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Ausgabe:

1993

Spalte:

1082-1083

Kategorie:

Ökumenik, Konfessionskunde

Autor/Hrsg.:

Voigt, Karl Heinz

Titel/Untertitel:

Die Evangelische Allianz als ökumenische Bewegung 1993

Rezensent:

Frieling, Reinhard

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1081

Theologische Literaturzeitung 118. Jahrgang 1993 Nr. 12

1082

Hintergrund der thomanischen Ordo-Lehre den medizinal-therapeutischen
Aspekt der menschlichen satisfactio - auch im Blick
auf K. Rahners Interpretation - besonders hervorhebt.

Das spätmittelaltcrliche Bußverständnis Duns Scotus und vor allem Gabriel
Biels verweist schon auf den Einspruch Luthers (137-161); es handelt sich
um einen interessanten Abschnitt auch für evangelische Leser in Verbindung
mit B. Lohse: Beichte und Buße in der lutherischen Reformation, in: Lehrverurteilungen
- kirchentrennend?, Bd. II, hg. K. Lehmann, Freiburg/Br. 1989,
289-295: M. Luthers Ablehnung des Begriffs „satisfactio" in WA 7, 113, 16-
22, der „Werkgerechtigkeit" und der „Vorleistung" im Ablaß sowie des
Beichtzwangs wird aufgezeigt und das Vergebungsgeschehen als frohma-
chendc. hcilschaffende Vergewisserung des neuen Lebens im Kampf mit den
alten Lastern beschrieben. Ph. Melanchthon war es dann, der die christolo-
gisch-soteriologische Verwendung von „satisfactio" einleitet (I62ff). Auf die
konzentrierte Zusammenfassung von Teil B (177-183) mit der Reflexion über
das weitere methodische Vorgehen sei der Leser besonders hingewiesen.

Im Teil C wird die neuere evangelische und römisch-katholische
Bußtheologie und Bußpraxis (ausgeweitet durch den Exkurs
2 über die orthodoxen Epitimien) dargelegt, wobei die Entdeckung
der ekklesialen und anthropologischen Dimension der
Buße besondere Aufmerksamkeit erfährt. Auf der Folie der neuscholastischen
Verbindung des juridisch-vindikativen und des
therapeutisch-medizinalen Aspektes in den zeitlichen Sündenstrafen
als „menschliche satisfactio" (243) bei Pohle/Gierens, Fr.
Diekamp, M. Schmaus arbeitet die Vfn. die „neue Perspektive"
durch K. Rahners (255-297) Interpretation der „zeitlichen Sündenstrafen
" als „konnaturale Sündenfolgen" heraus (260ff). K.
Rahner entwickelt sein Verständnis vom transzendental-anthropologischen
Ansatz her in der traditionsgeschichtlichen Kontinuität
mit der Alten Kirche und mit dem Tridentinum und im
Gespräch mit der Psychotherapie und Jurisprudenz in pastoraler
Ausrichtung: Die liebende Selbsthingabe des menschgewordenen
Gottessohnes erweist sich als „die Bedingung der Möglichkeit
jeglicher heilschaffender menschlicher Bemühungen" (295). Die
Auswirkungen dieser Rahnerschen These für eine „Theologie der
Strafe", für die „Fegefeuer"- und Ablaßlehre, für das Verständnis
von Erbsünde, Theodizee und die Erneuerung der Praxis der Buß-
auflagen werden benannt.

Das Defizit einer biblischen Begründung bei K. Rahner anmahnend
(296, 334) skizziert die Vfn. als „Fundament" des eigenen
„Gesprächsangebots" „das biblische Zeugnis von den Folgen
der menschlichen Sünde und den von Gott geschenkten Möglichkeiten
zur Versöhnung" in Teil E: Die exegetische Wahrnehmung
des „Tun-Ergehen-Zusammenhangs" und die „Versöhnlichkeit
Gottes" als hermeneutisches Prinzip stützen K. Rahners Interpretation
der „Sündenstrafen als konnaturale Sündenfolgen" (342).
Eingehend beschäftigt sich die Vfn. mit der gegenwärtigen exegetischen
Forschung (K. Koch, H. Gese, B. Janowski, R. Knierim,
J. Roloff u.a.). U.a. wird Kol 1,24 auf die „Vollgenügsamkeit"
der satisfactio Jesu Christi hin untersucht (364-367).

Im „Gesprächsangebot" (Teil F), d.h. in einer „Reformulie-
rung der katholischen Position... in bewußt ökumenischer Zielsetzung
" (371) legt die Vfn. „die Lehre von der Notwendigkeit
der menschlichen satisfactio in anthropologischer, ekklesiologi-
scher und soteriolgoischer Funktion" dar: „Leiden an den Folgen
der eigenen Tat" (373), „Christsein als Leben in besonderer
Verantwortung" (378), „Hoffnung allein in Christus Jesus"
(381). Die Beziehung zwischen der satisfactio Jesu Christi und
der menschlichen satisfactio interpretiert die Vfn. - Rahner fortschreibend
- pneumatologisch, „insofern erstere gnadenhaft
ermöglicht, was letztere antwortend vollzieht" (382). Die Unterscheidung
zwischen Taufe und Buße ist nur im ekklesiologi-
schen Kontext plausibel: „als Erlöste versöhnt miteinander zu
leben" (381). Für die Bußpraxis empfehlen sich „gemeinschaftliche
Bußgottesdienste" (381), in denen nicht „Leistungsdruck",
sondern „Freude angesichts des unverdienten' Geschenkes der
Möglichkeit zu einem erlösten Dasein" leitend ist (384). Die
„Anknüpfung" für die „Notwendigkeit einer menschlichen satisfactio
" an die evangelische Bußtheologie erkennt die Vfn. in der

reformatorischen Verbindung von Rechtfertigung und Heiligung
, Rechtfertigung und Erneuerung (386). Eine „Anknüpfung
"!

Mit Recht weist die Vfn. darauf hin, daß das „vielleicht größte Hindernis
im Blick auf eine mögliche Konsensfindung in der Frage nach der theologischen
Bedeutung der menschlichen satisfactio" „der Begriff .satisfactio'
selbst" ist (389); sie fährt fort: „Wäre es möglich, beim Wort .satisfactio'
spontan zu denken an unsere Hoffnung, wir möchten einander in allem
.gerecht werden', so wäre dieses Hindernis überwunden. .Gerecht werden'
wir einander zuallererst dadurch, daß wir in die erbarmende Bewegung Gottes
auf uns zu eintreten und uns selbst und einander annehmen als die, die
wir - auch durch unsere Schuldgeschichte - geworden sind" (389). So verstanden
, wäre eine „Annäherung" gewiß gegeben. Doch bleibt die Frage von
„Kirche und Rechtfertigung", also die ekklesiale Dimension des Bußgeschehens
; hier sind noch große „Annäherungen" notwendig, besonders auch im
Blick auf die kirchliche Praxis des Ablasses und der Bußautlagen. Aber ökumenische
Theologen wollen und müssen Vordenker sein.

Das Buch „Gelebte Buße. Das menschliche Bußwerk (satisfactio
) im ökumenischen Gespräch" stellt eine wichtige Ergänzung
, Vertiefung und Weiterführung der Ergebnisse der GÖK in
„Lehrverwerfungen - kirchentrennend?" dar. Es handelt sich um
eine in den theologiegeschichtlichen Entfaltungen informations-
reiche und in der systematisch-theologischen Reflexion durch
die Verbindung des anthropologischen, ekklesiologischen und
soteriologischen Aspekt weiterführende Studie zur ökumenisch
ausgerichteten römisch-katholischen Bußtheologie. Viele Erkenntnisgewinne
- auch in den 4 Exkursen und in der breit
gefächerten Literaturliste (391-446) - werden vermittelt. Anregend
in der Grundthese und in den Einzelpassagen sollte sie Impulse
vermitteln in der evangelischen und römisch-katholischen
Beichttheologie und Beichtpraxis und im ökumenisch ausgerichteten
Bußverständnis.

Heidelberg Michael Plathow

Voigt, Karl Heinz: Die Evangelische Allianz als ökumenische
Bewegung. Freikirchliche Erfahrungen im 19. Jahrhundert.
Stuttgart: Christi. Verlagshaus 1990. 165 S. 8«. Pb. DM
19,80. ISBN 3-7675-7743-7.

Die 1846 gegründete Evangelische Allianz gehört zu den Anfängen
der modernen ökumenischen Bewegung. Sie hatte freilich
nicht wie die späteren ökumenischen Arbeitszweige, die zur
Gründung des Ökumenischen Rates der Kirchen (1948) führten,
die Vereinigung der Kirchen als Institutionen im Blick, sondern
die Einzelchristen verschiedener Konfessionen, die sich zu einem
Bruderbund zusammenfinden sollten. Die 920 Gründer der Evangelischen
Allianz gehörten etwa 50 verschiedenen protestantischen
Denominationen vorwiegend aus dem angelsächsischen
Raum an. Die wenigen deutschen Teilnehmer standen der Er-
weckungsbewegung innerhalb der Landeskirchen nahe.

Der Vf. dieser gelungenen Einführung in das Wirken der
Evangelischen Allianz im 19. Jh. ist der Berliner Superintendent
der Evangelisch-methodistischen Kirche. Daß er vor allem das
Quellenmaterial aus den Methodistischen Kirchen darlegt und
die Studie insgesamt aus der Sicht eines freikirchlichen Theologen
konzipiert ist, hat keineswegs die kritische und objektive
Betrachtungsweise gemindert. Der Vf. leistet zugleich einen
wichtigen Beitrag für das Verhältnis von Freikirchen und Landeskirchen
im Deutschland des 19. Jh.s. Dabei zeichnet er die
theologischen, geistlichen und ökumenischen Anliegen in die
geistigen und politischen Strömungen der Zeit ein, was ein besonderes
Verständnis für die Chancen und Schwierigkeiten der
beginnenden ökumenischen Bewegung weckt.

Der Autor macht keinen Hehl daraus, daß er der Evangelischen
Allianz sich ebenso verbunden weiß wie der Ökumene der
Institutionen. Im Schlußteil des Buches wird deutlich, daß er
bezüglich der zwischenkirchlichen und gesellschaftsdiakoni-