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Ausgabe:

1993

Spalte:

159-161

Kategorie:

Systematische Theologie: Allgemeines

Autor/Hrsg.:

Marlé, René

Titel/Untertitel:

Introduction à la théologie de la libération 1993

Rezensent:

Prien, Hans-Jürgen

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159

Theologische Literaturzeitung 118. Jahrgang 1993 Nr. 2

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Nowak, Kurt: Zeiterfahrung und Kirchengeschichtsschreibung: Heinrich
Bornkamm im Dritten Reich (ZKG 103, 1992, 46-80).

Rößler, Hans: „Es hat sich Unerhörtes ereignet": Penzberger Kirchenvorsteher
verhindern 1938 die Verhaftung von Juden (ZBKG 60, 1991,
137-142).

Scheffler. Jürgen: Kirche und Kleinstadt: Lemgo im 19. Jahrhundert
(JWKG 86, 1992,47-77).

Schlenker, Walter: Theologiestudium im Nationalsozialismus: Information
und Stellungnahme zum Buch „Im Dienst an Volk und Kirche", hg.
von S. Hermle, R. Lächele u. A. Nuding (BWKG 90, 1990, 245-275).

Schönherr, Albrecht: Die Entstehung des Bundes der Evangelischen
Kirchen in der DDR (JBBKG 58, 1991, 315-326).

Schräge. Wolfgang: Heinrich Greeven: Umrisse seines Lebens und Wirkens
(JWKG 86, 1992, 275-290).

Schubert, Kurt: Christlich-jüdische Zusammenarbeit im Schatten des
Holocaust (In: Achleitner, W„ u. U. Winkler: Gottesgeschichten. Freiburg:
Herder. S. 126-139).

Schulze, W. A.: Friedrich Wilhelm Krummachers Konflikt mit Carl Friedrich
Wilhelm Paniel 1840 (MEKGR 40, 1991.359-377).

Seim, Jürgen: „Das große, unbegreifliche Angebot der Versöhnung".
Das politische Engagement des Theologen Hans Joachim Iwand nach dem
Zweiten Weltkrieg als Frage an die gegenwärtige politische Wirklichkeit
(Berliner Theologische Zeitschrift 9, 1992, 74-86).

Söldner, Ludwig: Evangelische Frauenhilfe zu Neuss im Kaiserreich,
der Weimarer Republik und im Dritten Reich (MEKGR 40, 1991, 301-
334).

Thielsen, Knut, u. Gerhard Philipp Wolf: Französische Revolution und
Kirche. Veröffentlichungen zur Zweihundertjahrfeier 1989 (ThR 57, 1992,
113-140).

Thimme, Hans: Die westfälische Bruderschaft der Hilfsprediger und
Vikare im Kirchenkampf 1933-1945 (JWKG 85, 1991, 287-346).

Systematische Theologie:
Allgemeines

Marie, Rene: Introduction k la theologie de la liberation.

Paris: Desclee de Brouwer 1988. 172 S. 8°. fFr79.-.

Es fehlt nicht mehr an deutschen Übersetzungen von Schriften
von Vertretern einer Theologie der Befreiung (ThdB) oder
auch an Einführungen. Aber dieser Band des französischen
Jesuiten Marie zeichnet sich durch besondere Qualität aus. Der
Vf. stellt nicht nur die wichtigsten Felder der ThdB so dar, daß
eine Auswahl ihrer Vertreter, nämlich Jon Sobrino, Juan Luis
Segundo, Gustavo Gutierrez, Leonardo Boff, Ignacio Ellacuria
und Hugo Assmann ausreichend zu Wort kommt, sondern er
ordnet die theologischen Probleme auch gut und kenntnisreich
in den Kontext der europäischen und speziell der deutschen
Diskussion ein, ob es sich nun um Bezüge auf Karl Rahner, D.
Bonhoeffer, J. Moltmann oder E. Jüngel handelt.

Das Buch ist systematisch konzipiert und in sechs Abschnitte
gegliedert. Jeder Abschnitt ist ein gelungener Essay. Innerhalb
der einzelnen Abschnitte läßt der Vf. jeweils die hierfür
repräsentativsten Autoren zu Wort kommen, etwa zur Christo-
logie L. Boff, Sobrino und Segundo, wobei er sowohl auf die
Weiterentwicklung der Konzeption eines Autors wie Sobrino
eingeht, als auch interne Kritik aus dem Kreis der Befreiungstheologen
, in diesem Fall Segundos, zu Gehör bringt.

1. Weite, Komplexität und Originalität einer theologischen
Bewegung: Es handelt sich bei der ThdB um eine kontinentale,
in sich stark differenzierte Bewegung, der es gelungen ist,
selbst weitgehend säkularisierte Eliten wieder für theologische
Fragestellungen zu interessieren. Ohne die Frage der Originalität
im einzelnen zu untersuchen, kann man mit Sobrino grundsätzliche
Unterschiede zwischen der „progressiven" europäischen
Theologie und der ThdB herausstellen: Die europäische
Theologie verbleibt auf der Linie Kants und der Aufklärung
(„Sapere aude"); sie befindet sich mit anderen Denkschulen in
Philosophie und Kultur im Dialog und setzt sich mit der Sinnkrise
des Lebens auseiannder. Die ThdB steht in der Tradition
von Marx, da es ihr nicht nur um die Veränderung des Denkens
, sondern um wirkliche Befreiung geht. Sie setzt sich mit
einer als Sünde qualifizierten Wirklichkeit auseinander, d.h.
mit einer Krise der Wirklichkeit. Sie will die durch Hunger
und strukturelle Sünde gekennzeichnete Wirklichkeit verändern
.

2. Gott, der Glaube und die Vernunft in der ThdB: Die
ThdB beschäftigt sich intensiv mit der Gottesfrage und verdient
von daher den Namen „Theologie". Marie demonstriert
dies in den Unterabschnitten „Gott des Exodus", „Gott, der
sein Reich errichtet", „der dreieinige Gott", „Gott jenseits der
Alternative von Theismus und Atheismus", „Glaube und Ideologie
", „Von der Theodizee zur Anthropodizee".

3. Die Christologie auf der Linie der ThdB: Während das
Thema „Exodus" der bevorzugte Bezugspunkt der Basischristen
ist, bildet die Christologie den Mittelpunkt der ThdB, wobei
es ihr um den Bezug auf den geschichtlichen Jesus, um den
Aufruf zur Nachfolge Jesu und um das Reich Gottes „als Horizont
der Sendung Jesu" geht. Jesus hat sich für die Welt der
Armen und Verarmten entschieden. Diese Parteilichkeit hat
soziale und politische Konsequenzen, widerspricht aber nicht
seiner Universalität, sondern macht sie allererst möglich. „Mit
dem NT betont man, daß Jesus Mensch ist, indem er arm und
verarmt ist; daß er Erlöser ist, indem er es ist, der sich für seine
Brüder hingibt; daß er der Sohn ist, indem er Sklave ist; daß er
der Herr ist, indem er Diener ist. Und diese Konkretisierung
äußert sich in der Primärbeziehung Jesu mit der Welt der Armen
. Die Eschatologisierung des Menschen Jesus ist entscheidend
für den Glauben. Aber sie legt auch für die Ewigkeit die
spezifische Parteilichkeit Jesu fest" (Sobrino, 85f)-

4. Die Kirche in der ThdB: Auf der Linie des Vatikanum II
- Lumen Gentium: Volk Gottes - Medellins und Pueblas -
Basisgemeinden - versuchen die Vertreter der ThdB der Kirche
ein neues Gesicht zu geben. Marie untersucht ausführlich
das komplexe Begriffspaar „Kirche des Volkes" oder „Kirche
der Armen". Sobrino und anderen geht es nicht darum, die
Macht der hierarchischen Kirche auf die gesellschaftliche
Gruppe der Armen zu übertragen, sondern den Machtbegriff
grundsätzlich so zu verändern, daß die wahre Macht der Kirche
an der Seite der Armen zu Füßen des gekreuzigten Gottes
in der Ohnmacht Christi und der Armen besteht. Hier kommt
es also zu einer bemerkenswerten Annäherung an den Kirchenbegriff
Luthers, nach dem die Kirche immer unter dem
Kreuz steht. Aber über Luther hinaus wird ein konkreter Gesellschaftsbezug
zu den Armen, besser gesagt, zu den Verarmten
aus Jesu Leben abgeleitet.

5. ThdB und Spiritualität: Gegenüber dem noch immer verbreiteten
Vorurteil, bei der ThdB gehe es primär um Ethik,
führt Marie eine Fülle von Zeugnissen dafür auf, daß es sich
um eine „spirituelle Theologie" (Pablo Richard) handelt.
Dabei spielt auch die volkstümliche Marienverehrung eine
Rolle, denn Maria wird z.B. von Ellacuria als das Symbol
einer integralen Befreiung der Armen verstanden.

6. Die ThdB angesichts der offiziellen Instanzen der katholischen
Kirche: Der Streit um die ThdB, speziell mit der Glaubenskongregation
, ist den deutschen Lesern besonders durch
die umfangreiche Dokumentation Norbert Greinachers, schon
bekannt. Marie geht ausführlich auf beide Instruktionen der
Glaubenskongregation ein und legt dann dar, daß die Ausgangspunkte
der ThdB und der römischen Instruktionen im
Grunde unvereinbar sind: auf der einen Seite im Einklang mit
Medellfn und Puebla die klare vorzugsweise Option für die
Armen, auf der anderen Seite eine eher humanistische oder
rationale zweideutige Option zur „vorzugsweisen Liebe zu
den Armen", denen durch „Erziehung und Kultur" geholfen
werden soll.