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Ausgabe:

1993

Spalte:

967-969

Kategorie:

Systematische Theologie: Ethik

Autor/Hrsg.:

Tremmel, Hans

Titel/Untertitel:

Grundrecht Asyl 1993

Rezensent:

Reuter, Hans-Richard

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967

Theologische Literaturzeitung 118. Jahrgang 1993 Nr. 11

968

Von diesem Aufbau der Denkschrift her ist es konsequent,
wenn nur noch ein „Anhang" folgt (129-133), jedoch faktisch
geht es um die Fortsetzung des im Schluß Gesagten im Sinne
einer weiteren Konkretion, nämlich der der Umsetzung durch
die verschiedenen kirchlichen Institutionen.

Die Denkschrift versieht ihren Titel „Strafe: Tor zur Versöhnung
" mit einem Fragezeichen. In der Durchführung ihrer Arbeit
wird es zunehmend weggelassen, ja de facto durch ein Ausrufezeichen
ersetzt. Dennoch behält das Fragezeichen eine Berechtigung
im Sinne der Denkschrift, indem diese trotz aller Forderungen
, die sie konkret erhebt, nicht vage bleibt, sondern christliches
Denken als Hebammendienst und nicht als quasi Staat setzend
politische Forderungen erhebt. Diese Selbsteinschätzung christlichen
Denkens kann als Unsicherheit oder als zu zaghaft mißverstanden
werden. Die Kommission hat dies Problem gesehen. Ihr
Mitglied, der Publizist Werner Hill, deutet dies an, wenn er auf
einer Tagung der Evangelischen Akademie Hofgeismar über die
Arbeit an der Denkschrift berichtend die Frage nach der Wirkung
der Denkschrift räsonierend fragt: „Werden leisere Töne nicht
gehört? Sind Denkschriften vergebliche Liebesmühe?" und
selbst antwortend sagt: „Die EKD sieht es bislang nicht so..."
(Strafe zwischen Vergeltung und Versöhnung, Hofgeismarer
Protokolle Nr. 293, S. 8). Wer die Denkschrift so nicht sehen
will, muß aber zugeben, daß sie bereits Betroffenen, Gefängnisseelsorgern
, Vollzugsbediensteten u.a. zu einer Hilfe geworden
ist. Andererseits hat sich die Lage durch die Überbelegung in den
Strafvollzugsanstalten zwischenzeitlich eher verschärft.

Ein bedeutsames Problem wird von der Denkschrift nur gestreift
, das zwar zu ihrem Thema nicht direkt, aber mittelbar
gehört, das der Untersuchungshaft und den davon Betroffenen
(vgl. 29ff), nämlich: den Verhafteten, ihren Familien, ihren Arbeitgebern
und Kollegen, zumal Untersuchungsgefangene -
egal ob sie später verurteilt werden oder nicht - ausdrücklich
Unschuldige im Sinne der rechtsstaatlichen Ordnung sind. Es
kommt hinzu, daß in Deutschland zu viel verhaftet wird.

Trotzdem wird in Zukunft die theologisch-kirchliche Diskussion
ohnehin, aber auch die strafrechtlich und letztlich auch die
rechtsphilosophische Diskussion an dieser Denkschrift nicht vorbeigehen
können. Die hier vorgelegte Sicht des Menschen in
Gestalt der verschiedenen Beteiligten bei gleichzeitiger Zurückhaltung
der Denkschrift fordert zur Diskussion heraus und läßt
auch Andersdenkenden Raum, ja schafft ihn in ihrer mäcutischen
Selbstentscheidung. Inwieweit kirchliches Handeln mäeutisch
ist, sein kann oder sein muß, vermag die Denkschrift als theologische
Frage nicht zu lösen, aber sie selbst geht von dessen Wirkung
auch in der Öffentlichkeit aus, wenn sie aus der Hebammenfunktion
christlichen Denkens heraus zu dem „Ansatzpunkt
für ein christliches Denken kommt" und deshalb u.a. sagt: „Es
gilt deutlich zu machen, daß das Thema der Straffälligkeit, das
Thema von Schicksal und Sünde, Schuld und Sühne jeden Menschen
betrifft" und die „Abscheu vor der Tat darf nicht zur Abscheu
vor dem Täter führen" (123).

Göttingen Ulrich Nembach

Tremmel, Hans: Grundrecht Asyl. Die Antwort der Sozialethik
. Mit einem Geleitwort von W. Korff. Freiburg-Basel-
Wien: Herder 1992. XII, 324 S. 8«. Kart. DM 48,-. ISBN 3-
451-22665-0.

Selten hat eine öffentliche Kontroverse die politische Kultur
hierzulande nachhaltiger beschäfigt als der Streit um das Asylgrundrecht
, das wie kaum ein anderer Verfassungsartikel das
ethische Selbstverständnis der Bundesrepublik Deutschland
verkörpern sollte. Das Versagen der Politik vor der komplexen

Problematik der Migrations-, Zuwanderungs- und Fluchtbewegungen
hat nicht nur zu einer Rechtsverschiebung des gesamten
politischen Spektrums geführt, sondern rassistische Hetze und
mörderische Gewaltbereitschaft gefördert.

Auf dem Höhepunkt dieser Entwicklung, im Herbst 1992, ist
das Buch von T. erschienen. Es kann beanspruchen, eine empfindliche
Lücke zu schließen. Denn trotz verdienstvoller Arbeiten
zur Ethik der Menschenrechte suchte man bislang vergebens
nach einer theologisch-ethischen Monographie zur Frage einer
menschenrechtlichen Fundierung und Ausgestaltung des Asylrechts
. Die unter der Obhut von Wilhelm Korff entstandene
Arbeit (Dissertation?) versucht eine Antwort aus der Sicht katholischer
Sozialethik. Das Buch enthält drei Kapitel: Zur historischen
Entwicklung des Asylrechts (1.), zu den empirischen
Befunden der gegenwärtigen Asylproblematik (2.) und zu ihrer
ethisch-normativen Bewertung (3.).

Daß in einer sozialethischen Studie keine historische Primärforschung
geleistet werden kann, liegt auf der Hand. Das 1.
Kapitel gibt jedoch eine weitgehend zuverlässige Zusammenfassung
des Forschungsstandes. Spuren des sakral-magischen
Asylverständnisses, das im römischen Recht fortwirkt, und des
utilitaristischen Typus, der im griechischen Kulturkreis zu ersten
Ansätzen „völkerrrechtlicher" Abmachungen führt, finden
sich auch in der hebräischen Bibel, während das Neue Testament
das Asyl als Rechtsgedanken nicht kennt. Den entscheidenden
, die Entwicklung vom Gnaden- zum Anspruchsrecht
befördernden Impuls der jüdisch-christlichen Tradition sieht der
Vf. in der schöpfungstheologischen Letztbegründung der
menschlichen Würde (Gen l,26f) (21 ff) und der jesuanischen
Ausweitung des Erwählungsgedankens auf alle Menschen (Mt
8,11) (30ff). Die verschiedenen Ausprägungen des mittelalterlichen
Kirchenasyls verbinden den sakralen Asylgedanken mit
dem biblisch grundgelegten Personprinzip.

Das 2. Kapitel soll „der möglichst umfassenden und objektiven
Zusammenstellung von Sachinformationen aus den Einzelwissenschaften
" (65) gewidmet sein. T. gibt einen gedrängten
Überblick über historische und aktuelle Hintergründe des Welt-
flüchtlingsproblcms (66ff), um sich sodann den verfassungsrechtlichen
und verfahrensrechtlichen Grundlagen der Asylgewährung
in der Bundesrepublik zuzuwenden (89IT). Die umfangreiche
Nachzeichnung der Asyldiskussion in der deutschen politischen
Öffentlichkeit seit 1989 (124ff) hat passagenweise leider
die Form einer additiven Zitation der Tagespresse. Auch wer mit
der Vorliebe des Vf.s für die Leitartikel einer liberalen Zeitung
süddeutscher Provenienz sympathisiert, mag füglich bezweifeln,
ob die hierauf verwandten sechzig Seiten in das Genre einer
wissenschaftlichen Studie gehören.

Eine sozialethische Erarbeitung des Themas und damit den
systematischen Hauptteil bietet das 3. Kapitel. T. unternimmt es
hier, Grundkategorien derjenigen Version katholischer Soziallehre
, die W. Korff ausgearbeitet hat, in umfassender Weise auf
den Gesamtkomplex des Umgangs mit Flüchtlingen und Ausländern
anzuwenden. Leitend ist dabei außer den im menschheitlichen
Horizont auszulegenden Prinzipien von Solidarität
und Subsidiarität vor allem das Prinzip der Personalität. Das
Asylrecht wird als Notstandsmenschenrecht und Explikat der
unantastbaren Personwürde begriffen (221 ff); das Asyl als individuelle
, persongebundenes Anspruchsrecht auszugestalten ist
deshalb ethisch unbedingt geboten.

Im Sinne einer verantwortungsethisch gefaßten schwachen
Deontologie muß die sozialethische Urteilsbildung jedoch die
Frage einschließen, wie die unbedingte Forderung der Unantastbarkeit
der Würde des Flüchtlings teleologisch einzulösen ist.
Der Vf. plädiert in diesem Zusammenhang dafür, die in der Asyldiskussion
virulenten Gegensätze nicht als Überzeugungskonflikte
, sondern unter dem Gesichtspunkt der Interessenkonkurrenz
zwischen Einheimischen und Fremden zu betrachten und