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Ausgabe:

1993

Spalte:

1029-1031

Kategorie:

Altes Testament

Autor/Hrsg.:

Ruppert, Lothar

Titel/Untertitel:

Genesis. 1. Teilbd.: Gen 1,1-11,26 1993

Rezensent:

Seebass, Horst

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Theologische Literaturzeitung 118. Jahrgang 1993 Nr. 12

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der Herr die Stadt Samaria durch ausgestoßene Aussätzige (7,3-
20). M. gibt zu: "social tensions may well inform these stories"
(127). Das einfache Volk verhält sich aber längst nicht immer
sozial, sondern ist dem Wucher und dem Kannibalismus verfallen
(6,25.28.29). "All this seems out of character with a class-
conscious agenda." (127). - Schließlich untersucht M. die theologische
Auseinandersetzung mit der aramäischen Hegemonie
. Die Motive des Heiligen Krieges, die G. von Rad in den
Erzählungen entdeckt hat (6,16-18; 7,6.7), sind richtig bestimmt
. Damit stimmt iiberein, daß man in Elischa den „Wagen
Israels und seine Lenker" sieht (2Kön 13,14). Die Elischaerzäh-
lungen versuchen zu zeigen: "salvation is from the Lord" (143).
Die Zeit des Elischa "is a time when an Aramean general must
submit to Yahweh as the sole source of even Aramean salvation
(5.1)" (145). Damit ist die These eng verbunden, daß die Rettung
nicht von oben kommt (vgl. 7,2): "The lepers... by beco-
ming sources of help to one another, become agents of salvation
for Yahweh." (146). Die Elischaerzählungen erweisen sich als
"didactic salvation stories" (147).

M. bietet dem Leser einen guten Überblick über Gattungsund
Formkritik der Elischaerzählungen. Die literarisch-ästhetische
Analyse der drei Erzählungen ist erfreulich kurz und klar.
Die Beobachtungen zum „Kontext" bringen die Exegese der
Elischaerzählungen erheblich voran. Im Detail ergeben sich
allerdings einige Fragen: Hat man nur Exorzisten und nicht allgemein
den Propheten Gaben gebracht (78)? Die Witwe von
2Kön 4,1-7 ist kaum mit der Schunemiterin identisch (121),
denn sie hat - im Unterschied zu jener (4,14) - schon zwei Kinder
(4,1). In 2Kön 7,6 hat M. die Inversion übersehen, mit der
eine Rückblende eingeleitet wird (97). Die Aramäer waren
bereits geflohen, als die Aussätzigen in das verlassene Lager
eindrangen. Diese geringfügigen Ungenauigkeiten berühren
aber den Wert der Untersuchung keinesfalls.

Erfurt Georg Hentschel

Kuppel t. Lothar: Genesis. Ein kritischer und theologischer
Kommentar. I. Teilbd.: Gen 1,1-11,26. Würzburg: Echter
1992. X, 536 S. gr.8° = Forschung zur Bibel, 70. Kart. DM
64,-. ISBN 3-429-01451-4.

Habent sua fata libelli, überschreibt der Vf. sein Vorwort.
Denn dieser Kommentar war ursprünglich für den St. Benno-Verlag
Leipzig mit dem Titel „Das Buch Genesis" vorgesehen. Bei
Fertigstellung des MS aber war die Wende eingetreten, was zu
einem Verlagswechsel führte. Daher erscheint der Kommentar
jetzt im Typoskript als Sonderband der Reihe fzb.

Auf 536 gut lesbaren Seiten erklärt der Vf. die Urgeschichte,
deren Abgrenzung mit 1,1-11,26 überzeugt. Die Disposition ist
nicht uninteressant. Der Vf. gibt nämlich nur eine ganz knappe
Einführung (37 S.), der am Ende eine ebenso knappe Übersicht
über die Konzeptionen der Überlieferungsschichten und der
Endredaktion entspricht (10 S.). Es ist die Kommentierung selbst,
die den eigentlichen Raum haben soll. Die Einführung gibt in
einem 1. Teil eine Übersicht über das Pentateuchmodell des Vf.s,
das er auf ein früheres Stadium der Ansichten von E. Zenger
zurückführt (d.h. neben einem fragmentarischen J vor allem Je als
Bearbeiter neben P; so schon in „Geistliche Schriftlesung", Das
Buch Genesis, 1984). Wertvoll scheint mir, daß der Vf. den Pen-
tateuch im ganzen gliedert, um in ihm die Rolle der Gen und
zumal der Urgeschichte zu bestimmen (1-22). In einem 2. Teil
führt der Vf. in die Gen ein und benennt einen Schwerpunkt seiner
Kommentierung, nämlich das Gespräch mit der frühen Auslegungsgeschichte
in Judentum und Christentum. M.E. ist das. was
Vf. hier jeweils zu den einzelnen Abschnitten gesammelt hat,
sowohl arbeitsreich als lesenswert.

Um die Kommentierung vorzustellen, möchte ich mich nicht
mit der Diskussion des Pentateuchmodells aufhalten. Andernorts
habe ich begründet, daß das Modell gegenüber dem klassischen
ein Mehr an Hypothetik bedeutet. Im übrigen ist Ruppert
als Literarkritiker bestens ausgewiesen, so daß man sich gleich
den Inhalten zuwenden kann. Ein beispielhaftes jumping to con-
clusions finde ich es allerdings, wenn der Vf. zu 11,1-9 erklärt,
dessen J-Bestand habe wegen des Aufbruchs von Osten her (V.
2; anders aber B. Jacob) unmittelbar an den J-Bestand von 2,4b-
3,24 angeschlossen. Umso mehr bleibt zu betonen, daß, wenn
man das literargeschichtliche Modell nicht als Hauptsache betrachtet
, der Vf. den Untertitel seines Werkes wahr gemacht hat:
es ist eine sehr theologische Arbeit, die Vf. da vorgelegt hat.

Für die Darstellung der Kommentierung übergehe ich 1,1-
2,4a; 2,4b-3,24 und 6,5-9,17, da in diesen Fällen die Überfülle
der Literatur eine relativ verläßliche, weitgehend zustimmungsfähige
Kommentierung ermöglicht. Wenn das Folgende nun
überwiegend zur Auseinandersetzung gerät, soll dies dem Gewicht
und der Eingängigkeit des Werkes keinen Abbruch tun.

Am meisten überrascht hat mich die Kommentierung von 11,1-
9. Keinen Eindruck auf den Vf. machten die so umfangreichen
Nachweise von H. Bost und Ch. Uehlinger, daß der Turm (Ueh-
linger: eher Akropolis) keine entscheidende Rolle im Erzählganzen
spielt. Ob hier nicht doch das Modell der Unterscheidung
mehrer Schichten dem Vf. einen Streich gespielt hat? Verblüffend
ist ebenfalls, daß er 11,1-9 zu den Schuld- und Strafe-Erzählungen
rechnet, obwohl nach eigener Einsicht der Wortlaut keine
Schuld hergibt (507f.). Ähnliches begegnet bei 6,1-4, das freilich
der Auslegung größere Schwierigkeiten macht. V. 3 wird als
„doppelte Strafsanktion" erklärt, obwohl eine Menschenschuld
nicht vorliege (277). Ob nicht auch hier der Hang zur Rekonstruktion
des Urmotivs den Blick auf den Text verstellt? Kann,
wenn es um die Attraktion der Gottessöhne durch Menschentöchter
geht, Jahwes Ruach wirklich nur die von Ez 11,19; 36.26 sein?
Muß sie nicht wegen V. 4 ein Heldencharisma sein, so daß auch
„nicht für immer" oder „nimmermehr" in V. 3 keinen Widerspruch
zum Ausschluß vom Lebensbaum 3,22 bewirkt? Lohnt
nicht gerade in der Gen der bloße Nachvollzug der überlieferten
Endgestalt von Texteinheiten vor allen kritisch-diachronen
Schritten, die ja dadurch nicht unmöglich werden?

Zu 9,18-27 hat der Vf. in guter Auslegungstradition die Diskrepanz
zwischen den verarbeiteten Motiven und ihrer urgeschichtlichen
Verwendung herausgearbeitet. Nach den gründlichen
Analysen von W. Schottroff, Der altisraelitische Fluchspruch
(1969) 147-150.165-168 überzeugt es jedoch nicht recht,
daß Vf. erneut eine im übrigen gescheiterte historische Zuordnung
der Sprüche V. 25-27 vorschlägt (spätdatierend), ohne
stringentere Argumente als bisher bekannte anführen zu können.
Eine durch und durch urgeschichtliche Deutung der Sprüche
schiene hier angemessener und wäre auch dem Sinn des Vf.s für
die urgeschichtliche Bedeutung angepaßt. Der behutsame, sorgfältig
abwägende Exkurs zu Chams Vergehen V. 20-24) möge
als Gegenbeispiel dienen.

Eine treffende Korrektur zu Westermanns Auffassung von
4,1-16 bietet der Vf. auf S. 176-210. Die stammesgeschichtliche
Grundlage kommt wieder zum Zuge, und V.lf sind nicht Teil
einer Genealogie, sondern der Erzählung, deren wohlbekannte
Lückenhaftigkeit einmal mehr in sorgfältigen Einzelschritten
überdacht wird. Daß dem plot die förmliche Verfluchung eines
ohne Zeugen begangenen Mordes zugrundeliegt (B. Jacob),
scheint dem Vf. nicht eingeleuchtet zu haben. Sehr bedenkenswert
scheint mir Rupperts Abhebung der urgeschichtlichen
Bearbeitung von einer Vorlage. Daß die Bearbeitung nicht J.
sondern erst Je zu verdanken sei, hängt eher an Rupperts Urteil
über 2,4b-3,24 als an aus 4,1-16 gewonnenen Argumenten.

Richtig und wichtig scheint mir, daß der Vf. die vorpriesterli-
chen Bestandteile von Gen 10 nicht J, sondern erst Je zu-