Recherche – Detailansicht

Ausgabe:

1993

Spalte:

1079-1082

Kategorie:

Ökumenik, Konfessionskunde

Autor/Hrsg.:

Sattler, Dorothea

Titel/Untertitel:

Gelebte Buße 1993

Rezensent:

Plathow, Michael

Ansicht Scan:

Seite 1, Seite 2

Download Scan:

PDF

1079

Theologische Literaturzeitung 118. Jahrgang 1993 Nr. 12

1080

Großes Interesse dürfte auch das fünfte Kapitel „Sozialbewegungen
und Sozialethik" finden (287-312). Freilich kommt der
Vf. zu dem ernüchternden Ergebnis, „daß ein umfassender interkonfessioneller
und weltweiter Konsens über eine ökumenische
Sozialethik derzeit nicht in Sicht ist" (310). Indes eröffne die
Absicht der europäischen Kirchen, „auf europäischer Ebene den
in Basel 1989 begonnenen konziliaren Prozeß fortzusetzen und
ein ,Basel II' einzuberufen" eine gewisse Hoffnung: „Vielleicht
gelingt es in diesem geographischen und kulturellen Kontext besser
als auf Weltebene, sowohl eine ökumenische Sozialethik zu
formulieren wie konkrete Handlungsanweisungen für Christen,
Kirchen und Politiker zu geben" (312).

Daß der Friedensgedanke einer der konstituierenden Triebkräfte
der ökumenischen Bewegung gewesen ist, tritt in dem
sechsten Kapitel „Friedensbewegung und Friedensethik" (313-
330) nicht deutlich genug hervor (der Name Nathan Söderbloms
taucht nirgends auf). Die Gespaltenheit der Kirchen in dieser
Frage wird aber umfassend und sorgfältig aufgezeigt. Völlig
richtig wird vom „Frieden Christi" gesagt: „Er ist nicht das Ziel
christlicher Friedensethik als ob menschliches Handeln Gottes
Friedensreich herbeiführen könnte, sondern er ist die Voraussetzung
und die Motivation christlicher Friedensethik" (330).

In dem abschließenden siebten Kapitel „Sozio-kulturelle Bewegungen
und Kontexttheologien" (331-351) steht zunächst die
„Akkommodationstheologie" der verschiedenen Konfessionen
im Vordergrund, die in der evangelischen Kirche uneinheitlich
ist. „Der ORK als das nicht-römisch-katholische Einigungswerk
der Christenheit bietet eine Plattform für den Dialog darüber,
aber selber keine Entscheidung" (335f.). Was die „kontextuellen
Theologien" anbelangt, die der Vf. für Lateinamerika, Asien und
Afrika, aber auch im Westen aufzeigt, so ergibt sich die Frage,
„was bei aller Kontextualität denn der gemeinsame ,Text' ist"
(348). Das kann nur durch einen „permanenten Dialog" geklärt
werden. „Der ökumenische Gedanke lebt davon, daß sich dieses
dialogische Prinzip in und zwischen den Kirchen durchhält und
nicht einseitig durch lehramtliche und konfessionelle Machtworte
beendet wird" (351).

In seiner zusammenfassenden Wertung „Bilanz und Ausblick"
(352-359) kommt der Vf. zu dem Ergebnis: „Ökumene hilft, 1.
gemeinsam glauben zu lernen, 2. gemeinsam den Glauben zu
lehren, 3. gemeinsam den Glauben zu leben" (352). Das wird im
einzelnen nochmals entfaltet und interpretiert. Freilich: „Die
Hoffnungen auf kirchliche Einheit im institutionellen Sinn werden
sich in absehbarer Zeit nicht erfüllen. Aber die Erfahrungen
geistlicher Einheit zwischen allen Christen tragen die Ökumene,
und die Möglichkeiten gemeinsamen Handelns sind noch längst
nicht ausgeschöpft. In diesem Sinne geht der ökumenische Gedanke
nüchtern und durchaus realistisch-hoffnungsvoll auf die
Jahrtausendwende zu" (359).

Abgerundet wird die Arbeit durch umfangreiche Literaturangaben
zu den einzelnen Themen (360-376).

Der Vf. hat mit dieser Veröffentlichung in souveräner Beherrschung
des vielschichtigen Stoffes und in präziser Darbietung
der weit verzweigten Fakten ein Kompendium der Ökumene vorgelegt
, wie es gegenwärtig seinesgleichen suchen dürfte.

Frankfurt/M. Hanfried Krüger

Sattler, Dorothea: Gelebte Buße. Das menschliche Bußwerk
(satisfactio) im ökumenischen Gespräch. Mainz: Grünewald
1992. XVIII, 453 S. 8°. Kart. DM 48,-. ISBN 3-7867-1647-1.

„Gelebte Buße" - ein Thema, das jeden angeht und das die
Vfn. in ihrer Mainzer Dissertation bei Theodor Schneider in den
ökumensichen Referenzrahmen hineinstellt. Die Vfn. konzentriert
sich auf die belastete Frage der „menschlichen satisfactio"

im Verhältnis zur „satisfactio Christi", eingeordnet in die breitere
Büß- und Beichttheologie. Wohl konnten sich die Altgläubigen
und die Reformatoren 1530 in Augsburg darauf einigen,
„daß die Sünden hinsichtlich der Schuld nicht wegen der Genugtuungen
nachgelassen werden. Aber darüber sind wir noch nicht
zu einer gemeinsamen Position gekommen, ob die Genugtuungen
notwendig sind zur Vergebung der Sünden hinsichtlich der
Strafe" (Lehrverurteilungen - kirchentrennend? Bd. I, hg. K.
Lehmann, W. Pannenberg, Freiburg/Br. 1986, 67f - Zitat aus
„Acta der Sieben Vorordneten"). Doch war diese Annäherung
bald vergessen. Die Arbeit der Gemeinsamen Ökumenischen
Kommission (GÖK) zu „Lehrverurteilungen - kirchentrennend
?" bietet nun der Vfn. den Anlaß, diesem Themenfeld nachzugehen
.

Die GÖK - immer wieder nimmt die Vfn. Bezug auf dieses
Dokument: S. 3f, 42, 116, 125, 257, 375 - stellt eine gewisse
Verlegenheit in der heutigen römisch-katholischen Kirche fest
mit Begriff und Praxis der „satisfactio" umzugehen: die „Genugtuung
" sei „entgegen der Lehre sowie den rechtlichen und
liturgischen Weisungen häufig nur ein kleines, im Dank an Gott
verweilendes Gebet nach Empfang der Absolution, bei dem
dem Sakramentsempfänger kaum noch bewußt ist, welch bedenkliche
Praktiken sich damit einmal verbunden haben"; heute
bestehe Einigkeit: „nicht das kleine Gebet, sondern das neue
Leben aus empfangener Vergebung ist die wahre .Genugtuung
'" (Lehrverurteilungen - kirchentrennend?, Bd. 1,70). Die
Verlautbarung der VELKD und des DNK/LWB zum GÖK-
Dokument stellt folglich zum Tridentinum Sessio XIV Can 12
(DS 1712) zunächst fest: „Canon 12 trifft die evangelische Kirche
; denn nach evangelischer Lehre ist a) mit der Vergebung
zugleich die Strafe völlig erlassen, daß auch die Kirche keine
Strafe mehr auferlegen kann, die genugtuende Kraft haben, und
kann es b) keine andere Genugtuung geben als die Erlösungstat
Christi, die im Glauben ergriffen wird"; sie fährt dann aber fort:

„Allerdings sind auch wir der Meinung, daß mit der Vergebung nicht
schon alle Folgen der Sünde beseitigt sind, und kennen auch wir .Früchte
der Buße' (vgl. CA XII)" (Lehrverurteilungen im Gespräch, Göttingen
1993, 101, 10-19). Hier knüpft die Vfn. - vom theologischen Entwurf K.
Rahners geleitet - an ihr eigenes ökumenisches „Gesprächsangebot" (371 ff,
384) an, das die Verschränkung der anthropologischen, christologischen
und ekklesiologischen Dimension des Bußgeschehens zum Ziel hat (3).
Dabei versucht die Vfn. auch das Postulat des „Lutherisch/Römisch-kalho-
lischen Dialogs in den USA: Rechlfertigung durch den Glauben" (H. Mey-
er/G. Gassmann [Hg.]: Rechtfertigung im ökumenischen Dialog. Frankfurt
/M. 1987, Nr. 1116) einzulösen: „Weitere Studien sind nötig, um festzustellen
, ob und inwieweit Lutheraner und Katholiken sich in diesen
Punkten einigen können, die weit reichende und weit verzweigte Auswirkungen
auf traditionell umstrittene Lehren haben wie das Bußsakrament.
Messen mit bestimmtne Intentionen, Ablaß und Fegefeuer".

In der „Problemexposition" Teil A zeigt die Vfn. die konfessionelle
Kontroverse um die „satisfactio" im 16. Jh. auf, d.h.
von CA 12 und dem Tridentinischen Bußdekret (bes. DS 1673-
1675, 1713-1715): a. die Teile der Buße; b. die Funktion der
Genugtuung auf dem Hintergrund der Unterscheidung von poc-
na und culpa (18, 45f). Prägnant skizziert die Vfn. S. 47f die
offenen Fragen.

In Teil B. entfaltet die Vfn. die Vorgeschichte der reformationsgeschichtlichen
Kontroverse. In einer begriffsgeschichtli-
chen Untersuchung von „satisfactio" - gerade bei Tertullian -
schließt sie sich G. Hallonsien an (54ff.): er beschreibt die
„Initiative Gottes im Versöhnungsgeschehen" (58). Cyprian,
Augustin, Gregor der Große werden bedacht, um dann die begriffliche
Dreiteilung der Buße in „contritio, confessio, satisfactio
" erst nach der Jahrtausend wende festzusetzen (75) und die
frühmittelalterlichen Absolutionstheorien (Hugo v. St. Victor.
Richard v. St. Victor u.a.) auf die Differenz zwischen Sündenschuld
und ewiger und zeitlicher Sündenstrafe zurückzuführen
(79ff). Erwähnt sei die breitere Entfaltung der Denkkategorie
„satisfactio" bei Thomas (100-116), in der die Vfn. auf dem