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Ausgabe:

1993

Spalte:

975-977

Kategorie:

Kirchenrecht

Titel/Untertitel:

Religionsfreiheit 1993

Rezensent:

Wagner, Falk

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Theologische Literaturzeitung 118. Jahrgang 1993 Nr. 1 1

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die Notwendigkeit hin, den Eigentumsbegriff und das Zeit- und
Geschichtsverständnis neu zu fassen. Ebenfalls grundsätzlich
waren die Überlegungen von U. Denkhaus zu Abstand und
Nähe - vom Grundproblem der Mitweltethik" (35-48). Interessant
ist auch der Rückgriff von S. Degen-Ballmcr in die Geschichte
: „Schöpfung und Ökologie: Eine alternative Sicht aus
der orthodoxen Kirche: Die Schöpfungstheologie von Gregor
von Nyssa" (126-141).

Daneben finden sich Berichte von Unterrichtsprojekten im
Zuge des Berufsschulreligionsunterrichts (z.B. Projekt „Solare
Energiekultur", Projekt „Herstellung und Vermarktung von
Naturkosmetik").

Schließlich werden in z.T. sehr knappen Beiträgen grundsätzlich
religionspädagogische und religionsdidaktische Überlegungen
angestellt, z.B.: W. Stark „Ökologie und betriebliche Bildung
- ein Plädoyer für eine integrative und persönlichkeitsori-
entiertt Berufsbildung"(61-68); M. Bolz „BRU in Europa" (76-
79); W. Overbeck „Berufsschulunterricht in den neuen Bundesländer
" (80-83). Ausführlicher wiederholt G. Otto seine Forderung
nach einem „Allgemeinen Religionsunterricht" (107-125).
Instruktiv ist schließlich der Beitrag des EKD-Oberkirchenrats
Chr. Röder „Europäische Einigung aus kirchlich-bildungspolitischer
Sicht" (93-101).

Ch.G.

Kirchenrecht

Böckenforde, Ernst-Wolfgang: Religionsfreiheit. Die Kirche
in der modernen Welt. Freiburg-Basel-Wien: Herder 1990.
220 S. 80 = Schriften zu Staat-Gesellschaft-Kirche, 3. Lw.
DM 49,-. ISBN 3-451-21995-6.

Mit diesen Studien zur „Religionsfreiheit" schließt der Freiburger
Rechtsprofessor und Richter des Bundesverfassungsgerichts
Ernst-Wolfgang Böckenförde seine in drei Bänden gesammelten
„Schriften zu Staat - Gesellschalt - Kirche" ab; der vorliegende
Band enthält zugleich ein Sachregister zu allen drei
Bänden (213-220). Obwohl nur das l. Kapitel (13-70) dem Problem
der „Religionsfreiheit zwischen Kirche und Staat" explizit
gewidmet ist, nehmen doch auch die im 2. Kapitel (71-211) enthaltenen
Beiträge zur „Kirche in der modernen Welt" dieses
Grundproblem immer wieder auf. Wie der Vf. in der Einleitung
(7-12) hervorhebt, sind die drei Aufsätze zur Religionsfreiheit im
Kontext der vom DL Vatikanischen Konzil beschlossenen Erklärung
über die Religionsfreiheit konzipiert worden. Während
der erste - 1965 verfaßte - Beitrag „in die Konzilsdebatten hineingeschrieben
" (9) wurde, sind der zweite Beitrag direkt nach
der Konzilserklärung und der dritte 20 Jahre nach dieser Erklärung
entstanden. Bedingt durch diesen gemeinsamen Bezugspunkt
enthalten diese Beiträge daher „gewisse Wiederholungen
und Überschneidungen" (ebd.) sowohl der Belegmaterialien wie
der Argumentationsart. Der Vf. unterstreicht wiederholt, die am
7. Dezember 1965 vom II. Vaticanum angenommene Erklärung
„De libertate religiosa" stelle auf dem Hintergrund der kirchlichen
Lehrtradition „einen epochemachenden Schritt" (59) dar.
Denn die „traditionelle katholische Lehre bishin zur sog. Toleranzansprache
Pius' des XII. von 1953 hat die Anerkennung der
Religionsfreiheit...immer abgelehnt" (41). Die durch das II. Vaticanum
herbeigeführte Zäsur kontrastiert der Vf. mit der „Leidensgeschichte
des Toleranzproblems und der Religionsfreiheit"
(19; vgl. 16, 34), die seit der konfessionellen Spaltung des Christentums
von allen europäischen Kirchen zu verantworten ist.
Der Konflikt /wischen religiöser Wahrheit und menschlicher
Freiheit, der von der katholischen Kirche grundsätzlich und von

den Reformationskrichen in nur gradueller Abschwächung zugunsten
der sozial unverträglichen Durchsetzung eines absoluten
Wahrheitsanspruchs gelöst worden ist, zog „ein Jahrhundert
grauenvoller konfessioneller Bürgerkriege in Europa" (16, 37)
nach sich. Die als Prinzip der staatlichen Rechtsordnung verankerte
Religionsfreiheit wird somit „in ihrer Entstehung nicht den
Kirchen, nicht den Theologen und auch nicht dem christlichen
Naturrecht verdankt, sondern in ihrer theoretischen Vorbereitung
den christlichen Humanisten und später den Denkern der Aufklärung
, in ihrer praktischen Verwirklichung dem modernen
Staat, den Juristen und dem weltlichen rationalen Recht" (391).
Das staatliche Recht der Religionsfreiheit ließ sich allerdings
gegen die exklusiven kirchlichen Wahrheitsansprüche nur auf die
Weise durchsetzen, daß sich der Staat „gegenüber der religiösen
Wahrheit neutral" (18) erklärte. Der Vf. zeigt, daß die katholische
Kirche vordem DL Vaticanum das staatliche Recht der Religionsfreiheit
nicht nur wegen des mit dem Toleranzprinzip des
Kommunismus (25, 45) prinzipiell geteilten Vorrangs der Wahrheit
gegenüber der Freiheit nicht akzeptieren konnte. Überdies
sei sie dazu deshalb nicht in der Lage gewesen, weil sie aufgrund
der naturrechtlich Vorausgesetzen Einheit von rechtlicher und
sittlich-moralischer Ordnung die moderne Autonomie des von
der Moral strikt unterschiedenen staatlichen Rechts nicht mitvollziehen
konnte. Indem jedoch die kon/iliarc Erklärung über
Religionsfreiheit nunmehr zwischen Recht und Moral unterscheidet
(49), erkennt sie das Recht auf religiöse Freiheit der Person
ausdrücklich an (46f). Gleichwohl ruft der Vf. den eklatanten
Widerspruch immer wieder ins Gedächtnis, der sich zwischen
der traditionellen Ablehnung und der vom EL Vaticanum vollzogenen
Anerkennung der Religionsfreiheit auftut (1 Ott'. 55f, 101.
108, 164 Anm. 21): „Weder Theologie noch kirchliches Lehrami
haben sich bislang um eine Aufarbeitung des Widerspruchs zwischen
der Ichramtlich ausgesprochenen Ablehnung der Religionsfreiheit
bis zum Ende des 19. Jh.s. die dein Topos des Vorrangs
der objektiven Wahrheit vor der Freiheit folgte, und ihrer
naturrechtlich begründeten Anerkennung durch das Zweite Vatikanische
Konzil bemüht." (108) Da weder die Lehraussagen des
19. Jh.s noch die Konzilserklärung an der päpstlichen Unfehlbarkeit
teilhaben, sieht der Vf. in der Anerkennung und Vermittel-
barkeit ihres Widerspruchs die Möglichkeit, gerade „auf der
Grundlage des Unfehlbarkeitsdogmas"die Geltung ..kirchliche(r)
Lehraussagen in weiterem Umfang als revisibel"* I2)und „grundsätzlich
fehlbar" (70) zu verstehen. Diesen ebenso plausiblen wie
innovativen Vorschlag formuliert der VI. in der Absicht, den
vom Konzil beschrittenen „Weg der Vermittlung von subjektiver
Freiheit und objektiver Wahrheit" (69) im Sinne der Entwicklung
einer nicht objektivistischen Metaphysik (1081") fortzusetzen
, „die die objektive in seinem Sein gegebene Bestimmung
des Menschen und seine personale Freiheit zu einer
fruchtbaren Synthese führt" (70).

Das im l. Kapitel anhand der Religionsfreiheit exemplarisch
und paradigmatisch zugleich behandelte Verhältnis von Katholischer
Kirche und moderner Welt wird im 2. Kapitel ebenso
grundsätzlich wie relativ umfassend diskutiert. Während die bei
den ersten Beiträge diesem Verhältnis in der Form historisch
analytischer Untersuchungen (73-102) nachgehen, um an sie „die
Frage nach Aufgabe und Chance der Kirche angesichts der Krise
des modernen Bewußtseins" (7) anzuschließen (103-1 12), stellt
„die historisch wie systematisch angelegte, auf die heutige Gegenwart
bezogene Studie .Staat-Gesellschaft-Kirche'" „sozusagen
die Summe jahrzehntelanger Überlegungen zum Verhältnis
Staat-Kirche. Kirche und Politik" (7) dar (I 13-21 I): sie ist dem
Teilband 15 der Enzyklopädischen Bibliothek „Christlicher
Glaube in moderner Gesellschaft" entnommen. Um das Verhältnis
von Katholischer Kirche und moderner Welt zu bestimmen,
skizziert der Vf. nicht nur die ..konstituierenden Merkmale der
Modernen Welt" (74) und das kirchliche Selbstverständnis, son-