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Ausgabe:

1993

Spalte:

1041-1042

Kategorie:

Kirchengeschichte: Mittelalter

Autor/Hrsg.:

Beckmann, Jan P.

Titel/Untertitel:

Ockham-Bibliographie 1993

Rezensent:

Junghans, Helmar

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Seite 1

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1041

Theologische Literaturzeitung 1 18. Jahrgang 1993 Nr. 12

1042

sehen" Charakter ihrer Schriften (was bei Josephus eher einleuchten
kann als bei Philon). Aber so oder so bleibt der Befund, daß
im Grunde niemand von den jüdischen Autoren dann, wenn sie
von ihrer eigenen Situation in der „Fremde" sprechen, das Wort
.diaspora' benutzt. Denn die Belege aus den Pseudepigraphen, in
denen biblische Situationen nacherzählt werden, sind wie die
Belege aus den „Schriften" selbst (also aus der LXX) ja prophetische
Äußerungen, die gewissermaßen mit den Augen Gottes, aber
nur indirekt über die gegenwärtige Situation (welcher jüdischen
Gruppe?!) etwas aussagen, was aber gewiß nicht einfach als
Beschreibung des normalen „Selbstverständnisses" hellenistischer
Juden in ihrer Alltagsumwelt, als Aussage über ihr Verhältnis
zu griechischer Kultur gelten kann. Im übrigen würde dann
auch in bezug auf diese Schriften die Frage gelten, die van Unnik
bei Philon - mit Recht! - stellt: Wie repräsentativ sind die jeweiligen
Autoren für das Ganze der Diaspora? Will man also der Frage
nach dem Selbstverständnis der hellenistischen Juden außerhalb
des Mutterlandes nachgehen, so muß wohl ein Ansatz
gesucht werden, der Uber die Engführung der Untersuchung eines
einzelnen Wortes hinausgeht. Im übrigen wäre bei der Differenzierung
zwischen Exil und Diaspora, wie van Unnik sie vornimmt
, noch zu bedenken, daß es für die Juden der ,Diaspora'
(anders als in der gola) bis zum Jahre 70 eine .Metropolis' Jerusalem
und einen intakten Tempeldienst gab - für syBar und die
Rabbinen mochte sich das schon wieder anders darstellen.

Diese kritischen Anmerkungen ändern aber nichts an dem
Wert der vorgelegten Untersuchung, an der niemand für die Bestimmung
des Wortgehalts von öictOJTOod künftig wird vorübergehen
dürfen (van Unnik hat dabei durchaus auch den gegenwärtigen
kirchlichen Gebrauch des Wortes im Blick); und wir
sind dem Hg. zu Dank verpflichtet, daß er uns diese Arbeit seines
Lehrers, die zu lesen im übrigen eine Freude ist, zugänglich
gemacht hat.

Jena/Naumburg Nikolaus Walter

Kirchengeschichte: Mittelalter

Beckmann, Jan P. [Ed.]: Ockham-Bibliographie 1900-1990.
Hamburg: Meiner 1992. 167 S. gr.8°. Lw. DM 120,-. ISBN
3-7873-1103-3.

Wie nützlich eine Ockhambibliographie heute sein kann, illustriert
die Graphik am Ende des Buches, die anzeigt, wie seit
1900 die Anzahl der Veröffentlichungen in jedem Jahrzehnt stetig
gestiegen ist. Die Bibliographie erfaßt um 1300 Titel, von
denen knapp 300 im letzten Jahrzehnt erschienen sind. Daß die
Titel nicht durchnumeriert sind, führt zu umständlichen und
platzverschwendenden Verweisen.

Es werden nicht nur Monographien und Aufsätze zu Ockham
erfaßt, sondern auch einzelne Kapitel, wie z.B. diejenigen, die
sich im „Handbuch der Dogmengeschichte" Ockham widmen.
Die OckhamdaiStellung von Martin Anton Schmidt im ..Handbuch
der Dogmen- und Theologiegeschichte" fehlt allerdings.
Besprechungen wurden nicht aufgenommen.

Die Titel sind alphabetisch nach Autoren und zu einem Autor
chronologisch geordnet. Die international erarbeiteten und in
Deutschland seit den 70er Jahren in wissenschaftlichen Bibliotheken
eingeführten „Regeln für die alphabetische Katalogisierung
" sind unbeachtet geblieben. Auf die Umfangangabe hat der
Hg. bei den Monographien verzichtet. Abgesehen davon, daß
die Umfangangabe zur bibliographischen Beschreibung eines
Buches gehört, ist es für einen Benutzer, der sich einen Titel

über die Fernleihe besorgen muß, von Interesse, ob die Monographie
16, 160 oder auch 600 Seiten umfaßt. Es ist immer wieder
überraschend, wie oft Herausgeber von Bibliographien es
verschmähen, sich die Arbeit der Bibliothekswissenschaften
zunutze zu machen.

Das trifft auch für die sachliche Erschließung zu. Der Hg.
begründet zwar, warum er auf eine sachliche Anordnung verzichtet
hat, aber er wird damit nicht jeden Benutzer überzeugen.
Ein „Personenregister" führt die Titel auf, die im Titel oder in
ihrem Text sich mit der jeweiligen Person beschäftigen. Ein
„Werkregister" führt die Veröffentlichungen an, die der Interpretation
einer Ockhamschrift gewidmet sind. Ein „Systematisches
Register" enthält alphabetisch geordnet Sachgebiete, besonders
Wissenschaftszweige, so zur Logik 70 Zeilen mit durchschnittlich
drei Verweisen. Den Schluß bildet ein „Sachregister"
von „Abstraktion" bis „Zweifel".

Die Register erleichtern den Zugang zu den Titeln von einigen
Gesichtspunkten her, aber sie lassen keine Konzeption
erkennen, die unter Berücksichtigung der Bibliothekswissenschaft
gewonnen wurde. Ein Registerbegriff mit 200 Hinweisen
gilt allgemein nicht als hilfreich.

Für die Ockhamforschung ist die vorliegende Bibliographie
ohne Zweifel verdienstvoll und hilfreich. Es ist schade, daß das
aufwendige Ermitteln der Titel nicht durch Anwendung des
bibliographischen Handwerks gekrönt wurde.

Leipzig Helmar Junghans

Bonaventura: Quaestiones disputatae de scientia Christi.

Vom Wissen Christi. Übers., kommentiert und mit einer Einleitung
hg. von A. Speer. Lateinisch-deutsch. Hamburg: Meiner
1992. LXII, 252 S. 8» = Philosophische Bibliothek, 446.
Lw. DM 78,-. ISBN 3-7873-1047-9.

Die Quaestiones disputatae de scientia Christi hat Bonaventura
in Paris am Ende seiner akademischen Laufbahn um 1254
verfaßt. Zwei Jahrzehnte war es erst her, daß Gregor IX. mit seinen
Schreiben an die Pariser Universität (1228/1231) in der Frage
des Gebrauchs der spekulativen Methode und der Verwendung
philosophischer Begriffe bei der Auslegung der Glaubenslehren
für Aufregung gesorgt hatte. „Die Theologie steht vor der
Herausforderung, ihren Standort im Zusammenhang des neuen
Wissenschaftsverständnisses ihrerseits neu zu bestimmen."
(XIV) 1254 folgte Johannes Fidanza seinem Lehrer Alexander
von Haies und trat als B. in den Franziskanerorden ein. Seine
hier edierten und Ubersetzten Quaestiones sind für seine erste
große Disputation verfaßt. Anders als im Sentenzenkommentar
kann B. eigenständig das von ihm gewählte Thema behandeln.
Die Quaestiones sind ein Musterbeispiel: an ihnen kann man gut
eine scholastische Disputation verfolgen. In den Quaestiones
folgen jeweils auf die Frage zwei Argumentationsreihen
(fundamenta und opposita) im Sic-et-Non-Schema; in der Con-
clusio entscheidet dann der Magister.

Mag uns heute auch die Fragestellung akademisch erscheinen
, sie greift schon ein im Zusammenhang der Zweinaturenlehre
interessantes Problem auf. Angesichts des aristotelischen Einflusses
gewinnt die Frage nach der relativen Selbständigkeit des
Menschen, also auch der menschlichen Natur Christi, neues
Gewicht. B. unterscheidet nun das Wissen, das die Seele Christi
über, im und vom göttlichen Wort hatte. Er geht aus vom göttlichen
Wissen Christi (qu. 1-3), es folgt die 4. „Wird das, was von
uns mit Gewißheit erkannt wird, in den ewigen Ideen selbst
erkannt?", die der Hg. als den erkenntnistheoretischen „Angelpunkt
der Quaestionensammlung" versteht. Die letzten drei
sprechen dann von der Möglichkeit der Seele Christi, die Weisheit
als das vollkommene Wissen und Erkennen zu begreifen.