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Ausgabe:

1993

Spalte:

132-134

Kategorie:

Neues Testament

Autor/Hrsg.:

Bachmann, Michael

Titel/Untertitel:

Sünder oder Übertreter 1993

Rezensent:

Heiligenthal, Roman

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Theologische Literaturzeitung 118. Jahrgang 1993 Nr. 2

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(oder gar ausschließlich) in den „Propheten und Psalmen",
nicht aber in Geschichtsbüchern und Gesetzen. Schon deshalb
sollte man bei einem Vergleich der Gleichnisse im Neuen Testament
mit epischen Texten (Homer!) sehr vorsichtig umgehen
. Auch liegt darin schon ein Verweis auf Biblische Theologie
, was zu den Folgerungen Westermanns gehört: die Gleichnisse
in den Evangelien gehören zur Tradition der Vergleiche
im Alten Testament, während die Vergleiche in den ntl. Briefen
in der Tradition frühjüdischer Lehrgleichnisse stehen, was
durch die Verschiedenheit ihrer Funktion begründet wird: Bei
den Propheten und in den Evangelien geht es um Anrede im
Dialog, bei den Rabbinen und in den Briefen um Anrede als
Auslegung. Vergleiche und Gleichnisse gehören zum Wesensbestandteil
der Bibel des Alten und Neuen Testaments, die in
dialogischen Texten vorkommen und von daher eine mündige
Gemeinde bilden und erwarten. Denn Vergleiche, die als ein
Satz (=Vergleich), als eine story (= Gleichnis, parabel) oder als
ein Wort (= Metapher) vorkommen, erfordern jederzeit eine
neue Auslegung: Eine Theologie, eine Wahrheit der Gleichnisse
Jesu bzw. der Vergleiche der Propheten, gibt es nicht.

Gleichnisse sind eben keine Bildreden, die über ein sog. ter-
tium comparationis, das es gar nicht gibt (!), verstanden werden
können, sondern Erzählungen, die nach den Deutungen,
die man den Gleichnissen gegeben hat, weitergehen. Weder bei
den Propheten, noch in den Psalmen und schon gar nicht in den
Gleichnissen Jesu geht es um einen Vergleich von Seiendem,
vielmehr geht es um Handeln und Erfahrung; in der Sprache
der Theologie Karl Barths könnte im Sinne Westermanns sicherlich
gesagt werden: Es geht nicht um das Heilige, sondern
um den Heiligen, was sich nach Westermann schon in ganz
einfachen Beispielen zeigen läßt: Der in der Gleichnisauslegung
immer wieder benutzte Satz (cf E. Jüngel; H. Weder):
„Achill ist ein Löwe", paßt wohl zu Homer, aber nicht zu den
Gleichnissen Jesu, denn die setzen einen Vorgang mit einem
Vorgang in Beziehung und nicht „ein Seiendes mit einem Seienden
", wie Aristoteles sagt, der diese Auslegungsart der Gleichnisse
immer noch bzw. noch immer bestimmt, was in der Schrift
auch am Beispiel des Löwen ganz anders geschieht: In Gen 49,9
wird der Stamm Juda mit einem Löwen verglichen - aber der
Vergleich liegt nicht in der Gestalt, dem So-sein des Löwen,
sondern in dem, was er wie tut. Dies gilt für alle Vergleiche
und die Gleichnisse, in denen gerade dadurch keine „Bildhälfte
" von einer „Sachhälfte" zu unterscheiden oder gar zu trennen
ist. Allerdings können Vergleiche zu Bildern werden, deren
Sinn nur durch den Zusammenhang wiedergewonnen werden
kann, so haben sich z.B. „Ochs und Esel" an der Krippe Jesu
aus Jes l,2f völlig verselbständigt, was im Besonderen die
Krippendarstellungen belegen: Die Klage Gottes bei Jes l,2f
vergleicht den Abfall Israels mit dem unbegreiflichen und
törichten Weglaufen von Kindern aus dem Elternhaus, wo-bei
und wohingegen Ochs und Esel im Haus (= im Stall) bleiben -
und sich somit klüger verhalten! An der Krippe Jesu sind diese
Tiere hingegen zum Bild erstarrt. Die Rückführung des Bildes
in den Kontext befreit vor und von Fehlinterpretation: Ochs
und Esel symbolisieren also nicht die Weisheit der Tiere
gegenüber dem unweisen Volk der Juden, die den Messias
nicht erkennen! Andererseits können aber solche Bilder eine
„neue Theologie" einführen: Der Heiland ist in Armut geboren:
eine Aussage, die mit dem Jesajatext gar nichts zu tun hat, aber
die theologische Wahrheit der Weihnachtsgechichter trifft.
Hier wäre an Ludwig Wittgensteins Satz: „Was das Bild darstellt
, ist sein Sinn", Tractatus logico-philosophicus, 2.221, zu
erinnern.

Die Gleichnisse stellen aber keinen Sinn dar, sondern fordern
zum selbständigen Urteil heraus, werben um Verständnis
und Zustimmung; d.h. auch, daß die Vergleiche auf die erfahrbare
Wirklichkeit von Mensch und Welt angewiesen sind.

Wird das Handeln Gottes mit menschlichem Wirken verglichen
, so ist diese Rede keineswegs als „anthropomorph" zu bezeichnen
, denn es geht überhaupt nicht um die Gestalt, morphe.
Gottes oder des Menschen, sondern um ein entsprechendes
Handeln (148: "In the relation between God and man there are
contexts in which it is not possible to speak about God except
by means of comparisons."). In diesem Sinn könnte man sagen:
Die Bibel spricht von Gott in Gleichnissen, d.h. „weltlich", was
aber nicht mit „metaphorisch" (cf dazu E. Jüngel: „Gott kann
nur metaphorisch zur Sprache kommen", 174) gleichzusetzen
ist, denn die Funktion eines Vergleichs (einer Metapher) kann
nur aus ihrem Zusammenhang bestimmt werden. So gesehen
ist auch die Metapher ein Text (cf dazu Westermanns Zitat von
H. Weinrich: "A metaphor is never just a simple word, but
always a piece of text, however small", 180). Für die Auslegung
der Gleichnisse Jesu heißt das vor allem zweierlei: 1.
Eine Botschaft der Gleichnisse Jesu gibt es nicht ("There is no
Single message of the parables of Jesus." 194) und 2. Das Verständnis
des Wortes Lehre in den Evangelien ist dahin zu korrigieren
, daß in allen Worten, die Vergleiche enthalten, und in
allen Gleichnissen das Wort Lehre nicht Aussage, sondern
Anrede meint ("Going beyond the limits of our study, we may
conclude that the understanding of the term 'instruction' in the
Gospel has to be corrected insofar that in all passages contai-
ning comparisons and in all parables this term 'instruction'
does not refer to a doctrinal Statement, but to an address." 202).

So kommt auch durch Westermann wieder ans Licht, was
die Theologie meint (!), was J. G. Herder auf seine Weise
schon einmal so formuliert hat: „In der Natur spricht Gott nicht
vom Holzkatheder zu uns, und so wollte er auch nicht in der
Schrift zu uns sprechen, sondern durch Geschichte, durch
Erfahrung...."

Wie die Vergleiche führt auch dieses Buch Westermanns
zum Dialog.

Berlin Gerhard Beglich

Neues Testament

Bachmann, Michael: Sünder oder Übertreter. Studien zur Argumentation
in Gal 2,15ff. Tübingen: Mohr 1992. XI, 200 S„ 1
Beilage gr.8° = Wissenschaftl. Untersuchungen zum Neuen
Testament, 59. Lw. DM 148,-. ISBN 3-16-145796-X.

Bei der vorliegenden Untersuchung handelt es sich um eine
leicht Überarb. Fassung einer Habilitationsschrift, die 1990 von
der Universität Basel angenommen wurde. Angesichts der zahlreichen
Forschungsarbeiten zum Thema „Paulus und Gesetz"
beschränkt sich der Autor bewußt auf die Analyse von Gal 2,15-
21 und den Versuch, diesen schwierigen Abschnitt innerhalb der
Gesamtargumentation des Briefes zu verstehen. Der erste Hauptteil
des Buches widmet sich der Interpretation von Gal 2,15-21
und gliedert sich in vier Abschnitte: Er setzt mit der Benennung
der textimmanenten Schwierigkeiten ein, fragt dann nach der
Bedeutung von ir yevotTO (2,17b) innerhalb der Argumentation
, um sich danach der „Architektonik" des Gesamtabschnittes
zuzuwenden. Abschließend folgt unter „Deutlichkeiten" eine
Art weiterführende Zusammenfassung der Ergebnisse. Der
zweite Hauptteil beschäftigt sich mit der Stellung von Gal
2,15-21 im Aufbau des Briefes. Er setzt ein mit „Anhaltspunkten
", beleuchtet dann das Verhältnis von Gal 2,15ff. zu Gal
3,lff. und schließt mit der Diskussion des Bezuges von Gal
1,1 f. zu Gal2,15ff. ab.