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Ausgabe:

1993

Spalte:

925-926

Kategorie:

Neues Testament

Autor/Hrsg.:

Kampling, Rainer

Titel/Untertitel:

Israel unter dem Anspruch des Messias 1993

Rezensent:

Lührmann, Dieter

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Theologische Literaturzeitung 118. Jahrgang 1993 Nr. 11

926

nach Paulus „Judentum eine Grundmöglichkeit des Christentums
gewesen ist" (26). In die gleiche Richtung weist nach H.
die Berufung des pseudepigraphischen Autors des Jud auf den
Herrenbruder gleichen Namens, fori Blick auf die apokalyptische
Tradition des Jud stellt der Vf. sodann dessen enge Beziehung
zum äth Henoch heraus. Sic ist für ihn so durchschlagend, daß
dieses Schreiben seiner Ansicht nach geradezu als „Kommentar
" zu dem .lud gelesen werden kann.

Diese Erkenntnisse stellen sowohl die Frage nach dem Trägerkreis
jüdischer Überlieferung im frühen Christentum wie
nach der im Jud vorausgesetzten Gemeindesituation. Im Blick
auf enteren vertritt H. die Auffassung, daß dieser unter „christliehen
Pharisäern" zu suchen sei, die sich jenen Stoffen besonders
verbunden wußten. Die Situation der Adressaten erschließt sieh
für H. aus dem Bemühen des Absenders, ihnen „ein hohes
Selbstbewußtsein zu vermitteln", um „in einem Prozeß der inneren
Abgrenzung eine eigene spezifische judenchristliche Identität
" leben und gegenüber anders geprägten Gemeinden durchhalten
zu können (89). Mit diesen Feststellungen nähert der Vf.
sich zugleich dem zweiten Ziel seiner Arbeit.

Den Ansatzpunkt für die theologiegeschichtliche Einordnung
des Jud findet H. in der Stellung seines Autors zu den „Mächten
und Gewalten" (VV 8-10). Hierbei beobachtet er einen offenkundigen
Gegensatz zum Kol: Während für dessen Vf. jene
„Mächte" keinerlei Bedeutung mehr haben, stellt für den Autor
lies .lud die herkömmliche jüdische Engellehre einen unaufgeb-
baren Bestandteil seiner Theologie dar. Daraus folgt: Beschäftigt
den Schreiber des Jud wie den des Kol auch die gleiche Frage
- nämlich: Wie erhält der einzelne „Zugang zum göttlichen
Bereich und damit zum Heil?" (124) -, so beantworten beide
diese Frage doch auf entgegengesetzte Weise: Der Kol attackiert
eine Anschauung, die der Vf. des Jud vertritt und umgekehrt;
wobei letzterer sich in Einklang mit Paulus befindet. Damit aber
sind Kol wie Jud Zeugnisse für nach dem Tod des Apostels in
dessen Missionsgebieten offensichtlich aufgebrochene theologische
Konflikte.

Zeichnet sich damit bereits ab, daß für H. die Gegner des Jud
nicht, wie noch immer weithin angenommen, Gnostiker sein
können, so charakterisiert er sie dann - im Anschluß an G. Sellin
- als „christliche Pneumatiker aus paulinischcr Tradition",
deren „geistesgeschichtlichcr Hintergrund" der „pagane Skeptizismus
mit einer stark anti-mythologischen und egalitären Tendenz
" ist (149). Indem der Vf. des Kol aber (wie auch der der
Past) diese „Pneumatiker" bekämpft, deren theologische Überzeugung
der Autor des Jud (ähnlich dem des 2Pt) teilt, ist dieses
Schreiben in einem größeren Zusammenhang frühchristlicher
Theologieentwicklung zu sehen.

Steht der Jud in dieser Weise zwischen „Henoch und Paulus",
so dürfte er damit tatsächlich seinem bisherigen „Schattendasein
" entnommen sein. Vor allem aber - und hierin liegt das
maßgebliche Verdienst dieser anregenden Untersuchung - ist er
es insofern, als durch ihn erneut die Frage nach der Rezeption
jüdischer Traditionen durch das älteste Christentum ebenso
gestellt ist wie nach der Wirkungsgeschichte des Paulus im letzten
Drittel des ersten Jahrhunderts.

Leipzig Werner Vogler

kampling, Rainer: Israel unter dem Anspruch des Messias.

Studien zur Israelthematik im Markusevangelium. Stuttgart:
Kath. Bibelwerk 1992. X, 259 S. gr.8° = Stuttgarter Biblische
Beiträge, 25. Kart. DM 49,-. ISBN 3-46()-(M)251-4.

Diese 1991 von der Katholisch-Theologischen Fakultät der
Universität Münster angenommene Habilitationsschrift enthält
dem Untertitel entsprechend „Studien", erhebt also nicht den

Anspruch, den Gegenstand insgesamt darzustellen, eine Thematik
, die zuvor kaum und monographisch gar nicht behandelt
worden war.1 Was K. vorlegt, sind Interpretationen relevanter
Texte in der Abfolge des Evangeliums. Methodisch arbeitet er
entsprechend dem neueren Forschungsstand mit primär synchronen
Analysen ohne Vernachlässigung diachronischer Aspekte.

Nacheinander werden in je eigenen Kapiteln behandelt: I. Mk
1.1-3.9-11; II. 2,1-12; III. 2,23-3,6 (mit einer gewagten Hypothese
zu dem 2,23-28 zugrundeliegenden Vorfall); IV. 7,24-30;
V. 11,27-12,12 und (kurz) VI. 15,29-32). Das sind in der Tat für
die Thematik wichtige Texte, und andere als diese werden natürlich
auch mitberücksichtigt. Diesen Texten ordnet K. die folgenden
Themen zu: I. „Die christologische Grundlegung"; II. „Die
Benennung des Konflikts"; III. „Die Restitution des Sabbat";
IV. „Der heilsgeschichtliche Vorrang Israels im Spannungsfeld
von Gemeinde und Judentum"; V. „Der Unglaube der religiösen
Autoritäten und die Geschichte und Zukunft Israels"; VI. „Ausblick
: Der gekreuzigte Messias - der König Israels".

Wer von der abschließenden „Zusammenfassung" eine Bündelung
der Interpretationen als exemplarisch genommener Texte
erwartet, ist enttäuscht; auf wenigen Seiten (205-228) werden im
wesentlichen die in den Exegesen gewonnenen Ergebnisse noch
einmal in Erinnerung gebracht. Neu ist nur die (wenig bringende)
Reflexion auf das Problem des Antijudaismus. Fraglich scheint
mir, was die Texte zu bedenken geben sollen, nämlich „daß das
Judentum an sich bei Markus nicht Thema ist, sondern nur das
von ihm aus christlicher Sicht wahrgenommene" (195).

Entsprechend ist der Titel der Untersuchung formuliert: „Israel
unter dem Anspruch des Messias" - wenn aber als Fragestellung
verfolgt wäre „Israel vor bzw. gegenüber dein Anspruch des Messias
(wie er im Markusevangelium erhoben wird)"? Das ergäbe
eine andere Auswahl exemplarischer Texte. Nicht fehlen dürften
vermutlich 7,1-23 (die Bedeutung der „Überlieferung der Alten"
für nicht allein die Pharisäer, sondern „alle Juden", wie Mk in 7,3
behauptet, ohne daß das Stichwort nomos im Markusevangelium
ein einziges Mal fällt), 11,15-19 (die Bedeutung des Tempels, die
Mk in 11,17 Jesus aus der Schrill bestimmen läßt), 9,1 1-13 und
12, 35-37a (die Berechtigung, Jesus als endzeitlichen Retter zu
bekennen gegenüber dem Widerspruch der Schriftgelehrten), /u
III. wohl auch 1,21-28 (Jesus heilt hier am Sabbat, ohne daß daraus
ein Konflikt entsteht wie in 2,23-3,5).

„Israel", „das Judentum" oder was immer ist in der Tat nicht
..an sich" ein Thema bei Mk, wohl aber unter mannigfachen Perspektiven
Bezugsrahmen der erzählenden Vergegenwärtigung
des Evangeliums. Der Stand der Forschung könnte dazu mehr
Anregungen geben, als in diesen Studien aufgenommen sind.2

Marburg Dieter Lührmann

' Vgl. aber jetzt Christof Dahin. Israel im Markusevangelium, EHS.T
420. 1991. das K. nicht mehr berücksichtigen konnte (vgl. S. 1. Anm. 1).

2 Sehr viel mehr davon f indet sich in der in Anm. 1 genannten Arbeit von
Dahm. der ich im Vergleich den Vorzug geben würde, da sie inhaltlich wie
methodisch neue Aspekte einbringt.

Lambrecht, Jan: Out of the Treasure. The Parables in the
Gospel of Matthew. Leuven: Peeters 1992. 299 S. 8° = Lou-
vain Theological and Pastoral Monographs, 10. Kart. BEF
695.-. ISBN 90-6831-161-1.

Das Thema ist bisher nicht monographisch traktiert worden,
eine Skizze zum Problem findet sich bei Luz (Mt II, 366-380).
Allerdings soll die vorliegende Monographie über die meisten
matthäischen Gleichnisse unter Einschluß der Weltgerichtsrede
Mt 25,31-46, dem Zweck der Reihe folgend, Ergebnisse der
Forschung einem breiteren Benutzerkreis im kirchlichen Amt