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Ausgabe:

1993

Spalte:

943-945

Kategorie:

Kirchengeschichte: Reformationszeit

Autor/Hrsg.:

Stephens, William P.

Titel/Untertitel:

Zwingli 1993

Rezensent:

Rogge, Joachim

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Theologische Literaturzeitung 118. Jahrgang 1993 Nr. 11

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während der bewegten theologiepolitischen Ergeignisse zwischen
1568 und 1577 zur Sprache. Melanchthon blieb allen Versuchen
zum Trotz, seine Autorität zu untergraben, theologische
Autorität.

Der Beitrag von Reinhard Junghans „Die Lutherrezeption Johann
Gottfried Herders. Eine Untersuchung mit besonderer Berücksichtigung
seiner theologischen Schriften und mit rezeptionstheoretischen
Überlegungen" (160-191) versteht sich als
Grundsatzerörterung von Problemen im Bereich von Rezeptionsvorgängen
, durchgeführt an dem im Thema genannten Gegenstand
. Einer Übersicht über Herders Verhältnis zu Luther
folgen Untersuchungen über Herders Interpretation der biblischen
Schöpfungsgeschichten unter Beachtung von Luther,
über Herders Aktualisierung von Luthers Lehre vom unfreien
Willen, über Luthertexte als Beiträge zur historischen Situation
der Herderzeit und schließlich über Herders Kommentierung
und Bearbeitung von Luthers Kleinem Katechismus aus dem
Jahre 1798. Ein Überblick vermerkt, daß Herder an Luther,
basierend auf einer guten Quellenkenntnis, das Verhältnis von
„Kopf und Herz" beim Theologietreiben interessierte und ihn
der Bereich von Sprache, Bibel und Kirchenlied bei Luther häufig
beschäftigte. Freilich thematisierte Herder „kaum die Rechtfertigungslehre
, sondern vor allem das Verhältnis zwischen
Vernunft und Lebensgefühl in all seinen Auswirkungen für den
Menschen". Dabei kam es in keiner Phase seines Schaffens zu
einer Säkularisierung bzw. einer aufklärerischen Humanisierung
seiner Theologie. Auf die dem Aufsatz angefügten rezeptionstheoretischen
Überlegungen (185-191) sei besonders aufmerksam
gemacht, da sie an dieser Stelle leicht übersehen werden
könnten, obwohl sie grundsätzlicher Natur sind.

Bedauerlich ist, daß im Druck des Aufsatzes auf S. 163 ein ganzer Textteil
fehlt, von dem lediglich der Anmerkungsapparat vorliegt, und stattdessen
ein auf S. 166 gehörender und dort gedruckter Text bereits auf S. 163
erscheint. Ferner ist auf S. 185 der zur letzten Anmerkung gehörende Text
an den Anfang des Anmerkungsapparates gerückt.

Nachzutragen ist, daß erneut der Text eines in den Briefwechsel
Luthers gehörenden Stückes aufgetaucht ist (Der Rat
der Stadt Naumburg an der Saale an Martin Luther, 16. Juli
1528), derS. 115-117 ediert ist.

Die Lutherbibliographie 1992 dokumentiert wiederum eine
reiche, teilweise mehrere Jahre zurückgreifende Ernte der Erforschung
der Reformation.

Leipzig Ernst Koch

Stephens, W. P.: Zwingli. An Introduction to his Thought.
Oxford: Clarendon Press 1992. XIII, 174 S. 8°. ISBN 0-19-
826329-5.

Wer Zugang zum Denken Zwingiis bekommen will, mag wohl
zu dem vorliegenden übersichtlich geschriebenen Band greifen.
Der Verfasser, Kirchenhistoriker in Aberdeen, Schottland, hat
sich mit dem ganzen Zwingli beschäftigt und sucht ihn aus sich
selbst heraus zu verstehen. Das geschieht im gut erkennbaren
Gegensatz zu Autoren vor ihm, die den Zürcher Reformator aus
diesem oder jenem Quellgrund herzuleiten versucht haben.

Wie intensiv sich Stephens mit seinem Gegenstand befaßt,
wird schon allein dadurch transparent, daß er 6 Jahre zuvor ein
doppelt so umfangreiches opus im selben Verlag vorgelegt hat,
das thematisch und argumentationsmäßig - bis in Kapitelüberschriften
hinein - Ähnliches bietet: „The Theology of Huldrych
Zwingli" (1986). Wilhelm H. Neuser hat darüber berichtet
(ThLZ 114, 1989, 900f). Der Rez. hatte damals formuliert: „Mit
diesem Werk liegt endlich eine, der heutigen wissenschaftlichen
Diskussion entsprechende, ausführliche Theologie Zwing-
lis vor." Darüber hinaus ist Wertendes auch angesichts des hier
anzuzeigenden Bandes kaum zu sagen.

Die tragenden Begriffe, die gleichzeitig das Summarium der
Forschung des Vfs. signalisieren, begegnen in beiden Bänden.
1986 behandelt St. im ersten großen Kapitel den Kontext der
Theologie Zwingiis. 1992 dient diese Begrifflichkeit im Vorwort
als Zusammenfassung des Folgenden: "Zwingli's thought is set
in the context of his life and ministry. At the end in a chapter on
Zwingli as a theologian and reformer, some indication is given of
what is central in his thought and his way of working as a reformer
. Here - but also in a measure elsewhere - something of
Zwingli' relevance for today can be discerned." (VIII)

St. sieht nicht nur Leben und Denken Zwingiis im Zusammenhang
, er setzt sich auch dafür ein, das Vorankommen der
Reformation ganz allgemein mit einer ganzen Reihe von Quellgründen
zu verbinden. Reformierte Theologie und Calvinismus
in ihren Bedeutungsinhalten sind ihm nicht einfach austauschbar
. Die Tiefenlotung für die Rolle Zwingiis im reformatorischen
Geschehen will er auch in dem jetzt erschienenen Band
umfassend vornehmen. Er sieht Zwinglis Bedeutung weit über
Zürich hinaus für die ganze Schweiz und für Süd- und Oberdeutschland
. Für diese Gebiete seien nicht nur Calvin bzw. Luther
zu befragen, wenn es um Ansatz und Durchführung der
Reformation gehe. Die "comprehensive introduction" (VII) ist
mit allerlei Hilfen für Leser verbunden, die die Welt Zwinglis
erst entdecken wollen. St. bietet zunächst eine Lebensdatenübersicht
an (Xllf), entwickelt dann in 13 Kapiteln die Gedankenwelt
des Reformators (1-148), stellt anschließend sinnvoll
unterteilt Quellen- und Sekundärliteratur vor, wobei verständlicherweise
die englischsprachige dominiert (149-154), erläutert
in einem Glossar Schlüsselbegriffe zur Kirchen- und Theologiegeschichte
und gibt die Lebensdaten von Mitreformatoren im
oberdeutschen und Schweizer Raum an (159). Indices über
Namen, Sachen, Werkereihenfolge Zwinglis, Quellenfund- und
Bibelstellen (161-174) schließen den Band ab.

St. trägt dem Charakter seiner Einführung für Studenten und
fachlich nicht vorgebildete Leser dadurch Rechung, daß er das
Lebensambiente, den Dienst und die Leitthemen des Reformators
in lockerer, aber gut einsichtiger Kapitelfolge anordnet: Zürich
und die Schweizer Konföderation, Zwinglis Leben und
Dienst, die Bibel, die Souveränität Gottes, Erlösung in Christus,
der Heilige Geist und das Wort Gottes, Erlösung, Wort und Sakrament
, Taufe, Abendmahl, Kirche, Staat und schließlich:
Zwingli als Theologe und Reformator.

Theologe und Reformator, das war Zwingli, so sieht es der
Vf. Er relativiert damit zahlreiche Denkbemühungen anderer
Autoren im Laufe der letzten Jahrzehnte, die Zwingli als Liberalen
, Rationalisten, heroischen Schweizer Patrioten und Gewalt
nicht ausschließenden Politiker, je nach dem eigenen
Standpunkt des Betrachters, vorgestellt hatten. (1) Erasmus,
Luther, die Antike, auch die Kirchenväter, besonders hervorgehoben
Augustin, hätten in der Literatur zuvor eine derart herausgehobene
Rolle gespielt, daß Zwingli eben als nicht mehr
erschien denn die Summe seiner Abhängigkeiten. St. kommt
immer wieder darauf zu sprechen, daß man so an die Würdigung
des Reformators und an die Evaluierung reformierter
Theologie nicht herangehen könne.

Ohne sich in Einzelheiten zu verlieren, kommt der Vf. zu Rezensionen
seiner Vor-Arbeiter, unter denen Gottfried W. Locher
einen besonderen Platz einnimmt. So ist es gewiß nicht
von ungefähr, daß St. für die Locher-Festschrift (Reformiertes
Erbe, Band 1, hg. von H. A. Oberman u.a., Zürich 1992) einen
thematisch einschlägigen Beitrag geliefert hat: "The Place of
Prcdestination in Zwingli and Bucer", 393-410.

Im letzten (13.) Kapitel faßt St. seine Forschungen zusammen
. Der Theologe und Reformator hat seinen Quellgrund im
biblischen Gottesbegriff. Er nimmt die Bibel als Gottes- und
nicht als Menschenwort, welches die Menschen zum Vertrauen
auf Gott und nicht auf den Menschen weist (138). Was Neuser