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Ausgabe:

1993

Spalte:

1039-1041

Kategorie:

Neues Testament

Autor/Hrsg.:

Unnik, Willem Cornelis van

Titel/Untertitel:

Das Selbstverständnis der jüdischen Diaspora in der hellenistisch-römischen Zeit 1993

Rezensent:

Walter, Nikolaus

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1039

Theologische Literaturzeitung 118. Jahrgang 1993 Nr. 12

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Kapitel 5 ist der „Apostelgeschichte" gewidmet (234-257).
Dieser Teil des lukanischen Doppelwerkes erweist sich als
„theologische Geschichtsschreibung", der Einzeltraditionen und
möglicherweise „Sammlungen des Traditionsgutes" (251 ff.),
jedoch keine sich durchziehenden Quellen (243ff.) zur Verfügung
standen. Die in Apg vorliegende eigenständige Leistung
eines ,„Schriftsteller(s) von Rang'" (nach E. Haenchen; 249) darf
allerdings die Redaktion im LkEv als ebenfalls theologische Leistung
nicht hintanstellen (so 255f. passim).

In Kapitel 6 „Johannesapokalypse" (258-275) kennzeichnet der
Vf. den Seher im wesentlichen als „christliche(n) Apokalyptiker"
(260) und ordnet sein Werk entsprechend der „Gattung Apokalypse
und ihre Stilmerkmale" zu (261-263), dabei auf die „Gattung
der Johannesapokalypse" zielend (264-266): „Der briefliche
Rahmen" werde nur begrenzt sichtbar, maßgebend bleibe „die
apokalyptische Darstellung" (264f.), die ihrerseits „vom Christusgeschehen
her" ihre bestimmende Ausrichtung erhält.

Trotz deutlichen Bezugs auf das AT ist stärker allgemein apokylptische
Überlieferung zu erkennen, das die Apk jedoch nicht in „literarische(r) Abhängigkeit
" zu bestimmen vermag. Daraus ist zu folgern, „daß bei der theo-
logie- und religionsgeschichtlichen Einordnung der Apokalypse und der
Frage nach dem Selbstverständnis ihres Verfassers die Scheidung von Tradition
und Redaktion, also die redaktionsgeschichtliche Methode eingesetzt
werden muß" (268).

Nach Erwägungen zur „Komposition" und zur theologischen Durchgestaltung
der Apk (268-273; einzubringen wäre N. Baumert, Ein Ruf zur Entscheidung
. Aufbau und Botschaft der Offenbarung des Johannes, in: Die
Freude an Gott - unsere Kraft. FS für O. Knoch, hg. von J. Degenhardt, 1991,
197ff.) folgt eine kurze Erörterung über das Verhältnis von Apk zur joh.
Schule. Trotz Hinweisen auf traditionsgeschichtliche „Gemeinsamkeiten"
kann keine konsensfähige Sicht angezeigt werden (die offene Verfasserschaft
der Apk nötigt nicht dazu, die Abfassungszeit des Werkes unter Domitian
infragezustellen und JoEv [offenbar] zeitlich später [?] anzusetzen als Apk
[275]; eindeutiger der Vf., TRE 21, 1991, 352).

Kapitel 7 „Der Kanon des Neuen Testaments - Epilog " bleibt
zu stichwortartig (276-278) und stellt zu knapp argumentativ
heraus, daß eine „Literaturgeschichte des Neuen Testaments" in
der Sache begründet über die Kanongrenze hinausweisen muß
(doch vgl. 46ff.).

Verschiedene Verzeichnisse/Register (279-300) beschließen
den Band, der in ungemeiner Dichte reiche, des Vf.s eigene Sicht
nicht verschweigende Informationen bietet und eine wirkliche
Schneise durch die Fülle des Stoffes und der Literatur schlägt.
Lediglich der Hebräerbrief findet eine gewisse Vernachlässigung
(doch vgl. 58. 69f.). Aufgrund der verschiedenen in diesem Werk
methodisch bedachten Zugänge zur Erschliessung der ntl. Schriften
hätte das „theologische Recht historisch-kritischer Exegese"
(E. Käsemann, ZThK 64, 1967, 259ff.) noch einmal zusammengefaßt
herausgestellt werden können.

Das Buch verlangt intensive Mitarbeit und setzt Grundkenntnisse
voraus. Für Studenten mittlerer und höherer Semester, für
Pfarrer und Religionspädagogen, für jeden an ntl. Wissenschaft
Interessierten (auch Altphilologen und Althistoriker) ist der
Band eine den gegenwärtig internationalen Stand der einschlägigen
Forschung bietende vorzügliche Orientierungshilfe. Neben
den Mitarbeitern des Vf.s hat vor allem der Autor selbst den
aufrichtigen „Dank der Leser verdient" (vgl. 6).

Bei einer Neuauflage sollten in den Literaturangaben die
Hinweise auf Erstveröffentlichungen vervollständigt werden. S.
89: lies: H. Probst; S. 129: lies: Pokorny

Erlangen Otto Merk

Unnik, Willem Cornelis van: Das Selbstverständnis der jüdischen
Diaspora in der hellenistisch-römischen Zeit. Aus

dem Nachlaß hg. u. bearb. Leiden-New-York-Köln: Brill
1993. 200 S. 8° = Arbeiten zur Geschichte des antiken Judentums
und des Urchristentums, 17. Lw. hfl 110,-. ISBN
90-04-09693-0.

Diese Arbeit des Utrechter Neutestamentiers W. C. van Unnik
(1910-1978) wurde von seinem Schüler P. W. van der
Horst, der jetzt auch sein Nachfolger auf dem Utrechter Lehrstuhl
ist, mit sorgfältig erarbeiteten eigenen Zusätzen pietätvoll
herausgegeben. Es handelt sich um eine Serie von Vorträgen,
die van Unnik 1967 am Swedish Theological Institute in Jerusalem
gehalten, aber später aus unbekannten Gründen nicht zum
Druck gebracht hat. Van der Horst hat die von van Unnik vorgesehenen
Anmerkungen beigefügt (wobei er öfter auch den
heutigen Forschungsstand berücksichtigt), dem Büchlein zwei
Anhänge sowie Register beigegeben und vor allem - eine Freude
für den an dem großen Gelehrten auch menschlich interessierten
Leser - eine knappe, aber warmherzig geschriebene Biographie
sowie eine Bibliographie vorangestellt.

Das Thema der Vorträge lag dem hervorragenden Kenner der
griechischsprachigen Umwelt des Neuen Testaments und Leiter
der Utrechter Abteilung des Corpus Hellenisticum Novi Testa-
menti nahe, zumal auch das hellenistische Judentum immer in
seinem Blickpunkt stand. Er will der Frage nachgehen, wie die
Diaspora-Juden „ihr Leben außerhalb Palästinas in dieser nichtjüdischen
Umgebung erlebt haben" (58), und kreist zu diesem
Zweck um das Wort ,Diaspora'. Den Anstoß gab offensichtlich
die Feststellung, daß der Sinngehalt dieses Wortes in verschiedenen
Handbüchern und Lexika falsch beschrieben wurde,
zumal auch in dem Artikel von K. L. Schmidt im ThWNT (II,
1935, 98-104), der - mit anderen - das Selbstverständnis der
hellenistischen Diaspora-Juden vom „hellenistischen Optimismus
" bestimmt sieht (61 f.), was sich in der „Neuschöpfung"
des Begriffes Diaspora ausdrücke, der die hebräischen Ausdrücke
für die als Gottesgericht verstandene gola ersetzt habe.

Das ist der Ausgangspunkt für die eigene Untersuchung der
Wortgeschichte von öiacrrconä , die van Unnik vornimmt. Er
zeigt, daß sowohl im nicht-jüdischen griechischen Gebrauch
(der ziemlich selten ist) wie auch in der Septuaginta (mit auch
nur 12 Belegen) das Wort stets einen negativen Klang hat und
daß es darüber hinaus in LXX keineswegs für die hebräischen
Worte vom Stamm gola eintritt, daß also mit dem Wort ,diaspo-
ra' die Lage der Juden unter den „Völkern" gerade „nicht als
,Exil' beschrieben (wird), sondern als etwas anderes" (85). Nun
geht van Unnik sehr eindrucksvoll der Bedeutung des Wortes
(Substantiv und Verb) in der Septuaginta und im jüdischen
Diaspora-Schrifttum, vor allem in einer Reihe von Pseudepigra-
phen, nach mit dem Ergebnis, daß die Worte stets in einem
Kontext von „Sündigen", „Bekehrung" und „Zurückführung"
gebraucht werden (149), also in einem Zusammenhang, der von
Gottes Strafen und Seiner Verheißung für die „Zerstreuten" Seines
Volkes spricht, daß sich dagegen nicht irgendeine Art eines
„hellenistischen Optimismus" mit dem Gebrauch dieses Wortes
verbindet.

Dieses hier nur kurz skizzierte Ergebnis ist durch die eingehende
Interpretation der Texte so gut begründet, daß man ihm
sicher zustimmen muß. Aber die Folgerung, aus diesem philologischen
Befund könne man auf das Selbstverständnis des hellenistischen
Judentums in ntl. Zeit schließen, hängt doch entscheidend
an der Voraussetzung, daß „die Juden...es weiter zur Angabe
ihrer Lage in der Welt außerhalb Palästinas verwendeten"
(85). Diese Voraussetzung hat van Unnik nun m.E. nicht erwiesen
. Hier wird nämlich wichtig, daß die Schriftsteller, von denen
wir die größten „Textmassen" besitzen, eigentümlicherweise
schweigen. Philon gebraucht .diaspora' zweimal, davon einmal
in einem Zitat (Dtn 30,4) und das andere Mal in übertragenem
Sinne, Josephus benutzt es überhaupt nicht. Dazu ist auch noch
der Pseudo-Aristeas-„Brief' zu nennen, der guten Grund gehabt
hätte (wie Philon), das Wort zu benutzen, wenn er von der Lage
der Juden in Ägypten erzählte; aber er verwendet es nicht. Zu
Philon und Josephus nimmt van Unnik natürlich Stellung und
erklärt das Fehlen des Wortes vor allem mit dem „apologeti-