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Ausgabe:

1993

Spalte:

1074-1075

Kategorie:

Praktische Theologie

Titel/Untertitel:

Homosexuelle Männer in Kirche und Gesellschaft 1993

Rezensent:

Ringeling, Hermann

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1073

Theologische Literaturzeitung 118. Jahrgang 1993 Nr. 12

1074

te) immer der Kind-Ichzustand favorisiert wird. Berne selbst
hatte offenbar mehr die „integrierte Persönlichkeitsstruktur" im
Blick, zu deren Autonomie und Authentizität die Fähigkeit
gehört, von allen Ichzuständen her gleichermaßen kommunikationsfähig
zu sein. Andere Stimmen setzen auf die Mobilisierung
des Erwachsenen-Ich, indem sie jedwede Disproportionalität
einer Persönlichkeitsstruktur auf Störungen aus dem Eltern
- oder Kind-Ich zurückführen (das Erwachsenen-Ich selbst
aber kaum als Störfaktor in Rechnung stellen): "Where the
Parent and/or Child was, there let the Adult be" (Th. A. Harris).

Jedenfalls laufen die eventuell für das „Glauben voller Lebenslust
" zu ziehenden Folgerungen keineswegs zwangsläufig
auf eine „Theologie des Kind-Ichs" (133ff.) hinaus. Stattdessen
kirne es darauf an, genuin pastoraltheologische Konsequenzen
zu benennen, die sich aus dem Umstand ergeben, daß sich jedwedes
Glauben und Glaubenlernen „in, mit und unter" den
Bedingungen dominierender Ichzustände oder Lebenspositionen
vollzieht. Dabei kann aber z.B. nicht ignoriert werden, daß
selbst persönliche Ich-bin-Nicht-Okay-Erlebnisse etwas Befreiendes
haben können. (Am Rande gefragt: Was ist das z.B. für
eine Glaubenshaltung, aus der heraus Jesus auf dem „Kreuzweg
" ist? Kann man etwas für seinen Glauben lernen von einem,
der um das Okay der andern willen ins Nicht-Okay gerät?)

In der Einleitung wird u.a. angekündigt, daß der Vf. eine
..europäische Theologie der Befreiung [...] anhand der psychologischen
Theorie der Transaktionsanalyse zu reflektieren" gedenke
(19). Diese Idee, daß das, was die Theologie der Befreiung
beispielsweise in Lateinamerika ausgelöst hat, in unseren
Breitengraden psychologische Argumentationsfiguren beinhalten
könnte, halte ich für äußerst anregend, finde sie aber in dem
vorgelegten Buch kaum realisiert. Die kommentierende Zusammenstellung
dessen, was in der Psychologie und der Bibel zum
Thema „Hunger" und „Streicheln" (234-256) bzw. bei Jesus und
im Neuen Testament zum Thema „Zärtlichkeit" zu finden ist
(259-292), wird diesem Anspruch wohl kaum gerecht.

Greifswald Wilfried Engemann

Lemke, Helga: Seelsorgerliche Gesprächsführung. Gespräche
über Glauben, Schuld und Leiden. Stuttgart-Berlin-Köln:
Kohlhammer 1992. 247 S. gr.8». Kart. DM 39,80. ISBN 3-17-
011313-5.

Mit ihrem neuen Buch setzt die Autorin ihr Konzept einer
„partnerbezogenen Seelsorge" fort. Auch hier folgt sie methodisch
ganz der durch Rogers, Tausch u.a. geprägten Gesprächspsychotherapie
, die aber charakteristisch gebrochen wird durch
das engagierte Bemühen, neben dem therapeutischen auch den
theologisch-seelsorgerlichen Aspekt zum Tragen zu bringen.
Die Autorin geht davon aus, daß es heute „zunehmend Ratsuchende
(gibt), die gerade Hilfe durch den Glauben suchen" (7).
Sie möchte unangemessene „Polarisierungen" - hier Lebenshilfe
durch Psychotherapie, da Glaubenshilfe durch Seelsorge - überwinden
aus der Einsicht heraus, „daß hinter jedem psychischen
Problem auch eine geistliche Dimension verborgen liegt" (8).

Zunächst verteidigt die Autorin noch einmal ihr Konzept
durch grundsätzliche Erwägungen (15-51). Sie sieht die partnerbezogene
Gesprächsführung in einer deutlichen Nähe zu der
Art. in der Jesus mit Menschen umging. Dabei lautet ihre Grundthese
, daß „Gott durch den Menschen wirkt und Glaube erst in
der Begegnung lebendig wird" (35). Die Roger'schen Hilfen zur
Gesprächsführung - wie etwa die drei Therapeutenvariablen
„Echtheit ". ..Akzeptanz" und „Einfühlsamkeit" - werden dabei
so interpretiert, daß durch sie gerade die Voraussetzungen geschaffen
werden für eine „lebendige Verkündigung". Verkündigung
ist in diesem Ansatz freilich nie als etwas „Steiles", gar

Predigthaftes zu verstehen, sondern ein stets auf die konkrete
Beziehung ausgerichtetes Geschehen.

Den Hauptteil des Buches machen Gesprächsanalysen zu Fragen
nach Glauben, Schuld und Leiden aus. Bei den abgedruckten
Protokollen handelt es sich fast ausnahmslos um Gespräche
von Seelsorgern, die ihrerseits dem Konzept der partnerbezogenen
Seelsorge verpflichtet sind. So gibt es durchweg eine
Gleichheit der Intention von Analyse und Analysiertem. Das
gibt dem Buch eine starke konzeptionelle Geschlossenheit, führt
auf der anderen Seite aber auch zu einem - gelegentlich ermüdenden
- Gleichmaß.

Die meisten der 18 Protokolle, die abgedruckt und besprochen
werden, zeichnen sich durch einen hohen Grad geistiger
und geistlicher Intensität aus. Die Seelsorger bleiben dem inneren
Strom der Ratsuchenden vor allem dadurch auf der Spur,
daß sie möglichst genau verbalisieren und dann ganz behutsam
weiterführen. Ganz selten gibt es mal eine direktive Passage.

Oft bleiben auch konkrete Fragen der Ratsuchenden unbeantwortet
(z.B. 780- Die Gespräche sind tastende Versuche, zu
stimmigen Selbst- und Glaubensaussagen zu kommen. Für den
Leser ist es nicht immer ganz einfach, hier zu folgen. Man hat halt
nur die verschriftete Erfahrung und braucht viel Phantasie, um
sich die originale Gesprächssituation mit ihren ganz natürlichen
zirkulierenden und redundanten Anteilen vorzustellen. Der Nachvollzug
der Protokolle und Analysen gelingt dort am ehesten, wo
die konkrete Situation oder doch wenigstens der aktuelle „Anlaß"
genannt werden, etwa bei den Gesprächen über eine Abtreibung
(134ff) oder um die Trauer nach dem Tod eines Kindes (180ff).

In manchen Fällen kann man die situativen Zusammenhänge
erschließen, in anderen bleibt das ziemlich unklar. Ich weiß
nicht recht, was die Autorin eigentlich im Blick auf konkrete
Angaben zu den Ratsuchenden so zurückhaltend sein läßt. Für
den Leser ist es gerade für das inhaltliche Verständnis der
Gespräche hilfreich, wenn er auch Informationen erhält, die ihn
anregen, sich lebendige Personen vorzustellen. Daß bei solchen
Angaben Einzelheiten verfremdet werden müssen, ist klar.

In den Analysen wird der Gesprächsgang jeweils nachgezeichnet
, methodisch und inhaltlich interpretiert, gelegentlich behutsam
kritisiert. Dabei wird verschiedentlich vor allem auf unbe-
wältigte Problemlagen im Seelsorger selbst hingewiesen, stets in
einer sehr solidarischen Art und Weise. Ausdrücklich werden
Probleme der Seelsorger im letzten Kapitel („Seelsorge an Seelsorgern
") dokumentiert und bearbeitet. Dabei geht die Autorin
be-sonders einfühlsam auf das Prbolem der beruflichen und geistlichen
Selbstüberforderung ein. Etwas unangenehm berührt mich,
daß die deutlichste Kritik an dem - m.W. einzigen - Protokoll
einer nichttheologischen Beraterin geübt wird (138ff) und dann
noch mit dem etwas durchsichtigen Schluß, daß wir eben nicht auf
„thearpeutisch geschulte Seelsorger" verzichten können (142).

Insgesamt gestehe ich, daß ich mit dem artifiziellen Kommunikationsstil
der „partnerbezogenen Seelsorge" Probleme habe.
Ich wünsche mir Seelsorgegespräche näher am natürlichen Stil
des Miteinanderredens. Beeindruckend finde ich aber - und das
macht die Lektüre dieses Buches allemal lohnend - wie entschlossen
und beharrlich die Autorin Glaubens- und Sinnfragen
thematisiert und wie gründlich diese sowohl methodisch wie inhaltlich
-theologisch durchgearbeitet werden.

Leipzig Jürgen Ziemer

Rauchfleisch, Udo [Hg.]: Homosexuelle Männer in Kirche
und Gesellschaft. Unter Mitarb. von H. Schützeichel. Düsseldorf
: Patmos 1993. 166 S. 8° = Freiburger Akademieschriften
, 6. ISBN 3-491-77935-9.

Den Dialog zwischen den homosexuellen Menschen und der
Kirche zu fördern, war das Ziel einer Tagung der Katholischen