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Ausgabe:

1993

Spalte:

941-943

Kategorie:

Kirchengeschichte: Reformationszeit

Titel/Untertitel:

Lutherjahrbuch ; 59. Jahrgang 1992 1993

Rezensent:

Koch, Ernst

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Theologische Literaturzeitung 118. Jahrgang 1993 Nr. 11

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Im zweiten Teil ihrer Arbeit beabsichtigt B., vor allem die im
Kommentar und in der Passionsharmonie zu findenden „reformatorischen
Elemente" (vgl. 187) vorzustellen. So versucht sie
- wenn auch sehr hypothetisch - in einem ersten Kapitel anhand
des Begriffes „veritas" eine „erste Annäherung Bugenha-
gens zu Luther" (vgl. 189) nachzuweisen. Im zweiten Kapitel,
in dem Wendungen mit „salus" und „salvator" analysiert werden
, beweist B. mehr Bugenhagens intensive Beschäftigung mit
den Kirchenvätern (hier insbesondere Augustinus) als „prä-
reformatorische Elemente in Bugenhagens Theologie" (199).

Kernstück des zweiten Teiles ist das umfangreiche 3. Kapitel
(215-294), in dem Bugenhagens Erklärung von Jesu letztem
Mahl untersucht wird. Bedeutungsvoll ist dieser Abschnitt vornehmlich
deshalb, weil darin erstmalig ein direkter Bezug Bugenhagens
auf eine Lutherschrift nachgewiesen werden kann.
Ohne seine Quelle zu benennen („ille"), zitiert Bugenhagen
hier den Schluß des Abendmahlsteiles aus „De captivitate Ba-
bylonica ecclesiaepraeludium". Daß Bugenhagen gerade diese
Schrift Luthers anführt, bestätigt die nur aus dessen „Bekehrungslegende
" bekannte Tatsache, daß der Treptower Schulrek-
tor sich aufgrund der Lektüre dieser reformatorischen Hauptschrift
zu Luther gewandt habe. In einer sehr genauen und
gründlichen Untersuchung belegt B., wie die Kenntnis von „De
captivitate" eine Neuorientierung in Bugenhagens Auslegung
bewirkte. So kann sie die Stellen nachweisen, an denen Bugenhagen
diese Schrift rezipiert oder von dieser abweicht. Sehr
vage sind dagegen die Belege für angebliche Bezugnahmen auf
weitere Lutherschriften, wie „Confltendi Ratio" oder „De
libertate christiana" (hier vermißt man wenigstens einen Hinweis
auf die in der Forschung geführte Diskussion zun dem von
Luther an Bugenhagen geschickten Exemplar dieses Traktates).
B.s Ausführungen in diesem Kapitel sind anerkennend hervorzuheben
, weil sie auch Abhängigkeiten zu Erasmus und der
kirchlichen Tradition in ihre Analyse mit einbezieht.

In einem vierten kurzen Kapitel zeigt B. an Aussagen zum
Glaubensverständnis (hier vor allem am Beispiel der Erklärung
zu Lk 23,39-43) die noch weiterbestehende starke Bindung
Bugenhagens an Erasmus und die Kirchenväter.

Insgesamt werden B.s Untersuchungen gewiß eine ausgezeichnete
Ergänzung zu der von ihr betreuten Herausgabe der
Passionsharmonie im Rahmen der geplanten Edition der Schriften
Bugenhagens bilden. Mit ihrer Dissertation setzt B. einen
weiteren gewichtigen Meilenstein am Wege zur Erforschung
dieses Reformators.

Greifswald Volker Gummclt

Lutherjahrbuch. Organ der internationalen Lutherforschung.
Im Auftrag der Luther-Gesellschaft hg. von H. Junghans. 59.
Jahrgang 1992. Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht 1992.
264 S. 80. Pp. DM 56,-.

In einem Nachruf würdigt Rainer Vinke den am 21. April
1991 verstorbenen Peter Manns als einen „der profiliertesten
und ökumenisch engagiertesten römisch-katholischen Vertreter
" der Lutherforschung. „Er war überzeugt, daß Luthers Theologie
nicht nur Gegenstand wissenschaftlicher Forschung, sondern
auch Grundlage für das Leben und Sterben des Christen
sein kann, weil sie biblische Theologie ist, die auf Christus verweist
" (10).

Rudolf Mau schreibt über „Liebe als gelebte Freiheit der
Christen. Luthers Auslegung von G[alater| 5,13-24 im Kommentar
von 1519" (11-37), indem er diesen Luthertext mit der
Vorlesungsnachschrift von 1515/16 und gelegentlich auch mit
dem Galaterbriefkommentar von 1531/35 vergleicht. Dafür bieten
sich die Themen Freiheit und Liebe, Liebe als Erfüllung des

Gesetzes, die begriffliche Erschließung des Liebesgebots in
dem „offensichtlich... von Luther selbst exegetisch-satzanalytisch
gebildeten begrifflichen Raster" von virtus, obiectum und
exemplum, Liebe als der alles bewegende Affekt des Herzens,
der „Nächste" als Adressat der Liebe, Nächstenliebe und Selbstliebe
, die empirische Gewißheit hinsichtlich der Caritas, die
Realität von Caritas und das Thema „simul peceator" und
Reform der Kirche nach dem Gebot der Liebe an. Für den Exe-
geten Luther bedeutete die Beschäftigung mit dem paulinischen
Text u.a., daß nun der Gedanke der „Erfüllung" des Gesetzes in
den Brennpunkt des Interesses geriet, das Problem des Verhältnisses
von Nächstenliebe und Selbstliebe eine neue Antwort
erfuhr und sich die vorausgegangene Beschäftigung mit der
Theologie des Kreuzes bemerkbar machte.

Ein Einblattdruck von 1523/24 und eine Flugschrift von 1524
oder 1526 (?) einschließlich ihrer Überlieferung in den Jahren
zwischen 1522 und 1525 liegen einer Untersuchung von Reinhard
Schwarz zugrunde: „Abendmahlsgemeinschaft durch
das Evangelium, obwohl der Tisch des Herrn .durch menschliche
Irrung versperrt ist'. Texte aus der Frühzeit der Reformation
" (38-78). Die Situation, aus der heraus die Texte entstanden
sind, war durch Ausschluß von Anhängern oder Sympathisanten
der Reformation aus der römisch-katholischen
Sakramentsgemeinschaft gekennzeichnet. Die Texte wollten
zur geistlichen Kommunion (manducatio spiritualis) anleiten.
Insofern beleuchtet die Untersuchung frömmigkeitsgeschichtliche
Aspekte der frühen Reformationszeit und bietet neben zwei
Faksimile auch eine kommentierte Textedition.

Der Aufsatz von Michael Beyer „Martin Luther .bleybt ein
Deudscher schreyber'. Dialog und Drama als Mittel seines literarischen
Gestaltens" (79-114) wendet sich auf dem Hintergrund
des Dialogs in Luthers Schrift „Von den Schlüsseln"
(1530) der genaueren Bestimmung der literarischen Form der
„Beichte" (bzw. „Teufelsbeichte") in „Von der Winkelmesse
und Pfaffenweihe" (1533) zu (vgl. dazu jetzt auch MLSA 5,18-
22, von M. Beyer erarbeitet). Der Dialogtext von 1530 wird aus
Gründen des optisch effektiven Nachvollzugs durch den Leser
nochmals nach der von Luther verworfenen, aber erhalten
gebliebenen Erstgestalt neben der Fassung des Wittenberger
Erstdrucks ediert. Dabei gelingt es, die rhetorische Gestaltung
des Textes und ihre Veränderungen zu entschlüsseln. Eine analoge
Untersuchung des Textes von 1533 erhebt einen „dramatisch
aufgebauten Handlungszusammenhang", der mit Mitteln
der späteren Dramentheorie deutbar wird. Offen bleibt eine
exakte literaturhistorische Einordnung, da sich Luthers Schrifttum
aufweite Strecken hin literarisch schwer klassifizieren läßt
und im 16. Jh. seiner Vielfalt nach ohne Parallele ist.

Ebenfalls um Aspekte der Textgrundlage für die Erforschung
des Werkes von Martin Luther bemüht sich Martin Brecht mit
einem Beitrag über „Das gestohlene Manuskript von Luthers
Fastenpostille" (118-127). Dem als Faktum bekannten Vorgang
des Raubdrucks von Luthers Predigten über die Evangelien der
ersten fünf Epiphaniassonntage kommt quellenkritisch große
Bedeutung zu. Die Weimarer Lutherausgabe hatte aus unsachgemäßen
Gründen den Text dieses Raubdrucks, dessen handschriftliche
Fassung nicht mehr existiert, nicht aufgenommen.
Brecht vergleicht den Textbestand mit dem schließlich von
Luther autorisierten Druck. Er bemerkt, „daß der Ertrag sich in
Grenzen hält und die inhaltliche Substanz der Texte nur wenig
berührt". Dennoch beseitigt eine solche Untersuchung mögliches
Mißtrauen, gewährt Einblicke in Luthers Arbeitsweise und
kann auch für die Rezeption Luthers aufschlußreich werden.

„Auseinandersetzungen um die Autorität von Philipp Me-
lanchthon und Martin Luther in Kursachsen im Vorfeld der Kon-
kordienformel von 1577" beschreibt Ernst Koch (128-159).
Dabei kommt das wechselnde Ansehen Melanchthons in der
Öffentlichkeit und im internen Bereich des kursächsischen Hofes