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Ausgabe:

1993

Spalte:

173

Kategorie:

Systematische Theologie: Dogmatik

Autor/Hrsg.:

Metz, Johann Baptist

Titel/Untertitel:

Glaube in Geschichte und Gesellschaft 1993

Rezensent:

Winkler, Eberhardt

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173

Theologische Literaturzeitung 118. Jahrgang 1993 Nr. 2

174

Bei allem Repsekt und Dankbarkeit wären doch einige Fragen
zu stellen:

- Ist das Objekt der Ethik unbedingt „Weltveränderung"? Ist
V. in diesem Punkt nicht zu abhängig vom Optimismus der
sechziger Jahre? Wenn er sagt »ne pas changer de monde, mais
changer le monde«. klingt das nicht zu prometheisch?

- V. will keine Heilslehre, weil sie für ihn Weltflucht bedeutet.
Aber wo ist bei ihm diese Wirklichkeit, die man mit dem Sammelbegriff
„das Böse" oder „das Schlechte" bezeichnen muß? Ist
nicht die Heilslehre (wenn das Heil z.B. als „Tod des Todes" verstanden
wird) auf die Überwindung dieses Bösen bedacht? Wäre
da nicht eine explizite Christologie wertvoll gewesen?

Alle müssen in der Theologie nicht alles machen. V. hat die
Bahn geöffnet für ein fruchtbares Gespräch zwischen Theologie
und technischem Denken. Dieses Verdienst möge ihm dankbar
anerkannt werden.

Strasbourg Fritz Lienhard

Metz, Johann Baptist: Glaube in Geschichte und Gesellschaft.

Studien zu einer praktischen Fundamentaltheologie. 5. Aufl.
Mainz: Grünewald 1992. 239 S. 8° = Welt der Theologie, geb.
DM 36,-. ISBN 3-7867-1575-0.

Die 1. Aufl. wurde im Rahmen eines Aufsatzes über „Die
Frage nach dem Sinn des Leidens in der Seelsorge" besprochen
(ThLZ 104, 1979, 870, weil so das damals brisante Thema „politische
Theologie" am besten einbezogen werden konnte. Die
„gefährliche Erinnerung" an das Leiden ist ein wichtiger Impuls
der praktischen Fundamentaltheologie von Metz, der mit gutem
Grund unter seelsorgerlichem Aspekt verarbeitet werden konnte
. Die vorliegende 5. Aufl. ist gegenüber der ersten nicht verändert
, aber durch eine neues Vorwort ergänzt. Metz faßt die
inzwischen für seine Fundamentaltheologie wichtig gewordenen
Gesichtspunkte zusammen und weist auf eigene neuere
Arbeiten hin. Er versteht seine Theologie als nachidealistisch
und als geprägt durch die Auseinandersetzung mit der Aufklärung
, mit Auschwitz und durch die Dritte Welt. Politische
Theologie gibt nicht vor, „die Aufklärung überwunden zu haben
, ohne durch sie ungesenkten Hauptes hindurchgegangen zu
sein". Gegenüber transzendental oder kommunikativ orientierter
Vernunft gilt der „Primat erinnerungsbegabter, also anamne-
tischer Vernunft". Mit dem Gedanken des „Vermissungswis-
sens" steht Metz in den Traditionen negativer Theologie. Eine
besondere „Theodizee-Empfindlichkeit", ein Schmerz über die
Widersprüche in der Schöpfung gehört zu den Merkmalen dieses
Ansatzes, der aktuell geblieben ist.

E. W.

Praktische Theologie: Diakonik

Bach, Ulrich: Getrenntes wird versöhnt. Wider den Sozialras-
simus in Theologie und Kirche. Neukirchen-Vluyn: Neukir-
chener Verlag 1991. 211 S. 8°. Kart. DM 36,-. ISBN 3-7887-
1376-3.

Ulrich Bach, der 1991 seinen sechzigsten Geburtstag feierte,
hat ziemlich genau die Hälfte seines bisherigen Lebens als Pastor
an den Orthopädischen Anstalten Volmarstein (Ruhr) und
Dozent an der Diakonenanstalt Martineum in Witten zugebracht
. Seit Jahrzehnten ist er auf einen Rollstuhl angewiesen;
wenn er den Umgang mit Behinderungen und mit Behinderten
in Theologie und Kirche kritisch analysiert, weiß er aus eigener

Erfahrung, wovon er spricht. Schon 1980 hat er mit dem Buch
„Boden unter den Füßen hat keiner. Plädoyer für eine solidarische
Diakonie" (2. Aufl. Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht
1986) ein eigenes Konzept diakonischen Denkens vorgelegt,
das er seitdem in vielen Veröffentlichungen vertieft und veranschaulicht
hat. Zu Recht ist ihm dafür mit einer Festschrift (Michael
Schibilsky [Hg.], Kursbuch Diakonie, Neukirchen-Vluyn:
Neukirchener 1991) gedankt worden.

An B.s bisherige Beiträge zu einer theologischen Theorie der
Diakonie schließt auch das neue Buch an. Es ist aus Vorträgen,
Texten für Lehrveranstaltungen und anderen Gelegenheitsarbeiten
hervorgegangen, fügt sich aber doch zu einem einheitlichen
Ganzen. Das Buch ist geprägt von der Suche nach einer Theologie
, die auf die diakonische Situation angemessen reagiert und
dadurch auch diakonisches Handeln zu fördern vermag. Dafür
heißt die entscheidende Schlüsselfrage, ob die Theologie über
gesunde (bzw. nichtbehinderte) und kranke (bzw. behinderte)
Menschen einheitliche Aussagen macht oder ob unterschiedliche
Klassen von theologischen Aussagen auf diese verschiedenen
Lebenssituationen bezogen werden. Wo immer das zweite der
Fall ist, setzt sich in der Theologie ein „Apartheidsdenken", ein
„Sozialrassismus" durch. B. versteht sein Buch als eine Alarmglocke
, die aus diesem weitverbreiteten theologischen Fehler
aufrütteln soll.

Den größten Teil des Buches (40-118) nimmt eine Studie
über „Die Wunderheilungen nach Markus 1 und 2 und unser
.theologischer Sozialrassismus'" ein. Die Studie stellt eine Auseinandersetzung
mit der Auffassung dar, Jesus kämpfe gegen
Krankheiten wie gegen die Sünde, Kranke seien also einer gottfeindlichen
Macht ausgeliefert, aus der Jesus sie befreie. Diese
Behauptung bildet nach B. den Kern des kirchlichen Sozialrassismus
; die Gräben, die sie aufreißt, sind vergleichbar tief wie
die Gräben zwischen Schwarz und Weiß, die durch eine rassistische
Theologie gezogen werden. Widerlegt wird diese These
durch eine scharfe, in immer neuen Varianten durchgeführte
Kritik an Autoren, die nach B.s Auffassung in der einen oder
anderen Form diese These vertreten; widerlegt wird sie vor
allem durch eine Analyse der Heilungsberichte in den ersten
beiden Kapiteln des Markusevangeliums. Mich überzeugt das
zweite mehr als das erste. Bach spitzt Einsichten, die vor allem
von Gerd Theißen vorgetragen worden sind, weiter zu, indem er
auf die Differenz zwischen Krankenheilungen und Dämonenaustreibungen
im Markusevangelium hinweist und in diesem
Zusammenhang klarstellt, daß die Krankenheilungen nicht in
derselben Weise zum Auftrag Jesu gehören wie die Vergebung
der Sünde. Aus der Krankheit ergibt sich also keine Differenz
im Verhältnis zu Gott; von dieser Einsicht hat jede theologische
Aussage über Gesundheit und Krankheit, Behinderung und
Nichtbehinderung auszugehen. Die Überlegungen zu den beiden
ersten Kapiteln des Markusevangeliums stehen dabei im
Zusammenhang mit einer Bibelarbeit zu Markus 9,14-29, die B.
beim Kirchentag 1991 vorgetragen hat und die ergänzend herangezogen
werden kann (Gottes Heil und unser europäisches
Apartheids-Denken, in: Reiner Degenhardt |Hg.], Geheilt durch
Vertrauen. Bibelarbeiten zu Markus 9,14-29, München: Kaiser
1992, 141-157).

In der exegetischen Begründung und systematischen wie praktischen
Reflexion der These, daß Kranke wie Gesunde, Behinderte
wie Nichtbehinderte von Gott in gleicher Weise angenommen
sind, sehe ich den eigentlichen Ertrag des Buches.
Wichtig ist ebenfalls die Warnung vor dem, was der Vf. in bewußter
Zuspitzung als „Sozialrassismus" bezeichnet. Weniger
überzeugend finde ich die durch diese Zuspitzung geleiteten
Auseinandersetzungen mit anderen Autoren. Vor allem an
Eduard Schweizer, Wilfried Joest, Manfred Josuttis und Georg-
Hinrich Hammer soll demonstriert werden, daß auch wohlmeinende
Theologie sozialrassistische Implikationen oder Folgen