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Ausgabe:

1993

Spalte:

937-939

Kategorie:

Kirchengeschichte: Reformationszeit

Autor/Hrsg.:

Arnold, Martin

Titel/Untertitel:

Handwerker als theologische Schriftsteller 1993

Rezensent:

Bräuer, Siegfried

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Theologische LiteraUir/eitung I 18. Jahrgang 1993 Nr. I I

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Saldarini, Anthony J.: Delegitimalion of Leaders in Matthew 23 (CBQ
54, 1992,659-680).

Schweizer, Eduard.: „Der Geist ist's, der lebendig macht" - Geist und
Geisterfahrung im Neuen Testament ( In. [Buess, E.:] Basileia. 397-412).

Seifried, Mark A.: The Subject of Rom. 7:14-25 (NT 34, 1992, 313-333).

Shirock, Robert J.: The Growth of the Kingdom in Light of Israel's
Rejection of Jesus: Structure and Theology in Luke 13:1-35 (NT 35, 1993,
15-29).

Sunny, J.: Those Who "Pass Judgement": The Identity of the opponents
in Colossians (Bibl 74, 1993, .366-388).

Theissen, Gerd: Identite et experience de l'angoisse dans le christianisme
primitif(ETR 68, 1993. 161-184).

Watson, Duane F.: The Rhetoric of James 3:1-12 and a Classical Pattern
of Argumentation (NT 35, 1993, 48-64).

Zeller, Dieter: Jesus und die Philosophen vor dem Richter (zu Joh 19,8-
II) (BZ 37. 1993, 88-92).

Kirchengeschichte:
Reformationszeit

Arnold, Martin: Handwerker als theologische Schriftsteller.

Studien zu Flugschriften der frühen Reformation (1523-
1525). Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht 1990. X, 383 S.
m . 5 Abb. gr.8° = Göttinger theologische Arbeiten, 42. Kart.
DM 82,-. ISBN 3-525-87396-4.

Mit seiner sozialgeschichtlichen Fragestellung schlägt der
Autor neue Wege zur kirchengeschichtlichen Erschließung der
Flugschriften als reformatorische Quellengattung ein. An 28
Flugschriften aus der Feder von 10 Handwerkern interessiert
ihn vor allem die Handwerkermentalität. Zweifel, ob die Quellengattung
für die Fragestellung aussagefähig genug ist, erheben
sich bereits im Einleitungstcil, in dem sich Arnold mit der
Situation der Handwerker am Vorabend der Reformation und
den Flugschriften als Massenmedium beschäftigt. Der Überblick
über die wirtschaftliche, kulturelle und kirchliche Situation
, aber auch die Aussagen zur Mentalität müssen naturgemäß
sehr allgemein ausfallen, zumal die Belege höchst unterschiedlicher
Quellen, ohne geographische Differenzierung oder Beachtung
der verschiedenen Städtetypen, entnommen werden.

Der Hauptteil der Arbeit (theol. Diss. Göttingen 1987) besteht
aus eindringenden Untersuchungen zu den Autoren und ihren
Flugschriften. Mit 5 Titeln sind der Nürnberger Schuhmacher
Hans Sachs, der Memminger Kürschner Sebastian Lotzer und
der Straßburger Gärtner Clemens Ziegler vertreten. Vom Augsburger
Weber Ulrich Richsner stammen 4, vom Eilenburger
Schuhmacher Georg Schönichen .3, vom Reutlinger Bäcker Hans
Staygmayer 2 Schriften. Zur Gruppe der Handwerker mit einer
Druckschrift gehören der Kürschner Melchior Hoffmann,
Schwäbisch-Hall (Vortäuferzeit), der Leineweber Hans Mörlin
aus Schweinfurt, der Kürschner Peter Reychart aus Rothenburg
0. T.. der Deekenweber Nikolaas Kadol/.burger aus Nürnberg.
Die Reihenfolge der Dartellung richtet sich nach dem publizistischen
Erfolg. So nimmt Sachs konkurrenzlos den ersten Platz
ein. gefolgt von Ziegler und Schönichen, der als einziger nicht
aus einer süddeutschen Reichsstadt stammt. Die Handwerkerflugschriften
werden von A. nach dem gleichen Schema untersucht
: Ursprungssituation. Adressatengruppe, Verfasserabsicht,
Inhaltsabriß. Dazu kommen drei systematische Fragen, nach der
Richtschnur des Lebens, nach dem Weg zur Seligkeit und nach
den Votstellungen von einem christlichen Leben (51.). A. bemüht
sich dabei, jeweils den biographischen und historischen Kontext
zu berücksichtigen und hierfür vor allem die lokalgeschichtliche
Forschung auszuwerten. Im Falle von Sachs stand ihm eine
reichhaltige germanistische Sekundärliteratur zur Verfügung.

In seiner Untersuchung zu Sachsens „Wittenbergisch Nachtigall" und zu
den Dialogen von 1524 rückt A. eine Reihe von Urteilen der jüngeren .Sachsforschung
, vor allem die unter dem Einfluß der Arbeit von Bernd Balzer,
zurecht. Er macht einsichtig, daß Sachs zwar Ausbeutung und Unterdrückung
durchaus gesehen, Abhilfe aber „allein von Gottes befreiendem Handeln" erwartet
hat (106). Offen läßt er, ob diese Auffassung auf die politische Ohnmacht
des Bürgertums oder auf die Erfahrung in der evangelischen Bewegung
(nur gewaltlose Veränderungen durch Gottes Wort) zurückzuführen ist.
Die Möglichkeit des prägenden Einflusses biblischer Texte oder der Schriften
Luthers werden von A. in diesem Zusammenhang nicht erwogen.

Clemens Ziegler, Mitglied der Straßburger Gärtnerzunft und eigengeprägter
Laienprediger, ist trotz seiner fünf Flugschriften von 1524/25 hinsichtlich
der literarischen Bedeutung nicht mit Sachs vergleichbar. Seine
scharfe Kritik am veräußerlichten kirchlichen Leben leitete Ziegler aus der
Bibel als alleiniger Autorität ab. Eigengeprägte Züge hat seine Christologie:
Göttlicher und geistlicher Leib Christi als ewiges Wort Gottes bereits zur
Erdenzeit; Himmelfahrt betraf nur die Menschheit Christi. Mt 28,20 beschreibt
das gegenwärtige Wirken der Gottheit Christi. Diese Christologie
hatte Folgen für die Gestaltung der Taufliturgie.

Wiederum in eine ganz andere Welt führt A. mit seiner Untersuchung der
Schriften Sebastian Lotzers, des Redakteurs der 12 Artikel von 1525, die in
der Forschung bislang wenig Aufnierkskamkeit gefunden haben. A. kann
nachweisen, daß Lotzer Luther, vor allem in der Rechtfertigungslehre, aber
auch im Obrigkeitsverständnis, rezipiert hat. Der Einfluß von Christoph
Sehappeier ist zwar deutlich, läßt sich aber nicht im einzelnen bestimmen.
Mit seinem Engagement im Bauernkrieg hat Lotzer in der Konsequenz seiner
vorangehenden reformatorischen Aktivitäten „als Laie versucht, dem
neu entdeckten Wort Gottes gehorsam zu sein" (193).

Zu korrigieren sind A.s Ausführungen zur „oberrheinischen Bundesordnung
" (vgl. Gottfried Seebaß: Artikelbrief, Bundesordnung und Verfassungsentwurf
. Heidelberg. 1988, I41f u.ö.).

Wiederum aus einer anderen Situation schrieb der Eilenburger Schuster
mit Lateinschulbildung Georg Schönichen seine drei Druckschriften gegen
die Dresdner und Leipziger Theologen. Schönichen operierte aus dem
sicheren kursächsischen Raum gegen die Autoritäten im albertinischen
Sachsen, bis er durch den Protest der Betroffenen und Herzog Georgs
genötigt wurde, seine literarische Tätigkeit einzustellen. Durch Weimarer
Archivalien, die A. seinerzeit nicht zugänglich waren (Reg. N 46), lassen
sich seine Ausführungen ergänzen. Sie enthalten u.a. ein Brieffragment
Schönichens, gerichtet an den Leipziger Rat (gegen den Vorwurf der
Anstiftung zum Aufruhr), Beschwerde Hieronymus Dungersheims bei Kurfürst
Friedrich vom 20. Juli 1523 und die Antwort vom 23. Juli 1523, eine
handschriftliche Vorfassung des Druckes „den achtbarn vnd hochgelerten
zu Leypßck".

Der Augsburger Weber Hans Richsner wendet sich in seinen vier Flugschriften
vor allem dem Leben der Kleriker zu. Die Kirche ist nach seinem
Verständnis „eine christliche Gemeinschft von Amtsträgern und Laien"
(247). A. kann nachweisen, daß Richsner für seine Auseinandersetzung mit
dem Papsttum einen „deutschsprachigen spätmittelalterlichen Druck der
Chronik der Kaiser und Päpste" benutzt hat (223f„ 240f.). Dem Einfluß dieses
Druckes, vor allem auf die Chronistik, w äre einmal nachzuspüren.

Der Reutlinger Bäcker Hans Staygmayer hat als einziger Handwerkerschriftsteller
auch die Kirchenväter als Zeugen für die evangelische Lehre
herangezogen (251). Für dieses Phänomen, das auch sonst in Flugschriften
von Laien anzutreffen ist. gibt A. wichtige Hinweise: Mitarbeit eines Gebildeten
, Verwendung von Kirchenväterzitaten aus anderen Flugschriften,
deutschsprachige Kirchenväterdrucke (262f.). Damit hat er die Flugschriftenforschung
auf eine Spur gesetzt.

Melchior Hoffmann ist nur mit seinem Wittenberger Schreiben vom 22. 6.
1525 an die Dorpater vertreten. Bei aller Übereinstimmung mit Luthers Lehre
, ist Hoffmanns Eigenprägung in Ansätzen bereits erkennbar. Wie die bisherige
Forschung erörtert auch A. nicht den Terminunterschied zwischen
Hoffmanns und Bugenhagens Schreiben (22.6.) und Luthers Schreiben
(17.6.). Präzisieren läßt sich die Erwägung, wie Hoffmann Kenntnis von
Müntzers Interpretation von Offb. 19,17 erhalten haben könnte. Luthers
„Eine schreckliche Geschichte" mit Müntzers Sendbriefen an die Mansfelder
Grafen war kurz vor Hoffmanns Wittenbergaufenthalt erschienen (vgl. WA
18, 371f.).

Die mit vielen Bibelzitaten ausgestattete Schrift Hans Mörlins ist als
Rechtfertigung seiner Predigtstörungen angelegt. Das Motiv für Mörlins
Handeln ist die christliche Liebe.

In Peter Reycharts Dialog zweier Frauen geht es um das Verständnis des
christlichen Glaubens. Von seinem Engagement im Bauernkrieg, das Reychart
das Leben kostete, läßt die Flugschrift nichts ahnen. Die Verbindung
von Luthers Gedanken mit denen einer „demokratisierten" städtischen
Mystik ist zu dieser Zeit häufiger als A. annimmt. Es braucht deshalb weder
auf „zwei Rechtfertigungslehren" bei Reychart (313), noch auf die Absieht,
Leser mit mystisch geprägter Frömmigkeit zu gewinnen, geschlossen werden
(309).

Nikolaus Kadolzburger belehrt in seinem Schreiben von 1524 seine
Schwester und alle Schwestern und Brüder im Glauben über den Christus