir uns dem Manne Pfister und seinem
Werk zuwenden. ...Als dringliche Fragen bleiben nur noch: Wie kanalisieren
oder gar systematisieren'.' Wo sich festmachen? Denn was wie
einem Sog mit wegströmt, sind die Erfahrung antagonistischer Widersprüche
, die Ansätze zu Distinktionen und Trennungen, zu Alternativbildungen
und Polarisierungen.

Freud mahnt, Pfister wolle eine Synthese ohne vorherige Analyse". „Pfister
schlägt.. Brücken, wo vielfach noch keine Pfeiler stehen. So bekommt
sein Vereinigungsstreben etwas Unreales, Dranghaftes" (G. Bittner). „So
bittet Freud seinen Freund Pfister mit sanftem Spott sehr darum, seiner
.Güte, die gerne alles Widerstrebende vereinen mochte, Zügel anzulegen.'
Sein Liebes-Ideal machte es Pfister nahezu unmöglich, Liebe auch als
Abwehr zu denken, etwa als Verleugnung von Haß." (1120-

Es ist nicht ganz leicht, sich in der Stoffülle dieses Buches zu
orientieren. Dennoch und vielleicht gerade deshalb ist es eine
Fundgrube für das Nachdenken über die Grundfragen evangelischer
Seelsorge.

Kiel Reinhard Schmidt-Rost

Oksanen, Antti: Religious Conversion. A Meta-Analytical
Study. Lund: Lund University Press 1994. 175 S. 8« = Lund
Studies in Psychology of Religion, 2. ISBN 91-7966-266-8.

Bekehrungen sind das älteste und beliebteste Feld empirischer
Arbeiten zur Religionspsychologie, da sie ein religiöses Geschehen
darstellt, das im Regelfall von bestimmten anweisbaren
Phänomenen begleitet wird.

A. Oksanen geht über den üblichen Rahmen solcher Untersuchungen
hinaus, indem er nicht primär an den Phänomenen im
einzelnen interessiert ist, sondern an den ganzheitlichen biographischen
Zusammenhängen, den Motivations-Strukturen, die
hinter der Bekehrung stehen. In diesem Interesse beschreitet er
einen ungewöhnlichen Weg, indem er den vorliegenden empirischen
Untersuchungen keine weitere hinzufügt, sondern mit der
Summe des Vorhandenen im Vergleich arbeitet. Auch hier kann
er sich auf Vorläufer beziehen, wenn er von einem meta-analyti-
schen Verfahren spricht, das in Schweden von Berg lund 1985
eingeführt wurde und auf Glass 1976 u.a. zurückgeht: Die Daten
früherer Untersuchungen zur religiösen Bekehrung werden auf
einer ersten Ebene in sich analysiert. Eine zweite Ebene beinhaltet
die Re-Analyse der gleichen Daten unter Anwendung besserer
Methoden. Auf einer dritten Ebene (Meta-Analyse) geschieht die
integrierende Darstellung der vorangegangenen Ergebnisse im
Rahmen eines vorher entwickelten Theorie-Konzepts.

Dieses Konzept, die phsychologische Basis für eine Neu-
Befragung der vorliegenden Untersuchungen ist die Attachment
- oder Bindungs-Theorie J. Bowlbys, die um die frühe Bindung
des Kindes an seine Bezugsperson kreist: Ein auf Bowlbys
Theorie basierendes Untersuchungsmodell zur Bekehrung
soll im Hinblick auf seine Tragfähigkeit für die Deutung empirischen
Materials getestet werden.

Der Vf. gibt im ersten Kapitel einen Uberblick über die bisherige
Forschung zur Bekehrung. Im zweiten entwickelt er seinen
theoretischen Hintergrund, indem er die Arbeiten von