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Ausgabe:

1993

Spalte:

1085-1087

Kategorie:

Ökumenik, Konfessionskunde

Autor/Hrsg.:

Schatz, Klaus

Titel/Untertitel:

Der päpstliche Primat 1993

Rezensent:

Haustein, Jörg

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Theologische Literaturzeitung I 18. Jahrgang 1993 Nr. 12

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Person Jesu Christi" (48). Gleichzeitig setzt er unbeabsichtigt
eine Grenze, indem er behauptet, das Konzil habe u.a. auch die
„freie Forschung" als einen der Wege gezeigt, „auf denen der
Mensch die Wahrheit findet" (48), ein Weg, der gegenwärtig
durch solche Fälle wie Kiing und Drewermann wieder fest verbaut
scheint.

Der Vf. beschreibt in weiteren Kapiteln ausführlich und informativ
„Die Kirche als Volk Gottes" (51), „Demokratie" als „alle
Gewalt geht vom Volk aus" (80), „Demokratie in der Kirche - ein
spannungsreicher Prozeß" (97), „Thesen zur Demokratie in der
Kirche" (131) und schließlich „Statt eines Schlußwortes:
Machen wir uns auf den Weg" (158). Man erfährt Wesentliches
aus der Geschichte und Geistesgeschichte der Demokratie und
damit auch aus der Vorgeschichte der demokratischen Regierungsform
Deutschlands, der sich der Vf. offensichtlich dankbar
verpflichtet weiß. Es liegl auf der Hand, was „eher gegen mehr
Demokratie in der Kirche" spricht (97). nämlich die hierarchische
Gliederung und die Kanones des Kirchenrechts, die sich mit den
Rechten der Bischöfe und der Pfarrer beschäftigen. Es liegt für
einen evangelischen Leser nicht ohne weiteres auf der Hand, was
„für mehr Demokratie in der Kirche" spricht (98), zum Beispiel,
daß „Petrus das Fundament, nicht das Haupt" der Kirche ist (99).
Die Zustimmung des Volkes zum Bund mit Gott in Ex 19,18b
und die in Nu 11 eingesetzten Ältesten weisen auf eine Geistbe-
gabung „aller" hin, die Pfingsten neu geschenkt wurde (99). Die
Wahl des Apostels Matthias (Apg l,15ff, S. 100) wie die Wahl
der sieben Armenpfleger (Apg 6, ebd.) setzen diese Traditionslinie
im Neuen Testament fort, die in der Kirchengeschichte zum
Beispiel von manchen Orden mit Wahlämtern auf Zeit weiter
gepflegt wird.

Der Vf. sieht nüchtern, daß alle solchen demokratischen An-
süt/e in der katholischen Kirche sich heute letztlich auf der Ebene
der Beratung abspielen. „Es muß geklärt werden, wie die
Mitsprache der Christgläubigen in diesem Zusammenhang von
der Ebene eines freundschaftlichen Umgangsstiles auf die Ebene
von Mitbestimmung gehoben wird." (103) „Wohin dieser (De-
mokratisierungs-)Prozeß die Kirchen führen wird, muß offen
bleiben. Die Hoffnung des Autors ist: zu einer Kirche, die real
und nicht nur verbal auf das Volk Gottes gegründet ist." (132)
Er weiß, was er fordert. „Schließen sich Demokratie und Hierarchie
von ihrem Wesen her nicht aus?" fragt er (132). Und er
kann sich zuletzt Hilfe und Lösung des Problems nur so vorstellen
, wie sie sich eben ein Katholik vorstellen kann - und darf:
„Der Papst als Inhaber des Organisationsrechtes hat die beste
Möglichkeit, diese Option zur Demokratisierung der Kirche zu
realisieren" lautet die 2. These seiner abschließenden Forderungen
bzw. Vorschläge (137). Und unsereiner kann nur - leider
zweifelnd - fragen: „Wird er sie nützen?" Trotzdem oder vielmehr
gerade deswegen ist das Buch eine kleine Sensation, und
man wünscht ihm eine weite Verbreitung in beiden großen Konfessionen
.

Dresden Dietrich Mendt

Schatz, Klaus: Der päpstliche Primat. Seine Geschichte von
den Ursprüngen bis zur Gegenwart. Würzburg: Echter 1990
231 S. 8°. Kart. DM 26,-. ISBN 3-429-01274-0.

Im Vorfeld seiner in Erscheinung begriffenen mehrbändigen
Darstellung des Ersten Vatikanums hat der Frankfurter Kirchenhistoriker
Klaus Schatz eine Untersuchung zur Geschichte des
römischen Primatsanspruches verfaßt. Wer aber daher nur eine
„Vorarbeit" erwartet, der wird angenehm enttäuscht. Auf 215
Seiten führt Sch. den Leser durch die Kirchengeschichte zweier
Jahrtausende, auf der Spur eines nicht nur kirchenhistorischen
Phänomens, das die Geister und die Kirchen scheidet.

Es ist das große Verdienst des Vf.s. sein Thema trotz immensen
Hintergrundwissens auf das Wesentliche zu komprimieren,
statt es umständlich zu entfalten. Freilich wird dem Leser/der
Leserin zugemutet, die ganze Kirchengeschichte im Hinterkopf
mitschwingen zu lassen, um der Darstellung und den Argumentationen
zu folgen.

Als echte Gesamtdarstellung erweist sich das Buch durch die
konsequente Behandlung von vier gleichlangen Epochen (Reichskirche
, Frühmittelalter, Hochmittelalter. Neuzeit) auf jeweils ca.
fünfzig Seiten. Dies geht ein wenig auf Kosten der quellenreichen
Neuzeit, aber gerade die mittelalterliche Entwicklung wird dadurch
nicht nur als Pflichtvorspann, sondern eher als das Zentrum
der Entwicklung gewürdigt. Ebenfalls sorgfältig analysiert werden
die Beziehungen zur oströmischen Reichskirche. Gegen eine
zu unionistische Beurteilung des ersten Jahrtausends spricht Sch.
vom „Kurswert" des römischen Stuhles, der je nach der eigenen
Situation steigen und fallen konnte, aber keineswegs eine institutionalisierte
Größe im Sinne eines Jurisdiktionsprimates war.
Diese Abwehr integralistischer Historiographie trifft auch die
kargen, aber vielzitierten Dokumente des apostolischen Zeitalters
: aus ihnen „eine formale Autorität der römischen Kirche
und Überordnung über andere Kirchen zu folgern, wie man es
früher von römisch-katholischer Seite vorschnell getan hat, wäre
sicher übereilt" (17). Demgegenüber wirkt die Überschrift des
Abschnitts von 1000-1500 befremdlich: „Das Papsttum als
Haupt der mittelalterlichen Kirche und Christenheit". Gerade
das war es ja nicht, es sei denn, man verstünde das Mittelalter
auch als geographischen Begriff.

Die Gründe für das wachsende Ansehen Roms und die
schließlich von ihm selbst erhobenen Ansprüche liegen für Sch.
oft in seinem jeweiligen Gegenüber. Es steht progressiv gegen
eine traditionalistische „Nikaia-Orthodoxie", gegen ein kaiserlich
-reichskirchliches Prinzip, das politisch gebunden war. Es
wird von den deutschen Kaisern, nicht aus eigener Kraft, über
die Jahrtausendwende gerettet. Dann erst wird es vom „Maßstab
" für Entscheidungen zum aktiven Subjekt der Entscheidungen
im Gegenüber zu den partikularen geistlichen und politischen
Gewalten der mittelalterlichen Gesellschaft, deren Strukturen
(feudale, korporative, zuletzt absolutistische) es aufgreift.
Schließlich siegt der Ultramontanismus als eher progressive, ja
revolutionäre Idee (178, im Anschluß an Mirbt), nachdem seine
Gegenüber (Gallikanismus und Reichskirche) die katholische
Kirche vor der Revolution nicht retten konnten.

Das Buch von Sch. ist kaum dazu angetan, andere als römische
Katholiken von der (historischen oder theologischen) Notwendigkeit
des päpstlichen Primats zu überzeugen. Stellt er doch bereits
auf der ersten Seite der Einleitung klar: „Dieser Primat ist damit
Igemeint ist seine Dogmatisierung] für das katholische Kirchen-
bewußtsein ein Strukturelement, das in ökumenischem Gespräch
nicht zur Disposition steht und ohne das eine volle Kirchengemeinschaft
nicht möglich ist" (9). Es bietet vielmehr den Mittelweg
eines historisch-kritischen Katholizismus zwischen lehramtlichen
Ansprüchen und den älteren noch kritischeren Anfragen
von Hans Küng und August Bernhard Hasler. Doch auch Sch.
nimmt kein Blatt vor den Mund. Begriffe wie „päpstliche politische
Ideologie". „Schlagseite zum Hierokratismus" (108) finden
sich ebenso wie der Hinweis auf die Systemimmanenz von Krisen
wie dem Großen abendländischen Schisma, das nur durch neue
ekklesiologische Entwürfe überwunden werden konnte. Beim
Weiterdenken dieser Entwürfe im Sinne einer Communio-Ekkle-
siologie, die ein kollegiales Miteinander des römischen Bischofs
mit seinen Amtsbrüdern vorsieht, schlägt das Herz von Sch. Er
vertritt somit eine Konzeption, die in manchem sicher nicht die
im „Communio-Schreiben" der Glaubenskongregation vertretene
ist.

Der Textanhang enthält einige zentrale Quellentexte (es hätten
mehr sein können), wenigstens der protestantische Leser