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Ausgabe:

1993

Spalte:

934-935

Kategorie:

Neues Testament

Autor/Hrsg.:

Zeilinger, Franz

Titel/Untertitel:

Krieg und Friede in Korinth 1993

Rezensent:

Lindemann, Andreas

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933

Theologische Literaturzeitung 118. Jahrgang 1993 Nr. 11

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fach Leute par excellence benennt, von denen man sich ein- für
allemal fernzuhalten hat, daß hier also eine Gegenperspektive
total aus jüdischer Sicht vorliegt, kommt überhaupt nicht in den
Blick. Auch die weitere Frage, ob solche, eine bestimmte Mentalität
signalisierenden Äußerungen immer schon konkrete Er-fah-
rungen voraussetzen, wäre zumindest im jüngeren Deutschland
angesichts eines Antisemitismus ohne Juden wenigstens zu stellen
. Das Gleiche gilt m.E. auch für den o.g. methodischen
Grundsat/. Texte sind nicht einfach Widerspiegelungen der gegenwärtigen
sozialen Realität, sie können auch Vergangenes
reflektieren und für die Zukunft fruchtbar machen wollen, ohne
daß sich konkrete Probleme in dieser Hinsicht schon abzeichnen.

Die Betonung des Vorranges Israels ist trotz der vom Vf. angenommenen
Fortdauer der Israelmission ein auch von W. anerkannter
Anachronismus, insofern muß m.E. auch damit gerechnet
werden, daß die beiden Missionsbefehle nach Ansicht des Mt
nicht notwendig auf einer gleichberechtigten Ebene stehen. -
Auch in der Auslassung von Mk 7,27a kann ich keinen Hinweis
auf multikulturellen Hinlergrund des Mt entdecken, denn durch
das Auslassen dieses Satzes kommt ein Danach (also die Heidenmission
) gegenüber dem bei Mk (allein!) den Kindern zu, und
nicht den Hunden, während bei Mk die Hunde nach der Sättigung
der Kinder durchaus die Reste erhalten!

So lassen sich gegen viele Einzelheiten der Arbeit Einwände
vortragen, womit diese Einwände nicht schon von vornherein die
Wahrheit auf ihrer Seite haben. Aber daß sie vorgetragen werden
können (und müssen) hängt u.a. damit zusammen, daß W. viele
Fragen ziemlich einseitig nur aus seiner Perspektive angeht und
diese Perspektive auch die Literaturauswahl bestimmt - in der
Literatur vorgetragene Gegenmeinungen interessieren den Vf.
häufig nicht, jedenfalls wird die argumentative Auseinandersetzung
nicht unbedingt gesucht. So wird z.B. aus dem versucherischen
Charakter der Frage des Gesetzeslehrers in 22,35 nach dem
größten Gebot ohne weiteres geschlossen, „daß das Doppelgebot
der Liebe als Summe der Thora unter den jüdischen Autoritäten
in Jerusalem keine geläufige Überlieferung war". Das mag angesichts
der von W. vorausgesetzten Analyse des doppelten Liebesgebots
durch Burchard sogar stimmen, unbeschadet der Frage, ob
Mt die Jerusalemer Ansichten so genau gekannt hat, aber eine
weniger das Ergebnis bereits voraussetzende Exegese hätte doch
mindestens auch zu prüfen gehabt, ob das Versucherische der
Frage nicht weniger in der Antwort als in der Art der Frage liegt,
wofür es ja immerhin Beispiele aus dem Judentum (und aus der
Literatur) gäbe.

Das Buch ist trotz, einer Reihe von Druckfehlern sehr gut lesbar
und demonstriert, daß auch mit Computersatz inzwischen
schöne, wenn freilich auch nicht gerade billige Bücher herzustellen
sind. Es ist allerdings leider nicht ganz frei von Widersprüchen
. S. 147ff sind Werke, Bekenntnis und Glaube die
Bedingungen für das Bestehen des Gerichts, S. 183. 196 entscheiden
aber allein die Werke der Menschen über das eschato-
logische Heil.

Angesichts der Tatsache, daß einerseits die traditionellen Methoden
der Bibelwissenschaft immer fraglicher geworden sind
und andererseits die synchronischen Methoden die Literaturwissenschaft
zur Zeit vollkommen beherrschen, angesichts des weiteren
, daß eine Abkoppelung der biblischen Exegese von der
Literaturwissenschaft der Exegese nur zum Schaden gereichen
kann, sind solche synchronisch arbeitenden Analysen nur zu
begrüßen. Aber der gegenwärtige Umbruch scheint nicht geeignet
für große neue Thesen, insofern hätte der Vf. m.E. besser
daran getan, seine These statt im Durchgang durch das gan-ze
Evangelium eher an einigen wenigen ausgesuchten Perikopen zu
verifizieren, diese dafür aber gründlicher und vor allem nach
allen Regeln der Kunst zu bearbeiten. Wenn auch die Exegese
z.Z. von einer einheitlichen Meinung weit entfernt ist. so ist ein
Fortschritt m.E. nur dadurch zu erzielen, daß man sich mit dem

Chor der Meinungen intensiv auseinandersetzt, statt im Vorübergehen
weitgehend nur die für die eigene These passenden
Argumente anzuführen.

Siegen Ingo Broer

Zeilinger, Franz: Krieg und Friede in Korinth. Kommentar
zum 2. Korintherbrief des Apostels Paulus. Teil 1. Der
Kampfbrief. Der Versöhnungsbrief. Der Bettelbrief. Köln-
Weimar: Böhlau 1992. 339 S. gr.8o . Kart. öS 686.-. ISBN 3-
205-05535-7.

Bei dem zu besprechenden Band handelt es sich um. einen
Kommentar zu 2Kor 1,1-2,13 und 7,5-13,13; die Auslegung von
2Kor 2,14-7,4 wird in einem zweiten Band erfolgen. Der m.E.
etwas reißerische Titel signalisiert von vornherein, daß Z. im
2Kor mehrere ursprünglich selbständige Briefe sieht, die die
Entwicklung des Konflikts (ob der Begriff „Krieg" hier wirklich
angemessen ist?) zwischen Paulus und der korinthischen Gemeinde
und die Wiederherstellung des Friedens widerspiegeln.
Der Band enthält eine vergleichsweise knappe „Einleitung" (17-
30), dann die Kommentierung der von Z. rekonstruierten Briefe
und schließlich Literaturverzeichnis (321-327) und Stellenregister
(329-339).

Z. beginnt mit der Feststellung, Teile des 2Kor ließen erkennen
, daß „Paulus jedenfalls noch lange nicht der in der späteren
Kirche neben Petrus plazierte unbestrittene Apostel Christi" ist,
sondern daß er „noch als eine recht relative Größe" erscheint
(17) - ein insofern überraschender Einstieg, als wir ja über die
„apostolische" Stellung des Petrus zur Zeit der Abfassung des
2Kor ungleich weniger wissen als über Paulus. Z. liegt freilich
daran, immer wieder zu zeigen, daß Konflikte nichts dem Wesen
der Kirche Fremdes sind, sondern im Gegenteil unmittelbar
dazugehören (so schon im Vorwort und öfters).

Fast ohne Diskussion geht Z. davon aus, daß 2Kor keine
literarische Einheit ist („Allgemeingut der ntl. Bibelwissenschaft
", 18). Als erstes grenzt er Kap. 10-13 ab; dies sei ein - bis
auf das Präskript - vollständig erhaltener „KampfbrieP', der
angemessen jedoch neutral als „Vierkapitelbrief" zu bezeichnen
sei (19). Sodann stelle sich „die Frage nach dem Umfang des
Versöhnungsbriefes"; hier spreche vieles dafür, die „Apologie
des Apostolates (2,14-7,4)" vom Kontext zu trennen und so also
in 1,1-2,13; 7,5-14 den Versöhnungsbrief zu sehen (20-22). Dieser
Brief stehe unter dem Thema „des Beistandes in Todesnot";
er führe „inhaltlich weitgehend zur Lösung der im Vierkapitelbrief
polemisch behandelten Spannungen" (23). Zu den Kap. 8
und 9 vertritt Z. die Annahme einer ursprünglichen Zusammengehörigkeit
(23), wobei seine Berufung auf V. P. Furnish freilich
nicht recht überzeugt, weil Furnish 2Kor 1-9 (ohne 6,14-
7,1) insgesamt als Einheit ansieht. Die „Apologie" schließlich
sei eine „in Briefform präsentierte theologische Abhandlung
zum Thema der Diakonie" (24), die „mit einer briefmäßigen
Eingangsdanksagung (2,14-17) versehen ist" (22); eine chronologische
Einordnung sei nicht möglich (unter Berufung auf H.-J.
Klauck). Die „Endredaktion" des 2Kor erklärt Z. damit, daß der
Redaktor „der einst aktuellen Korrespondenz für die nachpauli-
nische Situation ,Überzeitlichkeit' gewährleisten" wollte; deshalb
sei das unter dem Aspekt Trost/Rettung stehende Präskript
des Versöhnungsbriefes dem Ganzen vorangestellt worden. Die
Apologie wurde dann dort eingebunden, „wo Begriffsberührungen
es begünstigten"'(24); der Vierkapitelbrief fungiere aufgrund
von 10,lf als Parüncse (25). Die Einordnung der Kolicktenkapitel
sei möglicherweise unter der Perspektive einer geographischen
Fiktion erfolgt: Wenn Paulus auf dem Weg von
Ephesus nach Korinth inzwischen in Mazedonien sei (2,120.
dann erscheine der ganze 2Kor als „Fiktion eines Briefes..., der