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Ausgabe:

1993

Spalte:

1048-1049

Kategorie:

Dogmen- und Theologiegeschichte

Autor/Hrsg.:

Matzerath, Josef

Titel/Untertitel:

Albert Schwegler 1993

Rezensent:

Voigt, Kerstin

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Theologische Literaturzeitung 118. Jahrgang 1993 Nr. 12

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der Beitrag von Bernard Reymond (Lausanne) „Troeltsch und
der französische Sprachbereich", 333-359, vorangestellt werden
: Zuerst erfahren wir, daß Troeltsch zu seinen Lebzeiten (er
starb 1923) von französischsprachigen Fachkollegen kaum zur
Kenntnis genommen wurde. Protestantischerseits sei nur E.
Vermeil, katholischerseits A. Loisy zu nennen. Umgekehrt hat
Troeltsch sehr wohl die französische Fachliteratur in großem
Umfang gekannt und herangezogen (347ff.). In neuerer Zeit
jedoch kann Reymond von einer Wiederentdeckung Troeltschs
sprechen. Über die kritische Würdigung aus einer Barthiani-
schen Position durch J. de Senarclens und die Aufarbeitung der
Sozialtheorien Troeltschs durch J. Seguy und M. Despland (dieser
ist selbst Kongreßteilnehmer) führt der Autor bis in die
Gegenwart und zeigt die Wichtigkeit des Kongresses auf.

Nun die anderen Beiträge der Reihe nach: Pierre Gisel (Lausanne
) benennt in seinem Vorwort (Presentation) die Aufgabe:
bestimmte Probleme der modernen Theologie wieder aufzugreifen
, die von Troeltsch zwar bis zu einer gewissen Stufe ausdifferenziert
wurden, sich aber immer noch ähnlich dringend präsentieren
, wie z.B. die Bedeutung der Aufklärung für das Christentum
, die religionsphilosophische Relevanz der historischen Methode
, die Thematik von Individualität und Subjektivismus, die
Frage nach der Absolutheit des Christentums in der Pluralität von
Religionen und kulturellen Strömungen. - Hartmut Ruddies
(Göttingen) stellt das Gesamtwerk Troeltschs in die Polarität von
Historismus und Idee des Absoluten. Da Troeltsch beide Positionen
synthetisiert hat, aber nicht mit demselben Systemanspruch
wie Hegel, spricht Ruddies von „gebrochenem Hegelianismus"
(18). Wohl war Troeltsch der Überzeugung, das Absolute vermittle
sich durch die Geschichte, lehnte aber eine darauf basierende
„Einheitswissenschaft" als unmöglich ab. - Dietrich
Korsch (Passau) weist nach, daß es Troeltsch nicht mehr so gut
wie dem von ihm verehrten Schleiermacher gelingt, die christliche
Dogmatik in Sozial- und Kulturtheorie bzw. in die Religionswissenschaft
zu integrieren. - Ulrich Barth (Göttingen) untersucht
die Frage nach einem religiösen Apriori, die bei Troeltsch
durch die Auseinandersetzung mit Kants Transzendentalismus
provoziert ist und zur Statuierung eines speziellen religiösen
Gültigkeitsbewußtsein führt (73). Damit verlasse Troeltsch freilich
sehr bewußt den Kantischen Begriff von Apriorizität (94). -
Ingeborg Schüssler (Lausanne) zeigt sowohl die Irritation
Troeltschs durch Nietzsches Atheismus, durch sein „Psychologi-
sieren", durch sein „titanenhaftes Selbstgefühl" auf, zugleich
aber die geistige Verwandtschaft beider Denker: Sie bestehe im
Interesse an der Historie, an der positiven Einzelwissenschaft,
vor allem aber an einer „rezendierenden" (im Gegensatz zu trans-
zendierenden) Metaphysik (116, 120ff.). - Jan Röhls (München)
würdigt das besondere Interesse Troeltschs am Einfluß des Calvinismus
in Genf, Frankreich, den Niederlanden und in den
angelsächsischen Ländern auf soziale Entwicklung und Politik. -
Kurt Nowak (Leipzig) konstatiert, daß Troeltsch einem Historismus
zweiten Grades zugehöre, der sich über den Einfluß des
historischen Bewußtseins des Historikers auf seine Geschichtsdarstellung
Rechenschaft ablegt. - Alfred Dumais (Universität
Laval/Quebec) hebt Troeltschs eigenen Beitrag zur Soziologie
hervor („Die Soziallehren der christlichen Kirchen und Gruppen
", 1912) und diskutiert den Einfluß K. Marx', M. Webers (mit
dem Troeltsch persönliche Freundschaft verband) und G. Simmeis
. - Michael Despland (Montreal) befaßt sich mit einem
Zeitgenossen Troeltschs, Maurice Vernes, und dessen Arbeiten
zur Sozialgeschichte der Religionen. - Jaques Waardenburg
(Lausanne) bezieht sich auf Troeltschs „Die Absolutheit des
Christentums und die Religionsgeschichte", 1902, und vergleicht
mit dem gegenwärtigen Standpunkt der Religionswissenschaft. -
Christoph Theohaid (Paris) diskutiert die 3 Parameter der historisch
-kritischen Methode nach Troeltsch: bloß wahrscheinliche
Geltung der Tradition, Prinzip der Analogie, Begriff der Wechselwirkung
. Während Troeltsch diese Methode bewundernswert
analysiere und handhabe, gelänge ihm das bei der dogmatischen
Methode viel weniger (266). - Trutz Rendtorff (München) vertieft
sich in das Bewußtsein der Moderne, das sich an Troeltsch
zeigt und von ihm weiterentwickelt wurde. Dieses verdichtet sich
im Konzept der Personalität bzw. Individualität (281 ff.), welches
, mithilfe der Religion herausgebildet, das wertvollste
Ergebnis des geschichtlichen Fortschritts darstelle. - Hieran
schließt der Beitrag von Wilhelm Grab (Göttingen) thematisch
an, der sich in der Spannweite vom säkularen Individualismus
der Aufklärung zur religionsphilosophischen Verankerung des
Personalismus im Gottesbegriff bewegt. - Paul Corset (Paris)
untersucht den Einfluß Troeltschs auf P. Tillich. Dessen Vorwurf
einer Aufopferung des Unbedingten zugunsten des Bedingten sei
unberechtigt, wenn man in Troeltschs Individualismus den Leib-
nizschen Begriff der Monade in voller metaphysischer Dimension
erkenne (328ff). - Denis Müller (Lausanne) befaßt sich mit
der Kritik W. Pannenbergs an Troeltschs Historismus und vermerkt
die Tatsache, daß sich Pannenberg von den oben schon
genannten 3 Parametern bloß am Analogieprinzip stößt (365f.). -
Ein zusammenfassender Epilog des Hg.s schließt den Band ab.

Zur Diskussion insgesamt ist anzumerken, daß eine Kritik
des Modernitätsbegriffes bei Troeltsch und in der Gegenwart
zwar des öfteren angedeutet, aber nicht wirklich in Angriff genommen
wurde. Ist Modernität nicht skeptischer zu sehen?
Insofern trägt der Titel des Epilogs „Troeltsch: ein Theologe für
heute?" mit Recht ein Fragezeichen. - Was freilich die Präsentation
des (Euvres Troeltschs, seiner Bedeutung und seiner Weiterwirkung
betrifft, so leistete die Tagung in Lausanne und leistet
deren vorliegende Dokumentation Substantielles.

Wien Max J. Suda

Matzerath, Josef: Albert Schwegler (1819-1857). Sigmaringen
: Thorbecke 1993. 345 S. gr.8° = Contubernium, 37. Lw.
DM 84-. ISBN 3-7995-3231-5.

Der Band ist die erste umfassende Biographie Albert
Schweglers, eines weithin in Vergessenheit geratenen Wissenschaftlers
aus dem 19. Jh. Er gehörte (neben E. Zeller, R. Köst-
lin u.a.) zur Tübinger Schule um F. Chr. Baur und hatte wie viele
Hegelianer ständig um seine wissenschaftliche Stellung zu
kämpfen. Eine Neuorientierung hin zu Philosophie, Philologie
und Altertumswissenschaft änderte nichts an seiner lebenslangen
„wissenschaftlichen Odyssee".

Die Biographie ist in acht Teile gegliedert. In den beiden
ersten: Kindheit und Jugend (1819-1836) und: Tübinger Stift -
Studienjahre (1836-1841) wird Schweglers Bildungsweg von
seiner Erziehung im Elternhaus Uber Lateinschule, Landexamen,
niederes ev. Seminar zu Schöntal bis in die Studienjahre im
Tübinger Stift detailreich geschildert. Der Leser erhält dabei
einen guten Einblick in das württembergische Stipendiatensystem
, dessen Alumne Schwegler war. Die Frage nach der Entwicklung
von Schweglers Persönlichkeit gerät über der Fülle von
ausgewerteten Quellen keineswegs in Vergessenheit, sie ist
gleichsam der „rote Faden" in der Arbeit. „Daß Albert
Schwegler kompromißlos und unter großen persönlichen Opfern
sich der Wissenschaft verschrieben hatte" (93), zeigt Matzeraths
Darstellung in eindrücklicher Weise; ebenso Schweglers fast
lebenslange Suche nach einer angemessenen Stellung. Schon
während seiner Deutschlandreise (1841-1842; dargestellt in Teil
3) hatten seine Bemühungen darum begonnen. Im 4. Teil: Zurück
nach Tübingen (1842-1846) wird Schweglers Situation als Hegelianer
ohne Amt weiter verfolgt. Ab 1843 war er als Redakteur
der „Jahrbücher der Gegenwart" und als Privatdozent tätig. Seine
Hoffnungen auf eine Repetentenstelle am Tübinger Stift zer-