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Ausgabe:

1993

Spalte:

139-141

Kategorie:

Neues Testament

Autor/Hrsg.:

Thornton, Claus-Jürgen

Titel/Untertitel:

Der Zeuge des Zeugen 1993

Rezensent:

Schille, Gottfried

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139

Theologische Literaturzeitung 118. Jahrgang 1993 Nr. 2

140

Kreuzpunkt des Menschlichen und des Göttlichen." (26) Kirchlicher
Christusglaube stellt sich dar als hellenistisch geprägter
Deutungsversuch, der darauf zu prüfen ist, ob er geeignet erscheint
, den Menschen Jesus als Norm und Maßstab für uns
aufscheinen zu lassen.

Erleichterung des interreligiösen Dialogs durch Minimierung
der Christologie - ein wie es scheint zeitgerechtes Konzept. Dazu
paßt auch ein exkursartiger Zwischenabschnitt, der Jesus als
„Feminist and androgyn" (74) plakatiert. Daß die Schlußfrage,
ob man „das Heil nur durch Jesus den Christus erlangen" kann,
im Zeichen des Paradigmenwechsels von einer „absolutistischen
und monologischen Sicht der Wahrheit zu einem perspektivischen
und dialogischen Verständnis" (51) transformiert
wird, rundet das Bild ab.

Halle/Saale Wolfgang Wiefel

Thornton, Claus-Jürgen: Der Zeuge des Zeugen. Lukas als
Historiker der Paulusreisen. Tübingen: Mohr 1991. VIII, 430
S. gr.8° = Wissenschaftliche Untersuchungen zum Neuen
Testament, 56. Lw. DM 128,-. ISBN 3-16-145737-4.

Vor mir liegt die überarbeitete Dissertation des Vf.s, 1989 in
Tübingen angenommen und unter Martin Hengel gearbeitet,
der die „Arbeit zwar zumeist aus der Ferne, aber jederzeit mit
ungewöhnlich interessierter Anteilnahme" (5) begleitet hat. Kap.
1 (8-81) geht dem altkirchlichen Zeugnis über den Autor der
Acta nach. Auf die Darstellung der altkirchlichen Kombinationen
folgt das Votum (80): „Das äußere Zeugnis ist gerade deswegen
, weil ein Paulusbegleiter für die Auffassung einer beschichte
Jesu' schwerlich als geeignet erscheinen konnte, stark;
es deutet darauf hin, daß hier historische Erinnerung erhalten
ist." Kap. 2 (84-197) geht den Wir-Erzählungen in Acta nach. In
Ablehnung anderer Thesen trägt der Vf. „eine erzähltheoretische
Analyse der Apostelgeschichte" vor, „die beweisen wird, daß
der Autor ad Theophilum in den Wir-Stücken Selbsterlebtes zu
berichten beansprucht" (51). Ergebnis (141): „Hätte der Autor
die in Wir-Form geschilderten Reisen gar nicht mitgemacht, so
wären seine Erzählungen darüber - auch nach antikem Verständnis
- Lügen." Doch trägt dies Ergebnis sachlich wenig aus (gleiche
Seite): Die Alternative „authentisch oder gefälscht" vereinfache
die Tatbestände, die „Skala von Fingiertheitsgraden" lasse
vielmehr „viele Abstufungen" zu. Endlich (144): „Also muß
Acta von Anfang an einen Titel gehabt haben, der den Namen
des Autors nannte" (vom Vf. hervorgehoben). Die selbstkritische
Rückfrage, welche Gemeinde den Autorentitel des lukani-
schen Doppelwerkes beseitigt habe, wird natürlich nicht gestellt.
Mit Kap. 3 (199-367) - der Rest des Buchs enthält Register -
geht es um die Historizität der lukanischen Wir-Erzählungen in
Acta. Es gilt nachzuweisen (200), „daß die Wir-Erzählungen
ohne jeden Abzug als Augenzeugenberichte des Lukas verständlich
sind". Natürlich gab Lukas „auch kein getreues Protokoll
der tatsächlichen Ereignisse" (355), sondern wollte z.B. mit Apg
27f „seinem Werk in einem grandiosen Finale den Schlußpunkt
setzen", wozu er „gleichsam alle Register historiographischer
Mittel" zog. Doch wozu ist dann dies Buch geschrieben worden?
Das ist doch der wissenschaftliche Konsens?! „Lukas erzählt in
der Wir-Form. nicht weil er unterstreichen wollte, sondern weil
er Zeuge dafür ist. wie sich das göttliche bei erfüllte" (366). Ich
wiederhole: Wozu muß man an den Ereignissen beteiligt gewesen
sein, um ein solches Zeugnis geben zu können?

Eine erste Antwort könnte lauten: Weil antike Historiographien
das Dabeigewesensein voraussetzen. Aber das wagt der Vf.
nun doch nicht zu behaupten. Im Gegenteil, aus seinen minutiösen
und breiten Zitaten tritt deutlich genug hervor, daß lokale,
personale und zeitliche Konkreta in der griechisch-römischen

Historiographie wenig über das Ziel des Autors sagen: er kann
ein Protokoll, eine Phantasterei oder ein aus Notizen (286 u.ö.
„eigene Aufschriebe"!) gewonnenes Bild entwerfen. Nach Cicero
Brut 11,42 (358) sollen Detailangaben nicht unbedingt die
Beteiligung bescheinigen, sondern eher die innere Sachkenntnis,
weswegen man vom Historiographen weite Reisen und Wirklichkeitserfahrung
forderte.

Zweite Möglichkeit: Der Vf. war gar nicht an der These vom
Prediger Lukas interessiert. Das Buch gehört nicht zu den im
engeren Sinne exegetischen Arbeiten! In Richtung Einleitungsliteratur
weisen die wenigen anregenden Teile, z.B. der Vergleich
der Personenangaben in Philemon und Kolosserbrief (207ff)-
Daß allerdings 1-2 Jahre genügten (210), die aufgezählten Differenzen
zu begründen, mag man anzweifeln. Zur Einleitungsliteratur
zählen auch die umfangreichen Zitate aus der antiken
Historiographie. Im Gegensatz zur „Kritik, die gerade von Seiten
historisch wenig beschlagener Exegeten vorgebracht wird"
(341), hat der Vf., sagen wir mal: alles gelesen. Gelesen, ja, aber
nicht immer verstanden! In Anm. 2 auf 200f. setzt er sich für die
Unterscheidung zwischen Paulusbild des Lukas und dem Bild
ein, das Lukas im Leser erzielen wollte. Er belegt das mit Sal-
lusts Aussagen über Cato: etwa zehn Jahre nach dessen hartem
Urteil (Cato als brutaler Senatorenschlächter) gilt ihm...derselbe
als gerechter Römer. Hier stehen sich doch nicht das (geheime)
Bild Sallusts und das (offiziell) gebrauchte Bild der Leser gegenüber
! Vielmehr hat Sallust die Seite gewechselt, ein Vorgang
, den wir (45 und 89) und die Römische Geschichte häufiger
beobachten! Manchmal haben die Angegriffenen eben doch
mehr Ahnung als der Polyhistor, der nicht verstand, was er las!

So neige ich zu einer dritten Antwort. Das Buch ist eine
Streitschrift, die die neutestamentlichen Kritiker auf ihrem
eigensten Feld schlagen möchte! Das allerdings geschieht mit
den Allüren des Torero. Um A. Suhl zu treffen (317 Anm. 261
unten), muß Heinz Warnecke herhalten. Zwar gesteht ihm der
Vf. (abweichend von J. Wehnen) Anregungen zu. Doch dann
sieht das so aus: „Daß Warneckes Versuch mißlungen ist (und
angesichts seiner philologischen, exegetischen und auch argumentativen
Defizite mißlingen mußte), kann nicht bezweifelt
werden. Allerdings würde ich das nicht vorrangig dem Autor
anlasten, der als Autodidakt und .Quereinsteiger' nicht über das
entsprechende wissenschaftliche Handwerkszeug verfügt und,
um nur ein Beispiel zu nennen, Quellen vorzugsweise aus der
Sekundärliteratur zitiert. Der eigentliche Skandal ist m.E. darin
zu sehen..." Mit Verlaub, die Versuche eines Anfängers sind in
gar keinem Fall ein Skandal! Ein Skandal ist ihre Herabwürdigung
in der vorliegenden Weise! Gipfel ist die gegen G. Lüdemann
geäußerte Formulierung (201 Anm. 3, auf 202 oben):
„...dann hat der Wahnsinn offenbar Methode." Kritiker werden
offenbar richtig zitiert, aber unverstanden belacht (274 „amüsiert
" sich der Vf. über meinen Hinweis, ein Paulus-Itinerar sei
wegen der derzeitigen Naherwartung unwahrscheinlich, da diese
eine Wiederholung solcher Reisen nicht nahelegte; Begründung:
Paulus habe ja eine... Spanienreise geplant). Hier ist ein Punkt
erreicht, der mich um meines Ordinationsversprechens willen,
das mich auf die Liebe verpflichtet, fragen läßt, warum renno-
mierte Fakultäten und Lektorate solche Partien passieren lassen,
die einzig den Mangel an Kinderstube anzeigen.

Kann man aus dem Buch lernen? Vielleicht. Doch es gibt
zwei Gründe, die das unwahrscheinlich sein lassen. Der erste
ist die für die Logistik des Vf.s charakteristische Eigenart, ungesicherte
und unbeweisbare Elemente (wie die Herkunft des
Markus-Evangeliums aus Rom) wie sichere Bausteine in sein
Denksystem einzuordnen, das sich auf diese Weise als ..geschlossenes
System" ausweist. Natürlich gilt das auch für die
Acta-Auslegung. Da die Apostelgeschichte ein Gesamtbild des
Pauluswirkens zeichnet, aber viele Nachrichten aus Paulusbrie-
fen nicht berücksichtigt (drei Schiffbrüche!), wirkt sich hier