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Ausgabe:

1993

Spalte:

1052-1053

Kategorie:

Dogmen- und Theologiegeschichte

Autor/Hrsg.:

Schleiermacher, Friedrich

Titel/Untertitel:

Briefwechsel 1799 - 1800 1993

Rezensent:

Nowak, Kurt

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1051

Theologische Literaturzeitung 118. Jahrgang 1993 Nr. 12

1052

In der LJF entfaltet Schweitzer die von ihm als Grundlage
des Christentums eingeforderte Metaphysik nicht. Und eine
Vorlesung über diesen Gegenstand vom Wintersemester 1911/
12 ist im Schweitzer-Archiv leider nicht mehr auffindbar. P.
geht aber m.E. zu Recht davon aus, daß die Kulturphilosophie
Schweitzers in bewußt philosophischer Sprache diese Metaphysik
darbietet, ebenso sein Vortrag „Das Christentum und die
Weltreligionen", in dem theologische und philosophische
Sprechweise stärker vemittelt werden. Es ist jene Willensmetaphysik
Schweitzers, die die „Ehrfurcht vor dem Leben" als
Synonym für christliche Liebe im denkend gewordenen Willen
zum Leben wurzeln läßt und in dieser Ehrfurchtshaltung eins
wird mit dem Gott, der sich uns in der Natur als rätselhafter,
unethischer Schöpferwille zeigt, sich aber in uns als ethischer
Wille offenbart. „Ehrfurcht vor dem Leben", schreibt Schweitzer
, „ist Ergriffensein von dem unendlichen, unergründlichen,
vorwärts treibenden Willen, in dem alles Sein gründet".

Diese Willensmetaphysik gibt der Hermeneutik Schweitzers,
die den Zugang zum historischen Jesus in einem Verstehen von
Wille zu Wille sieht, die religionsphilosophische Grundlage. In
„Das Christentum und die Weltreligionen" heißt es: „Der Gott
des Evangeliums Jesu ist lebendiger, sittlicher Wille, der meinem
Willen eine neue Bestimmtheit geben will".

P., der zeigen möchte, daß Schweitzers Hermeneutik „als
typisches Produkt dieser Epoche zu verstehen ist" (3) und daß
auch Schweitzers Philosophie, zumindest in ihren einzelnen
Elementen, weitgehend Strömungen seiner Zeit zuzuordnen ist
(248-252), übersieht nun bei all dem, was er hier m.E. zu Recht
geltend macht, merkwürdigerweise jene Quelle, von der her
Schweitzer wohl vor allem zu interpretieren ist: die „Religionsphilosophie
auf psychologischer und geschichtlicher Grundlage
" von August Sabatier (1839-1901), bei dem Schweitzer in
Paris Vorlesungen gehört hat und dessen Religionsphilosophie
zu den wenigen Büchern gehört, die Schweitzer in einem Vortrag
seiner Gemeinde ausdrücklich empfiehlt, wobei noch zu
beachten ist, daß das Werk Sabatiers das einzige nicht-exegetische
Buch ist, auf das Schweitzer verweist.

Die Parellelen zwischen Schweitzer und Sabatier sind sehr
auffallend, insbesondere auch im Hinblick auf die Behandlung
des Dualismus zwischen Erkennen und Wollen, den P. zu Recht
hervorhebt. Gerade wenn er urteilt: „Als philosophisches System
mit dem Anspruch auf Denknotwendigkeit ist Schweitzers Metaphysik
gescheitert" (245), so ist der Vergleich mit Sabatier weiterführend
, der den Entschluß zu einer postulierten letzten Synthese
zwischen Erkennen und Wollen nicht als Denknotwendigkeit
, sondern als Lebensnotwendigkeit charakterisiert. Es handle
sich hier nicht um einen salto mortale, sondern um einen salto
vitale.

Eine theoretische Lösung dieses Problems ist im übrigen niemandem
möglich, denn letztlich geht es hier ja um die sogenannte
Theodizeefrage. Sie aber kann man nach allgemeiner
Überzeugung nicht lösen, sondern man kann mit ihr nur mehr
oder weniger überzeugend praktisch umgehen. Dazu aber hat
Albert Schweitzer, insbesondere wenn man ihn stärker im
Anschluß an Sabatier versteht und interpretiert, m.E. einen hilfreichen
Weg gewiesen. Nicht zuletzt auch deswegen, weil sich
bei ihm wie auch P. hervorhebt, Persönlichkeit und Werk so
eng verbinden.

P. plädiert am Schluß seines Buches - ganz im Sinne
Schweitzers - für eine größere Nähe der Theologie zu den Fragestellungen
der einfachen Christen und urteilt: „Ein Stück weit
wird jede Theologie, die sich langfristig nicht völlig von ihrem
Bezug auf die kirchliche Praxis entfernen will, die liberale Fragestellung
und sicher auch Teile der liberalen Hermeneutik in
sich aufnehmen müssen" (263).

Nur auf einen sinnentstellenden und verwirrenden Druckfehler
sei hingewiesen: Auf S. 215 unten und S. 216 oben muß es

in den Schweitzer-Zitaten statt religionsgeschichtlich richtig
religionsphilosophisch heißen.

Berlin Hans-Hinrich Jcnssen

[Schleiermacher:] Schleiermachers Briefwechsel (Verzeichnis
) nebst einer Liste seiner Vorlesungen. Bearb. von A.
Arndt u. W. Virmond. Berlin-New York: de Gruyter 1992.
VII, 330 S. gr.8o = Schleiermacher-Archiv, 11. Lw. DM
128,-. ISBN 3-11-013189-7.

Andreas Arndt und Wolfgang Virmond, die innerhalb der
„Kritischen Gesamtausgabe" (Abt. V) für das Schleiermacher-
sche Briefcorpus verantwortlichen Editoren, haben 1980 ein
vervielfältigtes Typoskript herausgebracht. Es enthielt eine
Übersicht zu Schleiermachers Briefwechsel bis zum Jahr 1799.
Die Verbreitung des Typoskripts war der Ausgangspunkt für
einen weitergehenden Wunsch in Kreisen der Schleiermacherforschung
: die im Aufbau befindliche Gesamtkartei des Briefwechsels
von 1776-1834 möge nicht nur internes Arbeitsinstrument
sein, sondern der Forschung in geeigneter Form zur Verfügung
gestellt werden. Der Wunsch war um so verständlicher
deshalb, weil trotz angestrengter Arbeit der Editoren die historisch
-kritische Bearbeitung des Briefwechsels noch geraume
Zeit in Anspruch nehmen wird, die Forschung aber zwischenzeitlich
über die verfügbaren Briefbestände unterrichtet
sein möchte. Drei Briefbände liegen innerhalb der KGA mittlerweile
vor: KGA V/I: Briefwechsel 1776-1796; KGA V/II:
Briefwechsel 1796-1798; KGA V/III: Briefwechsel 1799-1800.
In Zahlen ausgedrückt sind das 849 kritisch edierte (bzw. erschlossene
) Briefe.

Dem derzeitigen Kenntnisstand zufolge umfaßt Schleiermachers
überlieferte Korrespondenz, wie die Bearbeiter mitteilen,
überschlagsweise 4000 Briefe, darunter 1600 Briefe von und
2400 Briefe an Schleiermacher (5). Bedenkt man, daß die drei
ersten Briefbände nach jahrelangen intensiven Vorarbeiten jeweils
im Abstand von etwa drei bis vier Jahren erschienen sind
(1985-1988-1992), läßt sich ermessen, wieviel Zeit noch bis
zum Abschluß von KGA V nötig ist. Wiewohl die Arbeitskartei
der Berliner Schleiermacherforschungsstelle durchaus noch
einer Reihe von Ergänzungen bedarf und bei verschiedenen
Korrespondenzen Datierungs- und Adressatenfragen offen sind,
steht sie der Forschung nunmehr zu großen Teilen auf dem
Stand von Ende 1990 zur Verfügung. Durch Hinzufügung einer
Übersicht zu Schleiermachers Vorlesungen bzw. Vorlesungsankündigungen
in Halle (WS 1804/05 bis WS 1806/07), in Berlin
vor Eröffnung der Universität (1807 bis 1810), sodann an
der Universität selbst (WS 1810/11 bis WS 1833/34) haben
Arndt und Virmond sogar mehr geleistet, als mit Blick auf die
Briefkartei von ihnen erhofft war.

Die Briefe von und an Schleiermacher sind in alphabetischer
Auflistung der Briefpartner aufgeführt. Nachgewiesen sind jeweils
Adressat bzw. Absender, Datum, Fundorte, Drucke. Bei
den Briefen bis 1800 konnte auf die laufende Nummer in KGA
V hingewiesen werden. Amtliche Schreiben sind - entsprechend
dem Stand der Recherchen an der Forschungsstelle -
lediglich durch verschiedentliche Erwähnungen in der Einleitung
präsent. Schreiben von und an Unbekannt blieben beiseite
(etwa 80 Briefe), desgleichen die nur erschlossenen Briefe,
sofern sie nicht schon in KGA V/I-III aufgelistet sind. Die alphabetische
Anordnung von Schleiermachers Briefpartnern, die
mit J. B. von Albertini beginnt und mit Johanna Zimmermann
endet, ermöglicht den chronologischen Durchblick durch
Schleiermachers Korrespondenz nur am jeweils konkreten Partner
. Erst die Edition wird dann auch eine bequeme Übersicht
über die vielfältigen Briefpartnerschaften Schleiermachers zu