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Ausgabe:

1993

Spalte:

1035-1039

Kategorie:

Neues Testament

Autor/Hrsg.:

Strecker, Georg

Titel/Untertitel:

Literaturgeschichte des Neuen Testaments 1993

Rezensent:

Merk, Otto

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1035

Theologische Literaturzeitung 118. Jahrgang 1993 Nr. 12

1036

Strecker, Georg: Literaturgeschichte des Neuen Testaments.

Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht 1992. 300 S. kl.8» =
UTB für Wissenschaft: Uni-Taschenbücher 1682. Kart. DM
34,80. ISBN 3-525-03278.

Dem hier anzuzeigenden Werk sind wichtige sachbezügliche
Veröffentlichungen des Vfs. bereits vorausgegangen (vgl. G.
Strecker, in: ders. - J. Maier, Neues Testament - Antikes Judentum
, GTK 2 [= Urban-Taschenbücher 422], 2-136 [passim];
ders., Art. Literaturgeschichte, Biblisches II. Neues Testament,
TRE 21, 1991, 338-358; ders. - U. Schnelle, Einführung in die
neutestamentliche Exegese, UTB 1253, [1983] 31989), die im
Kontext der nachfolgenden Ausführungen mitzubedenken sind.

Das in sieben Kapitel gegliederte Werk setzt ein mit Kapitel
1 „Geschichte und Aufgabe" (11-48). In einer Übersicht wird
zunächst ein forschungsgeschichtlicher Durchgang geboten, in
dem das literarische Verständnis der ntl. Schriften von der Patri-
stik bis in die Gegenwart nachgezeichnet und Zuordnung wie
Abgrenzung zur antiken Rhetorik und Literatur pointiert charakterisiert
werden (11-17). Mit dem Aufkommen der kritischen
Einleitungswissenschaft stellt sich notwendig die Frage des Verhältnisses
der Literaturgeschichte zu dieser, wobei in der Religionsgeschichtlichen
Schule literargeschichtliche Fragestellung
selbst zum die Kanongrenze sprengenden Ferment wird (17ff.
20ff.). Die dadurch ausgelöste Vielschichtigkeit ineinandergreifender
Probleme spiegelt die folgenreiche Bestimmung des Verhältnisses
der „Literaturgeschichte des Neuen Testaments" zum
paganen griechisch-römischen Schrifttum, womit sich Einsichten
in die literarischen Formen und die Formung des Stoffes verbinden
(E. Norden; P. Wendland; U. v. Wilamowitz-Moellendorf;
A. Deißmann). Folgerichtig lenkt der Vf. im weiteren Blick auf
die klassische formgeschichtliche Forschung (unter deutlichem
Einbezug ihrer Vorläufer und Wegbereiter, 27ff.), um dann festzuhalten
, daß erst mit M. Dibelius und P. Vielhauer „das ausgeführte
Programm einer neutestamentlichen Literaurgeschichte"
anvisiert sei (36f., wobei Vielhauer wohl doch etwas zu kurz
behandelt wird). Diesem verdanken sich (u.a.) die neueren Entwürfe
von D. E. Aune, K. Berger; auch H. D. Betz und H. Köster
(38ff.), die ihrerseits die neue Methodendiskussion in der Verhältnisbestimmung
von Diachronie und Synchronie notwendig
machen.

Aus der forschungsgeschichtlichen Situation ergibt sich für
den Vf. die eigene Aufgabenstellung: Es soll die „Geschichte der
urchristlichen Literatur" in einer „prinzipiell die chronologische
Abfolge der literarischen Gattungen" beibehaltenden Weise entfaltet
werden, wobei „ältere Formen und Gattungen ebenso aufgenommen
(werden)... wie auch ältere Quellen". Nicht soll eine
streng „lineare(n) Entwicklung der einzelnen Formen" erstellt
werden. „Auch eine Periodisierung der neutestamentlichen. bzw.
frühchristlichen Literatur erweist sich als problematisch" (42ff.).

Wenn der Vf. seine Untersuchung auf die ntl. Schriften einschränkt (46f.
278), so bedeutet das keinen Rückzug hinter die von ihm aufgezeigten Forschungspositionen
. Es „entbindet" ihn freilich - entgegen seiner Sicht - nur
bedingt „von der methodologischen Reflexion über eine Grenzziehung zwischen
urchristlicher und patristischer Literatur", wenngleich seine eigene
Absicht deutlich ist: „die Methodendiskussion voranzutreiben" und so
Wege in der Fülle gegenwärtiger Ansätze begründet aufzuzeigen (47f.).

Kapitel 2 „Der Gegenstand: Die neutetamentlichen Schriften "
(49-55) bietet wichtigste Hinweise zu Text und Sprache des NT
(zur Ergänzung vgl. A. Debrunner, A. Scherer, Geschichte der
griechischen Sprache II, Sammlung Göschen Bd. 114/114a,
21969; G. Dautzenberg, Sprache und Gestalt der neutestamentlichen
Schriften, in: Gestalt und Anspruch des Neuen Testaments,
hg. v. J. Schreiner unter Mitwirkung von G. Dautzenberg, 1969,
20ff.).

Kapitel 3 „Briefliteratur" (56-121). Ein klassifizierender
Überblick über die ntl. Schriften, im wesentlichen Fragen der
Einleitungswissenschaft voraussetzend, läßt des Vf.s eigene

Sicht deutlich hervortreten: Die Reihenfolge der Paulusbriefe
IThess., 1.2.Kor, Gal, Rö, Phil, Phlm deutet auch an, wie sich
s.M.n. Wandlungen in der pln. Theologie vollzogen haben
könnten (nach 57 Anm. 2 neigt der Vf. einer Frühdatierung des
IThess im Jahre 41 n.Chr. im Sinne seines Schülers G. Lüdemann
zu; im übrigen vgl. auch 116 Anm. 273; 125 Anm. 6);
Hebr wird dem „Kreis der Paulusschule" zugeordnet (57f.).
Hinsichtlich der Literarkritik in den pln. Briefen wird der Stand
der Forschung mit kritischer Akzentsetzung, aber eigenem moderaten
Urteil referiert (u.a. Aufteilung von 2Kor; Rö 16 gilt als
wahrscheinlich eigenes Schreiben; IKor 14,33b-36 ist als Interpolation
„nicht überzeugend"; 61 f.).

Besonderes Gewicht kommt dem Abschnitt „Der Brief als
literarische Gattung im Horizont antiker Briefschreibung und
gegenwärtiger Forschung" zu (66ff.). Nach einleitenden Hinweisen
zur Gattung Brief werden 1 Jo, Hebr, IPt der Rubrik ,,a)
Homilie" zugeordnet (67ff., wobei Spezifizierungen beachtet
sind, aber Rückfragen [etwa zu Uo] möglich bleiben); als ,,b)
Traktat" werden Eph, Jak, Jud angesehen (71 f., doch ist hier die
Beweisführung insgesamt zu knapp, zumal die Diskussion über
die jeweils brieflichen Charakteristika dieser Schreiben zu
wenig zur Geltung kommt); unter ,,c) Testament" steht 2Pt (73).
Der Unterabschnitt „Aufbau und Struktur" (73ff.) skizziert den
diesbezüglichen Forschungsstand, während die Erwägungen zu
„Stil, Epistolographie und Rhetorik" (81 ff.) besonders zu letzterem
Punkt in eine sehr offene Diskussion vorstoßen. „Ist zu
Recht zu fragen, inwieweit Paulus über spezifische rhetorische
Kenntnis verfügt (wie sie den rhetorischen Handbüchern [z.B.
Quintilian] zu entnehmen ist...), so sollte eine allgemeine
Kenntnis jedoch nicht bestritten werden" (84 Anm. 129), wie
der Vf. sowohl im grundsätzlichen zeigt als auch kritisch
gegenüber Nachweisungen rhetorischer Elemente z.B. in den
Peristasenkatalogen zur Geltung bringt, denn „das Kreuz dokumentierte
Leiden Christi... der entscheidende Ansatz des pauli-
nischen Leidensverständnisses" (85). „Strukturalistische" und
„argumentationstheoretische" Untersuchungen sind „bedeutsam
", sofern diese nicht die „synchronische Betrachtung" absolut
setzen (85f.). Dies ist auch ein geheimer Leitgedanke, wenn
der Vf. im folgenden die Diskussion der „Frage nach antiken
rhetorischen und epistolographischen Vorbildern für die neutestamentlichen
Briefe" bedenkt und beispielhaft den „Neuansatz
" von H. D. Betz zum Gal vorstellt (jedoch ohne im einzelnen
mögliche Einwände zu erörtern, 87f.).

Die vornehmlich zunächst in amerikanischen Untersuchungen geförderte
Übertragung der Rhetorikforschung auf die Analyse paulinischer Briefe
wird kritisch dargelegt („eine schematisierende Anwendung der rhetorischen
Analysen aufgrund der Theorie der rhetorischen Handbücher, wie sie
in der Forschung zuweilen vorgenommen wird, wird weder den antiken
noch den neutestamentlichen Briefen gerecht", 91). Die (berechtigte) Skepsis
des Vf.s überwiegt, da eine die Rhetorik einbeziehende „Klassifikation
der neutestamentlichen Briefe im Vergleich mit der antiken Briefliteratur"
fehlt (93), gipfelnd in der Feststellung, daß „rhetorische Analyse und episto-
lographischer Vergleich nur in Verbindung mit anderen Schritten der historisch
-kritischen Methode zu überzeugenden Ergebnissen gelangen" können,
denn es dürfe „nicht außer acht gelassen werden, daß die frühchristlichen
Briefautoren sich zu Sachfragen des christlichen Glaubens äußern, die letztlich
nur in einem theologischen Koordinatensystem angemessen zu interpretieren
sind" (94f.). Dieser gegenwärtige Rhetorikforschung in der ntl.
Wissenschaft zur methodischen Orientierung aufrufende Abschnitt läßt
vielfach die grundlegende Diskussion von J. C. Classen, Paulus und die
antike Rhetorik, ZNW 82, 1991, 1-33, hilfreich erkennen.

Weiter informiert der Vf. über verschiedene Formen des in den pln. Briefen
begegnenden Traditionsgutes (95-104; Bedenken bleiben, ob im Hymnus
Phil 2,6-11 tatsächlich V. 8 pln. Redaktion zugeteilt werden muß, wozu
m.E. die gegebene Begründung nicht ausreicht; vgl. O. Merk, Handeln aus
Glauben, 1968, 179-183, spez. 182 Anm. 46), einschließlich zu bestimmender
„Einlagen" (etwa IKor 2,6-16), wobei die Fragestellung auf weitere
Abschnitte ausgedehnt und die Diskussion über ,Digressionen' in den pln.
Briefen bereits hier eingebracht werden müßte (104-106, wie später I I2f.
zeigt). Hinsichtlich „paränetische(r) Texte" (Laster- und Tugendkataloge;
Haustafeln; Pflichtenlehre) wird der gegenwärtige Diskussionsstand auf