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Ausgabe:

1993

Spalte:

995

Autor/Hrsg.:

Wenz, Gunther

Titel/Untertitel:

- 1008 Römisch statt katholisch? 1993

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995

Theologische Literaturzeitung 118. Jahrgang 1993 Nr. 12

996

Gunther Wenz
Römisch statt katholisch?

Evangelische Notizen zum Weltkatechismus der katholischen Kirche

I.

In der Feuilleton-Beilage der Süddeutschen Zeitung vom
9./10. Januar 1993 wurde dem neuen Weltkatechismus der katholischen
Kirche, noch bevor er überhaupt in deutscher Übersetzung
erschienen war, von Norbert Greinacher, Professor an
der Katholisch-Theologischen Fakultät der Universität Tübingen
, etwas hastig, aber in einer für die bisherige innerkatholische
Rezeption im deutschen Bereich nicht gänzlich untypischen
Weise attestiert, er, der Katechismus, sei - kurz gesagt -
ein Desaster. „Wie kann jemand auf die Idee kommen", so fragte
Greinacher, „an der Schwelle zum dritten Jahrtausend der
Christentumsgeschichte der Christenheit einen Weltkatechismus
von oben zu verordnen? Mit anderen Worten: Welches ist der
ideologische Hintergrund für diesen Katechismus?" Die Antwort
des Tübinger Theologen: „Es ist im Grunde dieselbe ge-
genreformatorische Konzeption, welche den ,Römischen Katechismus
' von 1566 hervorbrachte."

Bei dem ,Catechismus Romanus' handelt es sich bekanntlich
um jenes durch das Konzil von Trient veranlaßte und auf Geheiß
von Pius V. von der Kurie vorgelegte Dokument, durch welches
den mit der Katechese befaßten Klerikern die Professio fidei
Tridentinae nahegebracht und ausgelegt werden sollte. Charakteristisch
für den Katechismus von 1566, der lange Zeit als das
wichtigste katholische Religionsbuch galt, war - wie für das Tri-
dentinum insgesamt - das dezidierte Interesse an einer klaren
Abgrenzung gegenüber reformatorischer Lehre und Praxis.
Folgt man Greinacher, dann mag es unter den Bedingungen, die
um die Mitte des 16. Jahrhunderts gegeben waren, noch einigermaßen
plausibel gewesen sein, „daß die damalige römische, völlig
abendländisch und hierarchisch verstandene Kirche in Abwehr
gegen die Gefahren von jenseits der Alpen eine verbindliche
Leitlinie für Glauben und Sitte herausgab". Im heutigen
Kontext hingegen sei es „aberwitzig, einer wirklich katholischen
, das heißt alle Kontinente, Völker und Kulturen umfassenden
Weltkirche und den verschiedensten Sprachen, Spiritualitäten
, Liturgien, Theologien, einen einheitlichen Katechismus ,per
decretum mufti' zu verordnen". Daß ein solch sinnloses und
vorweg zum Scheitern verurteiltes Unternehmen gleichwohl
begonnen und durchgeführt worden sei, lasse sich nur aus dem
reaktionären „Geist des römischen Zentralismus" erklären, wie
er nicht nur den Weltkatechismus kennzeichne, sondern „die
gesamte römische Kirchenpolitik, spätestens seit dem Amtsantritt
von Johannes Paul II. im Jahre 1978". Nach dem Urteil
Greinachers handelt es sich bei dem apostrophierten römischen
Zentralismus um „eine historische Spätform des zentralistischen
und autoritären Absolutismus in der Kirche, der erst dann entfaltet
wurde, als der politische Absolutismus bereits seinem Ende
zuging. Er widerspricht" - so lautet das entscheidende Verdikt -
„radikal dem biblischen Kirchenverständnis, das zunächst von
der Existenz der Einzelkirchen ausgeht und dann erst eine
Gesamtkirche im Blick hat." Aufgrund dieses Widerspruchs sei
der Weltkatechismus kein wahrhaft katholisches, sondern lediglich
ein römisches Dokument. ,Römisch statt katholisch' (ohne
Fragezeichen!) lautet entsprechend der bündige Titel des
Greinacherschen Beitrags.

* Katechismus der Katholischen Kirche. München: Oldenbourg; Wien:
Oldenbourg; Leipzig: Benno; Freiburg/Schweiz: Paulus; Linz: Veritas 1993.
816 S. 8°. ISBN 3-486-56005-0-; 3-7029-0353-4; 3-7462-1082-8; 3-7228-
0313-6; 3-7058-0095-7. - Der katholische Rezensionsbeitrag zu diesem
Werk erschein! voraussichtlich in Heft 2/1994.

Greinachers Einwand gegen die Konzeption des Weltkatechismus
, sie basiere auf einer eklatanten Fehlbestimmung des
Verhältnisses von Einzelkirchen und Gesamtkirche, berührt
nicht nur ein wesentliches Interesse evangelischer Ekklesiolo-
gie, sie bleibt sachlich auch dann von Gewicht, wenn man den
polemischen Rest des Artikels einer schon etwas in die Jahre
gekommenen „Protestideologie" zuschreibt, wie Kardinal Ratzinger
das in einem einschlägigen Leserbrief (.Unterschied zwischen
Theologie und Glauben achten') an die SZ vom 30./31.
Januar 1993 getan hat. („Ich hatte vorausgesetzt, daß die SZ sich
von ihrer redaktionellen Linie her verpflichtet fühlen würde, den
,Katechismus der katholischen Kirche' mit einem Verriß zu bedenken
. Aber ich hatte auf mehr Niveau und auf mehr Sachverstand
zu hoffen gewagt. Schade!") Die Frage nach der rechten
Bestimmung dieses Verhältnisses soll daher die heuristische
Leitperspektive abgeben, unter welcher der Weltkatechismus im
folgenden vorgestellt und rezensiert werden soll. Dabei ist vor
allem die These zu berücksichtigen, die Greinacher zwar nicht
im einzelnen expliziert, die aber doch im Hintergrund seiner
Kritik, soweit sie sachlich gehalten ist, steht, daß nämlich ein
unmittelbarer Anspruch auf Katholizität und kirchliche Allgemeingeltung
einen faktischen Separatismus (Stichwort: römisch
) jener Instanz zwangsläufig zur Folge hat, die diesen Anspruch
erhebt. Das gilt nach Greinacher offenbar um so mehr,
als die katholische Kirche anders als im Reformationsjahrhundert
nicht länger hauptsächlich eurozentristisch zu agieren in der
Lage ist, ihre Universalansprüche auch nicht mehr in den Rahmen
eines gegebenen territorialen Partikularismus einordnen
kann, wie das in der konfessionalistischen Epoche faktisch der
Fall war: Dieses und ähnliches sei deshalb nicht mehr möglich,
weil die katholische Kirche längst in ihr weltgeschichtliches
Zeitalter eingetreten sei und auch und nicht zuletzt in ihrem
interkontinentalen Binnenraum einer in hohem Maße ausdifferenzierten
Pluralität begegne, die sich weder in traditionellen
Konfessionsmustern fassen noch nach Art des Absolutismus
zentralistisch steuern lasse. Daß das entsprechend auch für
nichtkatholische christliche Kirchen gilt, wird man voraussetzen
dürfen. Konstruktiv kann daher eine evangelische, dem Erbe der
Reformationskirchen verpflichtete Auseinandersetzung mit dem
katholischen Weltkatechismus nur dann geschehen, wenn sie in
der Einsicht unternommen wird, die unter ökumenischen Voraussetzungen
ohnehin selbstverständlich sein sollte: Tua res agi-
tur!

II.

Die Behauptung, der neue Weltkatechismus sei von oben verordnet
worden, hat Joseph Ratzinger in seinem erwähnten Leserbrief
zu Greinachers Beitrag „schlichtweg eine Entstellung
der Wahrheit" genannt. „Die Frage eines Katechismus", so der
Kardinal, „war in der Synode 1985 überhaupt nicht auf der
Tagesordnung gestanden; völlig unerwartet war sie in der Versammlung
aufgekommen, und ebenso unerwartet hatte sich sehr
schnell ein Konsens über seine Notwendigkeit gebildet." Ohne
auf die Genese des Katechismus und die genauen Umstände seines
Zustandekommens näher einzugehen, soll hier informationshalber
lediglich festgehalten werden, daß das umfängliche Werk
auf Anregung einer außerordentlichen Bischofssynode zustande
kam, die der Papst Anfang 1985 anläßlich des 20. Jahrestages
des Konzilsabschlusses einberufen hatte. Erklärtes Ziel war es,
in einer dem heutigen Leben angemessenen Weise ein Kompendium
der gesamten katholischen Glaubens- und Sittenlehre zu