Recherche – Detailansicht

Ausgabe:

1993

Spalte:

1007-1010

Kategorie:

Allgemeines

Autor/Hrsg.:

Amberg, Ernst-Heinz

Titel/Untertitel:

Zur Erkenntnis der Wahrheit kommen 1993

Rezensent:

Fischer, Herrmann

Ansicht Scan:

Seite 1, Seite 2

Download Scan:

PDF

1007

Theologische Literaturzeitung 118. Jahrgang 1993 Nr. 12

1008

Gottes. Nur wo dies der Fall ist, kann sich die Einheit der Vielen
auf eine sittlich angemessene Weise, nämlich nach Art
gerechter Liebe und das heißt so realisieren, daß Einheit und
Vielheit paritätisch gelten und die Verschiedenen als Verschiedene
eins sein können, weil die Verschiedenheit, ohne aufzuhören
(sie wird vielmehr durch Einigkeit gesteigert!), ihr
Trennendes verloren hat. Daß diese Einsicht von ekklesiologi-
scher Bedeutung ist, bedarf keiner Betonung. Ist doch die Kirche
, der als communio sanctorum der Gemeingeist Jesu Christi
innewohnt, ihrem Wesen nach dazu bestimmt, daß die Einheit
der Vielen in ihr Gestalt annehme und sich verwirkliche.

Was das für die Sittlichkeit der in der Kirche vereinten Christen
in der Verschiedenheit ihrer individuellen und sozialen
Lebensumstände bedeutet, kann hier nicht ausgeführt werden,
so wichtig eine Detailauseinandersetzung mit den materialethischen
Inhalten wäre, wie sie der Weltkatechismus namentlich
auf der Basis der Zehn Gebote entfaltet. Ich belasse es bei der
Vermutung, daß das ungelöste Problem des Verhältnisses von
generalisierender Perspektive und konkreter Applikation dem
Weltkatechismus in bezug auf seine Sittenlehre nicht geringere
Rezeptionsprobleme verursachen wird als bezüglich jener Themen
, die in seinen beiden ersten Teilen verhandelt werden.
Prinzipiell aber gilt, daß sich christliches Ethos, dessen allgemeinverbindliche
Maxime darin besteht, der Einheit der Vielen
zu dienen, nicht nach Art eines Lehrgesetzes autoritativ dekretieren
läßt. So grundsätzlich nämlich christliches Ethos von
allen Weisen unmittelbarer Selbstbestimmung und Selbstverwirklichung
sich abhebt, so kategorial unterscheidet es sich
zugleich von jeder Form der Heteronomie, in der ein Bedingtes
unbedingte Geltung und ein Besonderes unter Verkennung seiner
Besonderheit und der Besonderheit seiner Perspektive Allgemeinverbindlichkeit
beansprucht.

VII.

In vielen Teilen der katholischen Kirche mehren sich die Stimmen
, die Kritik am römischen Zentralismus und seinen Folgen
üben. Es wird beklagt, daß die Ansätze des II. Vatikanischen
Konzils „zu einem erneuerten Verständnis der Kirche als einer
Gemeinschaft von Ortskirchen nicht nur nicht eingelöst sind,
sondern daß die Entwicklung in die Gegenrichtung geht. Das
Gleichgewicht zwischen Gesamtkirche und Ortskirchen, das das
Konzil wieder in die Balance bringen wollte, ist massiv, ja geradezu
pathologisch gestört." Der Münchner Jesuit und Chefredakteur
der Zeitschrift ,Stimmen der Zeit', Wolfgang Seibel, von

dem diese Diagnose stammt (Ortskirchliche Wirklichkeit, in: Zur
Debatte. Themen der Katholischen Akademie in Bayern 23
[1993J, Nr. 3, 14), hat freilich auch eingeräumt, daß sich die von
ihm beklagte Entwicklungstendenz zum II. Vaticanum nicht
lediglich äußerlich verhält. Das hat damit zu tun, daß das Konzilsergebnis
nach Seibels Urteil nicht hinreichend eindeutig, ja in
sich unausgeglichen ist. Zwar werde auf der einen Seite nachdrücklich
betont, daß kirchliche Einheit und Vielfalt gleichursprünglich
und gleichgewichtig seien; doch sei auf der anderen
Seite die mögliche zentralistische Bestimmung der Einheit nicht
klar genug abgewiesen worden, so daß sie unter dem Pontifikat
von Paul VI. und insonderheit unter dem des jetzigen Papstes
erneut und massiv habe Platz greifen können.

Gleichwohl hält es Seibel für falsch, „die Schuld für diese verhängnisvolle
Entwicklung nur Rom zuzuweisen. Die Verantwortung für die immer
stärkere Störung des für die Kirche so notwendigen Gleichgewichts tragen
auch die für die Ortskirchen Verantwortlichen. Denn sie haben die Pflicht,
das eigene theologische Gewicht ihrer Kirche auch wirksam zur Geltung zu
bringen, mit Freimut für ihre Rechte einzutreten und auch den strittigen
Dialog, die offene Diskussion unterschiedlicher Standpunkte nicht zu
scheuen. Wenn sie aufgrund eines falsch verstandenen Begriffs von Gehorsam
, Demut, Einheit und Harmonie oder gar aus Schwäche und Feigheit
alles akzeptieren, was man von ihnen verlangt, dann machen auch sie sich
mitschuldig am Verrat des Konzils und an der Perversion der Kirche von
einer Gemeinschaft von Ortskirchen zu einem absolutistischen System."
(ebd.)

Klare und harte Worte, die zumindest eines in der nötigen
Deutlichkeit zeigen: der Katholizismus ist kein erratischer konfessioneller
Block, sondern in sich zum Teil heftig bewegt. Daran
wird auch der neue Weltkatechismus nichts ändern, im Gegenteil
, so wie es aussieht, wird er diese Bewegung und den mit
ihr verbundenen Pluralisierungsschub eher noch verstärken. Die
Reformationskirchen und die ihnen verbundene evangelische
Christenheit kann dies nicht unbewegt lassen; sie sind vielmehr
zu innerer Anteilnahme aufgefordert und das um so mehr, als für
sie häufig nicht so sehr die Frage gebotener oder erlaubter Vielfalt
, sondern die einer auch strukturell faßbaren und weltumfassenden
kirchlichen Einheit zum Problem geworden ist und nach
wie vor zum Problem wird. Erkennt man dies an, dann ist der
Weg frei, sich jenseits überkommener Vorurteile auf die gemeinsame
ökumenische Aufgabe zu konzentrieren, die im wesentlichen
darin besteht, eine evangelische Katholizität zu erstreben, in
welcher die Verschiedenen eins und in der Einheit verschieden
sein können, weil die konfessionellen Kirchenattribute römisch
und protestantisch ekklesiologisch gleichermaßen gut aufgehoben
sind.

Allgemeines/Festschriften

[Amberg, Ernst-Heinz:] Zur Erkenntnis der Wahrheit kommen.
Theologische Aufsätze und Betrachtungen. Eingel. u. hg. von
M. Petzoldt. Leipzig: Evang. Verlagsanstalt 1992. 301 S. 8°.
Kart. DM 78,-. ISBN 3-374-01403-8.

Gelungene Festschriften, also Publikationen, die sich vom
Thema und der forschungsgeschichtlichen Perspektive her zu
einem einheitlichen Ganzen zusammenfügen, gehören eher zu
den Ausnahmen. Als Alternative dazu bietet sich die von Fall zu
Fall geübte Praxis an, einen Jubilar mit der Zusammenstellung
seiner eigenen, oft an verstreuten Orten erschienenen, Aufsätze
zu ehren. Dieser Weg ist aus Anlaß des 65. Geburtstages von
Ernst-Heinz Amberg gewählt worden. Der geehrte Autor, der
seit 1969 den Lehrstuhl für Systematische Theologie an der
Theologischen Fakultät der Universität Leipzig innehat und dem

wissenschaftlichen Publikum insbesondere durch seine Tätigkeit
an der „Theologischen Literaturzeitung", seit 1971 verantwortlich
für die Redaktion, seit 1983 als Hg., bekannt ist, kommt in
diesem von Martin Petzoldt hg. und mit einer instruktiven Einleitung
versehenen Band mit Aufsätzen aus einem Zeitraum von
30 Jahren (1960-1990) zu Worte. Ein zweiter, kleinerer Teil des
Buches enthält dann noch einige Predigtmeditationen und allgemeinverständliche
Betrachtungen aus bestimmten Anlässen. Die
Beiträge beider Teile sind in sich chronologisch geordnet. So
bietet der Band einen guten Überblick über die Interessen, die
Schwerpunkte und die Entwicklung der wissenschaftlichen
Arbeit des Vf.s, die nicht nur durch die zeitraubende Tätigkeit
an der „Theologischen Literaturzeitung", sondern vor allem
auch durch die politischen und theologiepolitischen Konstellationen
der ehemaligen DDR mancherlei Einschränkungen ausgesetzt
war.

Charakteristisch für die Aufsätze ist ihr durchgehender Zeitbezug
. Das gilt auch für den thematisch zunächst anders ausgerichteten
Aufsatz „Lessings Gottesanschauung in heutiger