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Ausgabe:

1993

Spalte:

1068-1070

Kategorie:

Praktische Theologie

Autor/Hrsg.:

Dieterich, Michael

Titel/Untertitel:

Handbuch Psychologie und Seelsorge 1993

Rezensent:

Kiesow, Ernst-Rüdiger

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Seite 1, Seite 2

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1067

Theologische Literaturzeitung 118. Jahrgang 1993 Nr. 12

1068

Die angesichts des mit deutlichen Abgrenzungen eingeführten
Programms einer „realistischen Theologie" zu erwartende
Demonstration durch eine „Gegenrechnung" bleibt W. schuldig
. Zwar sind zwei der Prinzipien als pneumatologisch fundiert
deutlich geworden: das Differenzieren in der Einheit und das
Gelten von Differenzen im Blick auf diese; auch dies wurde
plausibel, daß geistliches Wirken sich im normalen Leben unmittelbar
ausprägt. Nur - ist das strittig? Was insoweit ein neues
Programm spezifisch erbringen könnte und lösen würde,
bleibt offen. Das Fehlen der „Gegenrechnung" aber ist um so
gravierender, als ein Defizit gerade in dem vorliegt, was dem
Buch Farbe und Kraft verleiht, nämlich dem Umgang mit der
Bibel. Das konsequente Eingehen auf sie vermag nicht zu überzeugen
. Hier wird nicht wirklich etwas abgearbeitet. Die von
W. souverän übergangene historisch-kritische Methode erbringt
immerhin dies eine: Die Texte werden abständig und damit widerständig
und erzwingen somit Kontrolle und Kritik des Herangetragenen
. Mit seinem Vorgehen hat W. sich dem gerade
dort entzogen, wo er so erkennbar Impulse empfängt und Bilder
gewinnt.

Mit alledem aber bekommen die Aussagen den Klang des Beliebigen.
Das alle Wissenschaft kennzeichnende „Es gibt andere Wege" löst sich aus
der Bindung in die Strenge der Methode und wird zur Einladung in die Fülle
offenstehender Optionen, deren stringente Reduktion man von einer
Monographie billigerweise erwartet.

Hier wurde mit hohem Anspruch die Vielfalt des Möglichen gerade
erweitert. Das aber geht auf Kosten von Eindeutigkeit: Mit dem umfassenden
Zugriff laßt W. das Wirken des Geistes mit dem Christi in einer politischen
Hermeneutik verschwimmen. Was den Geist im Unterschied zum
Sohn ausmacht, wird darüber undeutlich. Gerade wenn und weil der Geist
und sein Wirken weder griffig noch greifbar sind, müssen die Aussagen
präzis und methodisch ausgewiesen sein.

Damit stellt sich die Frage, was diese Pneumatologie in einer
Epoche zugleich übermächtiger wie zerbrechender Strukturen zu
leisten vermag. Der in manchen Partien entstehende Eindruck
einer pneumatologischen Verdoppelung von Kräften und Tendenzen
hin auf Gerechtigkeit, Frieden und Bewahrung unserer
Welt ist gewiß nicht alles, ergibt jedoch den Horizont der Grundaussage
, daß die Welt in ihrer Vielfalt wie Ungerechtigkeit
umfangen und durchwaltet ist vom Heiligen Geist und seinem
Wirken hin auf Erbarmen, Recht und Gotteserkenntnis, wie dies
in Jesus Christus offenbar wurde. Am Ende erscheinen dann
zugunsten der Gerechtigkeit bestehende oder zerbrechende
Strukturen (doch ist das eindeutig?) als geistlich, die übrigen in
Bestehen oder Zerbrechen als geistliche Aufgabe. Vergleichbares
las man schon öfter; nur Begründung und Horizont waren dabei
christologisch.

Damit ist das Grundproblem einer Konzeption bezeichnet,
die Ostern und Pfingsten nicht mehr als unser Auffassen bindende
Gegebenheiten nimmt, sondern sie im Zugriff auf die
gesamte Schrift („Offenbarung") mir in Rechnung stellt. Damit
ist nicht nur die Geschichte übergangen, sondern werden auch
die trinitarischen „Operationsregeln" (der Ungeteiltheit der
Werke ad extra und der Appropriationen, die natürlich nicht
kanonisch sind) aufgelöst, mit diesen aber Fug und Recht der
trinitarischen Differenzierung überhaupt. Denn darüber wird,
wie figura zeigt, Gott im Blick auf Welt und Geschichte „alles
in allem" - doch was sagt man damit eigentlich? Diese pneu-
matologische Vorwegnahme dessen, was Verheißung ist für die
Vollendung, bringt es mit sich, daß man nun überall Gottes Wirken
identifizieren kann und damit zuviel sieht, weiß, sagt, und
das zudem recht allgemein, weil ohne stringente trinitarische
Zuordnung.

Weniger wäre also mehr gewesen, und das zumal im Blick
auf das, was dieses Buch auszeichnet: die nachdrückliche, farbige
und kraftvolle Ausmalung dessen, was das heißen mag:
„...der da lebendig macht".

Schellerten Klaus Schwarzwäller

Praktische Theologie: Seelsorge

Dietrich, Michael: Handbuch Psychologie und Seelsorge.

Wuppertal-Zürich: Brockhaus 1989. 383 S. gr.8«. geb. DM
49,80.

Der Vf. ist lt. Einband-Rückseite „Erziehungswissenschaftler
und Psychotherapeut. Er lehrt an der Universität Hamburg das
Fachgebiet der Beruflichen Rehabilitation und ist Gründer und
Leiter der Deutschen Gesellschaft für Biblisch-Therapeutische
Seelsorge." Der Verlag hatte ihn ursprünglich um die Bearbeitung
des amerikanischen Titels Introduction to Psychology &
Counseling von P. D. Meier, F. B. Minrith und F. Wichern gebeten
; er nahm es nach eigener Aussage zwar als „Vorlage und
Vorbild", schrieb aber eine neues „Sachbuch", das ohne Anmerkungen
und detaillierte Quellenbelege auskommt. Seine
eindeutige Position teilt er dem Leser gleich im 1. Satz des Vorwortes
mit, „denn m.E. fehlt in Deutschland ein Handbuch, das
Erkenntnisse aus der modernen Psychologie und Therapie so
darstellt, daß sie zum einen einem bibeltreuen Weltbild verpflichtet
sind, und zum andern aber auch dem gegenwärtigen
Stand der Fachwissenschaften entsprechen." (9)

In der knappen wissenschaftstheoretischen „Einführung"
(11-34) gibt der Vf. einen Überblick über die Aufgabenfelder
und Methoden der unterschiedlichen Psychologien und setzt
sich in aller Kürze mit ihren naturwissenschaftlich-empirischen
bzw. geisteswissenschaftlich-hermeneutischen Prämissen auseinander
. Während man ihm da noch gern folgt, erweist er sich
in dem „Theologischen Denken" überschriebenen Abschnitt
doch leider als ein rechter Laie und Fundamentalist. In scharfer
Polemik gegen die Historisch-Kritische Methode, für die er
Troeltsch verantwortlich macht, äußert er sich über die Bibel
mit nicht zu überbietender Prägnanz: „Ihre Aussagen sind absolut
und normativ, d.h. prinzipiell wahr und deshalb nicht mehr
diskutierbar."(24) „Von diesem Standort aus gesehen isi es
selbstverständlich, daß psychotherapeutische Methoden, die im
Widerspruch zur biblischen Lehre stehen, in der biblisch-therapeutischen
Seelsorge nicht eingesetzt werden." (33)

Man sollte sich aber von solchen steilen Sätzen am Anfang
nicht abschrecken lassen und gespannt darauf sein, welche
Richtungen und Methoden der Psychologie denn vor dem strengen
Maßstab der biblisch-therapeutischen Seelsorge bestehen
werden. In der wissenschaftlichen Substanz des Buches zeigt
sich durchaus, daß Sachverstand, Seriosität und auch Flexibilität
des Urteils trotz scheinbar exklusiver ideologischer Axiome
den Vf. bestimmt haben. Er möge mir verzeihen, wenn ich
mich als Rez. nicht ganz zufällig (Strukturanalogien!) an die
Werke verflossener DDR-Autoren erinnert fühle, die im Vorwort
zuerst das Bekenntnis zur alleingültigen M.-L.-Weltanschauung
ablegten und dann doch ganz vernünftige Fachwissenschaft
vortrugen, die sich vom international üblichen Standard
kaum unterschied. So folgt auch hier unter 2. ein umfangreiches
Kapitel, „Der gesunde Mensch" überschrieben (35-
127), in dem auf sehr instruktive und anschauliche Weise die
psychischen Motivationen, Systeme und Leistungen dargestellt
werden, wobei die lerntheoretischen Positionen schon auffällig
betont werden. Angefügt ist ein doch etwas skurril wirkender
Abschnitt über die Dimensionen der geistlichen Gesundheit, in
dem ausgerechnet der Prophet Daniel als Beispiel angeführt
wird (nur um partout biblisch zu sein?).

Mit dem Kapitel 3 „Wachsen und Werden" (128-188) wendet
sich die Darstellung den entwicklungspsychologischen Problemen
und Erkenntnissen zu, unter denen die kognitiven Theorien
(z.B. Piaget und Kohlberg) wiederum bevorzugt werden; psychoanalytische
Einsichten werden deutlich ausgeklammert oder rela-