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1993

Kategorie:

Kirchenrecht

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Neuerscheinungen

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Theologische Literaturzeitung 118. Jahrgang 1993 Nr. 11

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die pastorale Sorge der Hirten) das religiöse Leben des einzelnen
betreffenden Normen sowie die mit einem besonderen
Lebensstand (z.B. Kleriker- oder Ordensstand) in Zusammenhang
stehenden.

Grundlegend für die Auffassungen des Vf.s ist sein Begriff
des kirchlichen Gesetzes. Während die bisherige Kanonistik
sich überwiegend noch von der Definition des Aquinaten bestimmen
ließ, („...ordinatio rationis ad bonum commune...")
wird neuerdings von einigen Kanonisten (Corecco, Aymans) das
kirchliche Gesetz als „verbindliche Glaubensweisung", d.h. ordinatio
fidei, bezeichnet. Vries übernimmt diese Beschreibung
des kirchlichen Gesetzes, ohne näher auf die damit in Verbindung
stehende Problematik einzugehen (9 Anm. 3).

Mit Recht hebt der Vf. zunächst hervor, daß eine kanonische
Normierung im Bereich der Gottesbeziehung nicht daher rühren
könne, daß die Gottesbeziehung als solche rechtlicher Natur
wäre (für eine Rechtsbeziehung seien Zweiseitigkeit und
Gleichheit unabdingbar erforderlich), sondern weil zwischenmenschliche
Beziehung in der personalen Gottesbeziehung eine
Rolle spielten. Diese bildeten daher den Ansatzpunkt für rechtliche
Aspekte in der Gottesbeziehung des einzelnen.

Von dieser Prämisse ausgehend beschäftigt sich der Vf. mit
der in der Kanonistik seit langer Zeit geführten Diskussion um
die Möglichkeit einer kirchlichen Gesetzgebungsvollmacht im
Bereich der sog. „inneren Akte" (actus mere interni), wie z.B.
Akte des Glaubens, der Hoffnung, der Liebe, der inneren Gottesverehrung
usw. Der Vf. legt den Stand der bisherigen Diskussion
von Befürwortern und Gegnern einer diesbezüglichen
rechtlichen Vollmacht der Kirche dar und kommt dann von seinem
Denkansatz her zu dem Ergebnis, daß die kanonische
Gesetzgebung die innere Dimension der Gottesbeziehung normierend
berühren könne, „aber nicht ohne weiteres". Die innere
Dimension müsse bezogen sein auf äußere Relationen, Handlungen
und Situationen und müsse einen wechselseitigen Bezug
zur kirchlichen Gemeinschaft aufweisen (661.). In diesem Zusammenhang
lehnt V. den universalistischen, Religiöses und
Rechtliches vermengenden Ansatz Sobanskis ab, demzufolge
Glaube, Hoffnung und Liebe überhaupt als Rechtspflichten gesehen
werden („Ohne Liebe ist kein Christ gerecht"). Wenn
kanonische Gesetze, so hebt der Vf. zurecht hervor, Verhaltensweisen
und Beziehungen normieren, so regeln sie nicht die
ihnen zugrundeliegenden Tugenden, sondern eben diese Verhaltensweisen
und Beziehungen als solche (74).

Die für den Charakter als Rechtsnorm spezifische Note der
„Äußerlichkeit" (als „nota exterioritatis" wurde das früher bezeichnet
), sieht V. in der Prägung von der Kirche her. Wenn
aus dieser ekklesialen Bezogenheit der kirchlichen Rechtsnorm
aber abgeleitet wird, daß der Gläubige zur „communio cum
Deo" nur über die „communio cum Ecclesia" gelange, letztere
somit eine unerläßliche Bedingung für erstere darstelle (267),
so taucht hier doch die Frage auf, ob es nicht Fälle eines schuldlos
(unüberwindlich) irrenden Gewissens gab und gibt, kraft
dessen jemand in Widerspruch zu einer kirchlichen (kirchenrechtlichen
) Norm gerät, sodaß ihm die „communio cum Ecclesia
" verweigert wird, ohne daß deswegen seine „communio
cum Deo" notwendigerweise eine Einbuße erleidet? Und bedeutet
nicht der vom Vf. mehrfach (zu Recht) hervorgehobene
notwendige Bezug der kirchlichen Rechtsnorm zu äußerem,
sozial relevantem Handeln auch, daß die Rechtsnorm als solche
erfüllt ist, wenn das nach außen in Erscheinung tretende Verhalten
den gesetzten Maßstäben entspricht ohne Rücksicht auf die
innere Gesinnung des Handelnden? Wenn Thomas von Aquin
schlechthin das als „iustum", als „rectitudo iustitiae" bezeichnet
, was geleistet wird „etiam non considerato qualiter ab agen-
te fiat" (S. th. Q, II, qu. 57, art. I), so stellt sich die Frage, ob
man von diesem Ansatzpunkt nicht auch für das kanonische
Recht zu dem Ergebnis kommen müßte, daß Gegenstand einer

gesetzlichen Normierung auch im Bereich des religiösen Lebens
nur das nach außen hin in Erscheinung tretende Verhalten
sein könne, die innere Gesinnung aber dem moralisch-sittlichen
Bereich zuzuweisen ist? Von daher könnte man folgern, daß
beispielsweise die im CIC/1983 formulierten religiösen Grundpflichten
in Rechtsnormen gekleidete sittlich-religiöse Pflichten
, nicht hingegen /tec/tr.spflichten seien (vgl. G. Luf, ÖAKR
35/1985, 123). Wer diese religiösen Pflichten, etwa die Pflicht
zur Führung eines heiligen Lebens (c. 210), wenngleich auf
dem Umweg über deren ekklesiale Bezogenheit, als Rechtspflichten
auffaßt, gerät leicht in die Gefahr einer mythischen
Überhöhung der kanonischen Norm, etwa nach dem Muster
einer (vom Vf. mit Recht kritisierten) Aussage der Kodifikationskommission
, wonach dem Recht im Mysterium der Kirche

gleichsam die Funktion eines Sakramentes (.....habet rationem

veluti sacramenti...") zukomme (5 Anm. 14).

Das Buch besticht nicht nur durch Gründlichkeit der Recherche
, sondern gleichermaßen durch akribische Gedankentiefe,
die auch Anregungen zum Weiterdenken enthält und den Nachweis
einer beachtlichen wissenschaftlichen Leistung erbringt.

Wien Brun« Primetshofer

Brieskorn, Norbert: Rechtsphilosophie: Neuere Entwicklungen und Aulgaben
(StZ 118, 1993, 318-330).

Dehnen, Dietrich: Urbeberrechtsfragen der Rundfunkübertragung von
Gottesdiensten: eine Fallstudie (ZEvKR 37. 1992, 169-181).

Demmer, Klaus: Katholische Rechtstheologie - eine Anfrage an die
Moraltheologie (Gr. 73. 1992, 269-289).

Grethlein, Gerhard: Rudolf Sohm: ein frommer Jurist seiner Zeil cm
Diener seiner Kirche noch heute (DtPfBl 91, 1991, 409-413).

Kästner, Karl-Hermann: Individuelle Gewissensbindung und normative
Ordnung (ZHvKR 37, 1992, 127-148).

Link, Christoph: Zur Kirchensteuer in konfessionsverschiedener Rhe
(ZEvKR 37, 1992, 163-168).

Kathey, Markus: Die Pfarrerin in Westfalen: die Geschichte ihrer
Gleichstellung am Beispiel der kirchenrcchtlichen Entwicklung (JWKG 86.
1992, 199-218).

Kobbers, Gerhard: Grundsatzfragen der heutigen Rechtstheologie: ein
Bericht (ZEvKR 37, 1992, 230-240).

Sperling, Eberhard: Zur Residenzpflicht der Gemeindepfarrer und son
stige Dienstwohnungsstreitigkeiten unter Berücksichtigung der einschlägigen
neuen Rechtssprechung (ZEvKR 37, 1992, 272-278).

Tiling, Peter von: Zum Beurteilungsspielraum bei Entscheidungen über
die Eignung für das Pfarramt (ZEvKR 37, 1992, 113-127).

Von Personen

Bibliographie Hans-Hinrich Jenssen *

(zusammengestellt von Annemarie Nisch)

I. Selbständig erschienene Veröffentlichungen

/ Der historische Jesus. Das Problem der Entmythologisierung der Evangelien
für Glaube und Verkündigung. Halle 1957 (Diss. Humboldt-Universität
, Berlin 1955).

2 Politische Diakonie im Sozialismus. (Hefte aus Burgscheidungen: 114)

3 Naturerkenntnis - Sünde oder Gottesauftrag.' Die Erkennbarkeit der
Natur als Bestätigung des Schöpfungsglaubens. Berlin 1984, 31987.

4 Ja zum modernen Weltbild. Naturerkenntnisse im Lichte des Glaubens.
Berlin 1984, 31987.

5 Aufgabe und Möglichkeiten neuzeitlicher Naturpredigt. Ein Beitrag vor
allem zur materialen Homiletik der Naturpredigt für unsere Zeit. Habil. in
Maschschr. Halle 1987.

6 Schöpfung durch Entwicklung. Darwinismus und christlicher Glaube.
1988. (Hefte aus Burgscheidungen; 256)

* Zum 65. Geburtstag am 11. November 1992: Stand 31.12.1992. in Auswahl
: die Numerierung verläuft innerhalb der einzelnen Teile chronologisch