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Ausgabe:

1993

Spalte:

922-924

Kategorie:

Neues Testament

Autor/Hrsg.:

Feldmeier, Reinhard

Titel/Untertitel:

Die Christen als Fremde 1993

Rezensent:

Wolf, Christian

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Theologische Literaturzeitung I 18. Jahrgang 1993 Nr. I I

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.judenchristlich' ein, der bei B. in alter Tübinger Manier zu ,ju-
daistisch' bzw. zu .jüdisch' hin tendiert. Tatsächlich aber gehörten
den .judenchristlichen' Gemeinschaften innerhalb der hellenistischen
Synagogen nicht anders als den jüngeren .heidenchristlichen
' Gemeinden des Paulus vor allem unbeschnittene
Gottesfürchtige an, so daß der Ubergang fließend war. Und da in
Rom offensichtlich eine christliche Gemeindebildung noch nicht
erfolgt war, liegt es nahe, daß Paulus, der eine solche an-strebt,
auch um die nach Rom zugezogenen judenchristlichen' Gottes-
flirchtigen wirbt und sie aus ihrer Bindung an die Synagoge zu
lösen versucht. Die Adresse Rö 1,7 richtet sich ausdrücklich an
alle Christen Roms. Ein schroffes Gegenüber von Juden- und
Heidenchristen, das der Römerbrief tatsächlich auch nicht zu erkennen
gibt, darf man also in Rom nicht annehmen, und der dia-
tribenartige Dialog wird im Römerbrief, wie die übliche und
exegetisch allein haltbare Auffassung ist. cum iudaeis geführt,
also um die für die paulmische Gemeindebildung entscheidende
Frage, ob der Partikularismus der Synagoge oder Universalis-
mus tler Ekklesia im Recht ist. Den diatribenhaften Charakter
der mit fiktiven Gesprächspartnern geführten Dialoge im Römerbrief
erkennt B. zwar im Prinzip richtig, verleugnet ihn aber
zugleich, wenn er diese Gesprächspartner in der Regel mit den
Adressaten des Briefs identifiziert, statt zu bedenken, daß Paulus
, dem popularphilosophischen Schulbetrieb entsprechend, vor
den Ohren seiner Hörer bzw. Leser die Auseinandersetzung mit
den Argumenten der Synagoge führt.

Bei einer solchen historischen Verortung wird man den t radi -
tkmskritischen Hinsichten B.s, soweit sie in sich selbst überzeugen
können, leichter zustimmen als im Rahmen des Tübinger
Geschichtsbildes. Das gilt vorab für den glänzend gelungenen
Nachweis, daß Paulus in Rö 1,18-32 keineswegs, wie es die gängige
Ansicht ist, seine eigene Missionspredigt referiert, sondern
daß er eine jüdische Predigt gegen die heidnische Unmoral
zitiert, die er aber .ironisch' gegen die Juden selbst wendet, weil
sie der gleichen Sünden schuldig sind. Man darf nur nicht mit B.
annehmen, daß es die Adressaten des Römerbriefs selbst sind,
die den stolzen Partikularismus dieser jüdischen Predigt vortragen
und von der Ironie des Paulus getroffen werden sollen; denn
solcher Auffassung widerspricht der Römerbrief als ganzer. Die
paulinische Argumentation spiegelt vielmehr die Auseinandersetzung
wider, die Paulus ständig mit der Synagoge führte, um
die gottesfUrchtigen Heiden für sich zu gewinnen.

In 2,1-3,20 setzt Paulus seine .ironische' Argumentation fort,
wie B. [iberzeugend darlegt. Daß er dabei die von Paulus in Rö 2
benutzen synagogalen Traditionen als solche nicht herausarbeitet
, zeigt, daß es selbst B. Schwierigkeiten macht, den seiner
Meinung nach von Paulus als Juden (Rö 2,17) angeredeten
Juäenchristen solche gänzlich innerjüdische Argumentation
zuzutrauen.

Richtig beobachtet B. sodann zu Rö 3,20-31, daß es Paulus „um
die Einheil der Kirche aus Juden- und Heidenchristen geht" (102),
doch läßt Paulus gerade in diesem Abschnitt keineswegs erkennen
, daß seine Adressaten „noch an der Tora als soteriologischem
Prinzip" festhalten (103). Geglückt ist auch der Nachweis, daß das
Abraham-Paradigma von Rö 4 sich fugenlos anschließt und den
von Paulus behaupteten Universalismus der christlichen Botschaft
exegetisch absichert. Doch daß Paulus „mit dem Abraham-
Midrasch gegen eine judenchristliche Proselytenmission in Rom
interveniert" (113) ist eingetragen; Rö 4 ist vielmehr ein deutliches
Beispiel für einen paulinischen Lehrtext, mit dessen Hilfe die
Missionare des universalistischen Christentums die Auseinandersetzung
in der Synagoge um deren gottesfürchtige Glieder führt.

Den problemgeladenen Abschnitt Rö 5.1-11 versucht B. von
dem einleitenden Begriff des Friedens zu erschließen, dessen
Vorkommen bei Paulus er in einleuchtender Weise traditionsgeschichtlich
und theologisch untersucht. Daß die Adressaten in
Rom sich durch Beschneidung und Toraobscrvanz die Bedingungen
für den Frieden mit Gott schaffen wollen, den sie apokalyptisch
auffassen, und Paulus demgegenüber diesen Begriff
sowohl von nomistischer wie von apokalyptischer Engführung
befreien will, vermag ich allerdings nicht zu erkennen. Anknüpfung
an und Widerspruch gegen die Position seiner judenchristlichen
Adressaten glaubt B. noch deutlicher in Rö 5.12-21 erkennen
zu können. Aus 5,12.14-17 rekonstruiert er mit manchen
Konjekturen einen jüdischen Hymnus, der durch 5,18-19 (in
vorpaulinischer Fassung) von einem noch nomistischen Judenchristentum
rezipiert worden sei und den Paulus „mit den notwendigen
Modifikationen und Interpretamenten" aufgreift, um
„einer zum Judaismus neigenden judenchristlichen Theologie
auf deren eigenem Territorium und mit ihren eigenen Mitteln zu
begegnen" (182). Ob sich diese Interpretation ebenso bewähren
wird wie die von Rö 3,24-26, an der sie sich methodisch orientiert
, erscheint mir mehr als zweifelhaft.

Bei der Behandlung von Rö 6-8. mit der die exegetische Untersuchung
ursprünglich schloß, geht dem Vf. einigermaßen der
Atem aus. Er bleibt konsequent auf dem einmal eingeschlagenen
Weg. postuliert freilich die entsprechenden Ergebnisse mehr, als
daß er sie hinreichend begründete: Auf die Taufe kommt Paulus
in Rö 6 „wahrscheinlich" zu sprechen, weil ihm dies von der Be-
schneidungsforderung seiner Adressaten aufgenötigt wird; in Rö
6,16-22 verarbeitet Paulus eine „jüdische Initialbelehrung", in die
er V. 17b einfügt, dafür dankend, daß die Adressaten ihrem (ju-
daistischen!) Typus der Lehre übergeben worden sind und damit
„die von der Initialbelehrung geforderte Entscheidung zum Leben
im Dienst der Gerechtigkeit ja längst vollzogen haben!" (193); in
Rö 7,14-25 soll ein jüdisch-hellenistisches Lehrgedicht begegnen,
das Paulus „mit nur wenigen, freilich entscheidenden. Interpolationen
und Interpretamenten versehen hat"(2()8), und es gibt nach
der Ansicht B.s auch „einige Hinweise darauf", daß der Apostel
in Rö 7,7-13 seine Argumentation gleichfalls mit einer „Überlieferung
aus jüdischem Milieu" stützt (214). Mit solchen Aufstellungen
wird ein richtiges Prinzip dann doch wohl totgeritten.

Auch die vor ihrer Veröffentlichung der Arbeit beigegebene
Analyse von Rö 9-11, die „Probe aufs Exempel". verfährt recht
summarisch, und man wundert sich, warum B. sich den längst
geführten Nachweis entgehen läßt, daß Paulus in Rö 9.10-21 ein
jüdisches Plädoyer für die partikulare Erwählung Israels zitiert
und durch V. 22IT. auf die unviersale Christenheit hin .ironisiert'
- neben Rö 1,19-2.11 der beste Beleg für das prinzipielle Recht
des von B. gewählten methodischen Ansatzes. Auch daß Paulus
in Rö 10.1-10 eine judenchristliche Argumentation aufgreift,
nimmt er nicht wahr. Da die direkte Anrede an die Heiden (Rö
11,13) in einem Brief, der durchgehend an die judaistische Front
in Rom gerichtet ist, nicht vorkommen kann, greift er in diesem
zweifellos nicht einschlägigen Fall auf die Vorstellung eines .fiktiven
Dialogs' zurück, der den Judenchristen vorgeführt wird.

Erwägungen zum Frömmigkeits- und Sozialprofil der römischen
Judenchristen, eine ,Zusammenschau' und eine aktualisierende
Skizze schließen die Arbeit ab, von der man nur hoffen
kann, daß ihre richtigen Einsichten sich trotz ihrer vielen kaum
haltbaren Ansichten behaupten möchten.

Berlin Walter SchmilhaK

Feldmeier, Reinhard: Die Christen als Fremde. Die Metapher
der Fremde in der antiken Welt, im Urchristentum und im
1. Petrusbrief. Tübingen: Mohr 1992. XIII, 264 S. gr.8» =
Wissenschaftliche Untersuchungen zum Neuen Testament,
64. Lw. DM 148,-. ISBN 3-16-145982-2.

Diese Tübinger Habilitationsschrift untersucht den für den
IPt charakteristischen Aspekt des christlichen Selbstverständnisses
: die Fremdlingsexistcnz.