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Ausgabe:

1993

Spalte:

931-934

Kategorie:

Neues Testament

Autor/Hrsg.:

Wong, Kun-Chun

Titel/Untertitel:

Interkulturelle Theologie und multikulturelle Gemeinde im Matthäusevangelium 1993

Rezensent:

Broer, Ingo

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Theologische Literaturzeitung 118. Jahrgang 1993 Nr. 11

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was in Spannung stünde zu dem im Vorwort aufgestellten
Grundsatz, nichts aufzunehmen, was nicht wesentlich zur
Erhellung des ntl. Griechisch beiträgt. Oder handelt es sich um
ein versehentliches Abweichen vom Grundsatz? Ich möchte
ersteres annehmen und würde dann wie Rehkopf der Auffassung
sein, man müsse so behutsam streichen, daß die Vergleiche
rückwärts mit der klassischen Sprache und gelegentlich
vorwärts bis zum Neugriechischen grundsätzlich ihre Daseinsberechtigung
behalten. Sie sind eine ganz wesentliche Komponente
der wissenschaftlichen Grammatik BDR. Bedauerlich ist
es nur, wenn in einem Hilfsbuch zur Schnellorientierung durch
fleißige, aber fehlgehende Verwendung von BDR dem Benutzer
etwas anderes angeboten wird als das, was er sucht und einzig
verlangen kann, nämlich die passende Übersetzung.

Raumbeschränkung zwingt dazu, die Ausführungen hier abzubrechen
. Es bleibt nur die freundliche Aufforderung, über
einer exemplarischen Einzelkritik, die nicht fehlen durfte, die
positive Gesamtwürdigung nicht zu vergessen, die wir dem
neuen Rehkopf zollten.

Leipzig Gottfried Steyer

Wong, Kun-Chun: Interkulturelle Theologie und multikulturelle
Gemeinde im Matthäusevangelium. Zum Verhältnis
von Juden- und Heidenchristen im ersten Evangelium. Freiburg
/Schweiz: Universitätsverlag; Göttingen: Vandenhoeck
& Ruprecht 1992. VIII, 223 S. gr.8° = Novum Testamentum
et Orbis Antiquus, 22. Lw. sFr 56.-. ISBN 3-7278-0821-7.

Die bei G. Theißen in Heidelberg angefertigte Dissertation
läßt sich stark vom Primat der Synchronie leiten und hat deswegen
zum Ziel, die im Mt vorhandenen Spannungen in den Sachkomplexen
Gesetz. Mission und Gericht nicht diachronisch zu
erklären, sondern mit Hilfe synchronischen Verständnisses zu
erhellen. Das bedeutet, diese Spannungen sind nicht nur Zeugen
einer interkulturellen Theologie des Evangelien-Autors für eine
multikulturelle Gemeinde, sondern Mt hat diese Spannungen in
seiner Darstellung bewußt angeführt, weil er die zwischen verschiedenen
Gemeindegruppen bestehenden unterschiedlichen
Vorstellungen und die daraus resultierenden Spannungen vermitteln
möchte. Zu der gegenwärtigem Sprachgebrauch entnommenen
Kennzeichnung der Gemeinde und der Theologie
des Mt sieht der Vf. sich dadurch berechtigt, daß „Heiden" ein
sehr offener und nicht nur auf ein Volk bzw. eine Kultur bezogener
Begriff ist. Das Synchroniepostulat wird im übrigen auch
auf die sozialgeschichtliche Betrachtung ausgeweitet und als
folgenschwere Maxime der Abhandlung vorangestellt: „Was im
Text gleichzeitig nebeneinandersteht und sinnvoll verbunden
ist, existiert auch in der hinter dem Text stehenden sozialen
Lebenswirklichkeit der Gemeinde nebeneinander und gleichzeitig
." (31)

Nach einem kurzen forschungsgeschichtlichen Überblick
über die bekanntesten Arbeiten wird die These von Juden und
Heiden als gleichberechtigten Mitgliedern der mt Gemeinde an
den drei genannten Sachkomplexen dargestellt. Diese müssen
hier nicht gleichgewichtig vorgestellt werden, da das Verfahren
überall ähnlich ist.

Nach W. zeigt schon Mt 5,17-19, daß Heidenchristen von
den Judenchristen toleriert werden und beide auch nach Ansicht
der Judenchristen Anteil am Himmelreich haben können trotz
unterschiedlichen Verhältnisses zum Gesetz. Denn die Zuweisung
der geringsten Plätze im Himmelreich in 5,19 bezieht sich
auf die Heidenchristen (vielleicht auch auf liberalere Judenchristen
) und Mt versucht, durch diese Formel Unzufriedenheit von
Judenchristen seiner Gemeinde mit den Heidenchristen zu besänftigen
. Die Heidenchristen spricht Mt speziell aber mit der

Goldenen Regel an, so daß diese Gesetz und Propheten erfüllen
können, ohne die jüdische Lebensweise übernehmen zu müssen
. Die Goldene Regel richtet sich nach Meinung des Vf.s
schon im Judentum in erster Linie an Heiden; das gilt erst recht
für Mt, der der Bergpredigt Hörer aus der heidnischen Dckapo-
lis und aus ganz Syrien zuordnet. Daß das MtEv von einer universalistischen
Tendenz geprägt ist, läßt sich auch sonst zeigen,
z.B. durch die Auslassung von Dtn 6,4a in 22,37 oder durch die
„Doppelformel" „Heiden und Zöllner". Denn auch diese Formel
spiegelt die kulturellen Verhältnisse der mt Gemeinde wider
, die sich damit sowohl von ihrer jüdischen als auch von
ihrer heidnischen Umgebung absetzen will. Der auf Israel beschränkte
Missionsbefehl in Mt 10 und der universalistische in
Mt 28 gelten ebenfalls nicht etwa nacheinander, sondern gleichzeitig
, also auch noch zur Zeit der Abfassung des Evangeliums,
die Heidenmission wird schon im Corpus des Evangeliums
durch die Zeugnisse Jesu vor und für Heiden ermöglicht. Mt
wird seinem doppelten Leserkreis auch dadurch gerecht, daß er
seine Wundersammlung mit je einer Heilung eines Juden und
Heiden beginnt, wobei beide jeweils einen Teil der Gemeinde
repräsentieren, mit dem sich die jeweiligen Gemeindeglieder
auch identifizieren können. Mt 8,1 lf wird den jüdischen Gemeindemitgliedern
dabei keine Pein bereitet haben, da diese
VV sich nicht etwa gegen das Volk Israel richten, sondern nur
gegen ein partikularistisches Heilsverständnis.

Die Schilderung der Gemeinde als corpus permixtum und die
daraus für Mt sich ergebenden Konsequenzen haben u.a. in
Streitigkeiten um Normen zwischen den Heiden- und Judenchristen
ihren Grund. Hier mahnt der Evangelist zu Toleranz.
Dem Herrn soll im Endgericht das Urteil überlassen bleiben. In
dieser Forderung der Toleranz besteht nach Ansicht des Vi s
auch die heutige Bedeutung des Mt: „Anstatt auf dem Absolut-
heitsanspruch der eigenen Tradition zu beharren, ist Verständnis
und Toleranz gegenüber anderen Überzeugungen gefordert.
...wir wissen nicht, wo die wahren .Täter des Willens Gottes'
sich befinden. Eine Garantie dafür, daß man sie innerhalb der
Mauern der (jeweils eigenen) Kirche antrifft, gibt es nicht."

Das Buch ist sehr übersichtlich gestaltet, da jedem Kapitel
oder Unterkapitel jeweils Thesen vorangestellt sind. Auch wird
man dem Vf., der aus Hongkong stammt und dort Theologie
studiert hat, bescheinigen können, daß er sich tief in die
europäische Exegese eingearbeitet hat. Seine These, daß die
Gemeinde des Mt nicht ausschließlich aus Judenchristen
bestand, ist von vornherein ziemlich wahrscheinlich, weniger
allerdings schon die sie begründende Ansicht, daß der Evangelist
hier den Judenchristen und dort den Heidenchristen jeweils
ein Häppchen hinwirft, mit dem sie sich identifizieren können
(vgl. die Ausführungen zu Mt 5,17-19 und 7.12). Kann man
davon ausgehen, daß die Heidenchristen mit der zu den Judenchristen
gesprochenen Beruhigungsthc.se, die Heiden würden ja
nur die geringsten Plätze im Himmelreich erhalten (5,19), einverstanden
und das Evangelium in dieser Form zu akzeptieren
bereit waren? Die Frage, die auch von W. nicht beantwortet
wird, ist doch, wie in einer Gemeinde gleichzeitig Christen
nach beiden Maximen wirklich zusammen leben konnten. Und
wenn beide Gruppen wenigstens für den toleranten Evangelisten
gleichberechtigt nebeneinander stehen, warum muß dann
die Goldene Regel noch als gültige Zusammenfassung des Gesetzes
dargestellt werden? Besteht in der so verstandenen Gemeinde
des Mt trotz, der Spannungen Einvernehmen darüber,
daß das Gesetz noch eine verbindliche Größe ist?

Was die Doppclformel betrifft, so ändert Mt nach W. damit
die Formel „Zöllner und Sünder" seiner Vorlage ab und deutet
sie auf die Umwelt seiner Gemeinde, nämlich „die sündhaften
Juden und die (per se sündigen) Heiden" bzw. in Mt 18,17 auf
ehemalige Juden- und Heidenchristen. Die Möglichkeit, daß
diese bildhaft gemeinte Formel aus jüdischer Perspektive ein-