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Ausgabe:

1993

Spalte:

1026-1028

Kategorie:

Altes Testament

Autor/Hrsg.:

Meier, Samuel A.

Titel/Untertitel:

Speaking of speaking 1993

Rezensent:

Groß, Walter

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Theologische Literaturzeitung 118. Jahrgang 1993 Nr. 12

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Rechtssätze in den ihnen als Quelle zugrundeliegenden Erzählungen
erhelle nicht nur die Interpretation des je einzelnen
Rechtssatzes bis in die Semantik hinein, sondern vermöge auch
die uns oft willkürlich erscheinende Abfolge der Rechtssätze,
die von den zugrundeliegenden Erzählungen gesteuert werde, zu
erklären. Diese Grundsätze auf den Dekalog angewandt, lassen
die Erste Tafel zu einem Reflex der Erzählung vom Goldenen
Kalb (Ex 32), das Fremdgötterverbot zur Antithese der Deklaration
des Goldenen Kalbes als „deine Götter Israels", das Bilderverbot
zu einer Zusammenfassung der JHWH-Reaktion in Ex
32, die Gnade, die den Tausenden gewährt wird zu einer Anspielung
auf die Leviten und das Namensmißbrauchsverbot und
Sabbatgebot zu einer Reaktion auf Aarons Ausrufung eines
Festtages werden. Da der Mensch also seine Götter nicht selbst
schaffen könne, bleibe die Frage, ob es überhaupt menschliche
Schöpfungsfähigkeit analog zu der des Weltschöpfers gebe. Die
Antwort gebe die Schöpfungsgeschichte in Gn 2 mit der Zeu-
gungs- und Gebärkraft des Menschen. Entsprechend folge im
Dekalog das auf Gn 2/3 zurückgehende Elterngebot, das Kain
im Blick habe, so daß sich das Tötungsverbot anschließe. Kain
war auch der erste unter den Bedingungen von Gn 3 Verheiratete
, so daß sich das Ehebruchsverbot anschließe. Das Diebstahlsverbot
lenke zurück auf das Verbot, vom Baum der Erkenntnis
zu essen, das Falschzeugnisverbot auf das Verhör des Urpaares
durch Gott nach der Übertretung dieses Verbotes und das Begehrensverbot
reagiere auf die Lebensreduktion durch die
Flüche in Gn 3. Auch Ex 34,10-26 wird auf Ex 32 in Verbindung
mit dem Reflex dieser Erzählung in den Königsbüchern
(1 Kön 12,25-33 u.ö.) zurückgeführt. In Gn 3 und Ex 32 entziehe
sich Gott dem unmittelbaren Kontakt mit dem Menschen. Das
Altargesetz in Ex 20,23-26 beantworte darauf reagierend die
Frage, wie der Mensch mit Gott verbunden sei. Die Mispatim
des Bundesbuches führt der Autor auf die Genesiserzählung von
Jakob und Joseph zurück. So wird das Sklavengesetz in Ex 21,2-
6 auf die Jakob-Labanerzählung zurückgeführt, obwohl Jakob
nicht Sklave Labans war: Wenn ein hebräischer Sklave gekauft
wird, solle er nicht behandelt werden wie Laban den Jakob behandelte
. Vorausgesetzt wird, daß der Autor von Ex 21,2-6 aus
einer über die Erzählung hinausgehenden Fiktion heraus, wie
Jakob behandelt werden sollte, wenn er Labans Sklave gewesen
wäre, den Rechtssatz gestaltet habe. Die Stellung des Sklavengesetzes
unmittelbar nach dem Altargesetz erkläre sich daraus,
daß auf Jakobs Gottesbegnung in Bethel (Gn 28) unmittelbar die
Labanerzählung folge. In entsprechender Weise werden auch
die übrigen Rechtssätze in Erzählungen von Jakob und Joseph
sowie vom Aufenthalt Israels in Ägypten (Ex 1-13) geortet. Der
Autor verzichtet mit dem Argument, in Ex 21-23 Uberwiege
durchgängig die plene-Schreibung und also sei der Text einheitlich
(S. 7 Anm. 12), auf jede literarische Analyse des Bundesbu-
ches, um dann aber überraschend und durch die vorangehenden
Ableitungen der Rechtssätze aus Erzählungen nicht begründet
das Bundesbuch pauschal für deuteronomisch zu erklären (228).
Während das Bundesbuch auf dem Pentateuch fuße, konzentriere
sich das Deuteronomium auf Erzählungen der Vorderen Propheten
in den Büchern Richter bis 2.Könige. Bleibt noch die Frage
nach der Funktion von Rechtssätzen als Miniaturerzählungen.
Es gehe den Autoren trotz des Realismus in den Rechtssätzen
nicht um eine rechtliche Gestaltung des Alltagslebens, sondern
darum, die Tradition des Volkes zu kondensieren "the correct
Interpretation of which in the form of rules and judgements was
considered vital for a continuing sense of nation-hood" (234).
Seien in gelehrten Kreisen Erzählungen und Rechtssätze
gemeinsam tradiert worden, so sei es, nachdem die Tradition
diese Kreise verließ, zu einer Trennung gekommen, ohne daß
der Grund für diese Tennung noch einsichtig zu ma-chen sei. "I
can only speculate that the national identity required, on the one
band, the preservation of the tales about the less than virtuous

ancestors and, on the other hand, some means, namely, the rules,
of Coming to terms with the ancestors' ways should anyone
choose to extal them uneritieally" (240).

Die methodischen Probleme dieser neuhaggadischen Textin-
terpreation liegen auf der Hand und sind wiederholt bereits
benannt worden; cf. zuletzt B. M. Levinson, HThR 83, 1990,
227-257 (Lit.). Was zu beweisen wäre, die Abhängigkeit der
Rechtsätze von Erzählungen, wird vorausgesetzt, so daß sich die
gesamte Argumentation in einem Zirkelschluß bewegt, der auch
nicht durch den Hinweis, der bisherigen Forschung seien keine
überzeugenden Verortungen der Rechtssätze in der Geschichte
der israelitischen Gesellschaft gelungen, durchbrochen wird.
Darüberhinaus muß der Autor noch, um die Relationen zwischen
Rechtssatz und Erzählung herzustellen, dort, wo die Inhalte
wie im Sklavenrecht konvergieren, zu Fiktionen Zuflucht
nehmen, die sich von den Erzählungen lösen, zu "rules formula-
ted on the basis of suppositions such as 'What if Jakob's Status
under Laban had been that of a slave' or 'What if Esau had mur-
dered Jakob?'" (15). Für das vermeintlich höhere Maß an Interpretationssicherheit
, das der Autor durch die konsequente Interpretation
der Gesetze als Literatur gewinnen will, zahlt er nun
doch einen hohen Preis. Er isoliert das Recht Israels von den
konkreten Lebensbezügen judäischer Rechtsgeschichte und läßt
die Rechtssätze zu einer esoterischen Literaturform einer gelehrten
Elite werden, ohne daß deutlich wird, welchem Zweck diese
Literatur diente. Er isoliert damit weiterhin die Rechtssätze von
ihrem Kontext altorientalischer Rechtsgeschichte. Schließlich
muß er unterstellen, daß im Kanonisierungsprozeß die Rechtssätze
als tatsächliche Rechtssätze mißverstanden und der literarische
Charakter in Relation zur Erzähltradition nicht mehr
erkannt wurde. Sollte der Autor mit dieser These die Subsumierung
der Heilsgeschichte unter den Torabegriff in spätisraelitischer
Tradition (Jub 20,12) zugunsten der These des in der
Geschichte, nicht aber im Gesetz offenbaren Gottes umkehren
wollen, so hat er ein theologisches Grundproblem mit falschen
Mitteln in Angriff genommen. Unabhängig davon aber gibt er
der weiteren Forschung die Aufgabe auf, das Verhältnis der Gesetzessammlungen
von Bundesbuch, Deuteronomium und Heiligkeitsgesetz
zum jeweiligen Erzählungskontext insbesondere
in der Endgestalt des Pentateuch zu reflektieren. Dann kann sich
für Bundesbuch und Deuteronomium ein sehr viel komplexeres
Bild ergeben, als es der Autor erkennen läßt: Löste das vordtr
Deuteronomium in spätvorexilischer Zeit das von ihm ausgelegte
und revidierte Bundesbuch ab, so wurde nachexilisch mit der
Einfügung in die Sinaiperikope als Primäroffenbarung das Bundesbuch
dem Deuteronomium als Wiederholung im Lande
Moab vorgeordnet. Der Rahmen der Erzählungen bestimmt über
das Gewicht, das den stellenweise nicht unerheblich voneinander
abweichenden Rechtssatzsammlungen zukommt. Über die
Rekonstruktion von Fortschreibungsgeschichte in den Rechtsbüchern
und in ihrem Verhältnis zueinander hinaus ist nach
ihren Einbettungen in ihren Erzählungskontext als hermeneuti-
sche Schlüssel für ihre Interpretationen zu fragen.

Mainz Eckart Otto

Meier, Samuel A.: Speaking of Speaking. Marking direct Discourse
in the Hebre Bible. Leiden-New York-Köln: Brill
1992. XVI, 383 S. gr.8° = Supplements to Vetus Testamen-
tum, 46. Lw. hfl 175.-. ISBN 90-04-09602-7.

M. gewinnt seinem nur scheinbar rein formalen Thema vielfältige
, überraschende Aspekte ab und legt eine durch reiche
Belegsammlungen untermauerte, durch einen umfangreichen
Stellenindex erschlossene bedeutende Untersuchung vor, deren
Ergebnisse nicht nur Semantik, Textsyntax und Stilistik alttesta-