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Ausgabe:

1993

Spalte:

911-913

Kategorie:

Bibelwissenschaft

Titel/Untertitel:

Le grand siècle et la bible 1993

Rezensent:

Merk, Otto

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91 I

Theologische Literaturzeitung 118. Jahrgang 1993 Nr. 11

912

Bibelwissenschaft

Armogathe, Jean-Robert [Ed.]: Le Grand Siede et la Bible.

Paris: Beauchesne 1989. 834 S. gr.8° = Bible de Tous les
Temps, 6. Kart. ffr480.-. ISBN 27010-115-66.

In dem auf acht Bände angelegten Gesamtwerk, das die
Bedeutung der Bibel in Wissenschaft, Geistesgeschichte und
Kultur durch die verschiedenen Epochen hindurch aufzeigen
möchte, ist der sechste Band dem 17. Jh. gewidmet, der - nicht
gepreßt in die Jahreszahlen eines Saeculum - von der Zeit der
Gegenreformation an bis in die - länderspezifisch verschieden -
frühe Aufklärung hinein die anstehende Thematik aufgreift. In
46 Beiträgen von 45 Vff. (ein Artikel als Gemeinschaftsarbeit
zweier Autoren), einer Einführung und einem Epilog werden
zahlreiche Aspekte dieses Zeitraums unter dem Rahmenthema
und unter besonderer Berücksichtigung Frankreichs (und Westeuropas
) erörtert.

Der Band ist in vier Teile gegliedert. Der erste »Etudier«
behandelt im engeren Sinne die wissenschaftliche Diskussion.
Verschiedene Linien und geradezu Aufbrüche werden sichtbar:

M. Goshen-Gottstein, »Bible et judaisme« und R. Goetschel, »Les orien-
tations de l'exegese juive de la Bible« (33ff., 39ff.) zeigen (zum Einstieg
auch für weitere Beiträge) die Bedeutung der jüdischen Exegese für Bibel
und Zeitverständnis im 17. Jh. (darunter sogar erwägend, ob nicht in Spinozas
Nachwirkung bibelwissenschaftlich auch Johann Philipp Gabler [1753-
1826] stehe, 34). - J.-R. Armogathe beleuchtet in »La v^rite des Ecritures
de la nouvelle physique« (49ff.), wie im 17. Jh. Naturwissenschaft die
Bibel(wissenschaft) in ihre Diskussion einbindet. - J.-P. Rothschild, »Autor
du Pentateuque samaritain. Voyageurs, enthousiastes et savants« (61 ff.)
zeigt an der Erforschung des samaritanischen Pentateuchs: »Les biblistes du
XVIle siede n'ont pas neglig6 l'exegese vivante que pouvait constituer le
'vecu' biblique des Samaritans contemporains« (69). - J.-L. Breteau verdeutlicht
in »Ralph C'udworth et la Bible« (75ff.) anhand einer kurzen Skizzierung
seines philosophisch-theologischen Ansatzes exegesengeschichtlich
bedeutsam, daß dieser Neo-Platonist (er lebte 1617-1688) u.a. die
Typologie biblisch, hermeneutisch und philosophisch methodisch zum Ausgangspunkt
nahm, die Bezüge der beiden Testamente zueinander zu seiner
Zeit neu zu durchdenken (vgl. im übrigen noch immer grundlegend E. Cas-
sirer, Die Platonische Renaissance in England und die Schule von Cambridge
, 1932 = Studien der Bibl. Warburg). - S. Kessler Mesguich bietet in
»Les hebrai'sants chretiens« (83ff.) einen vorzüglichen Überblick über die
atl. wie jüdische (Talmud-)Forschung durch Christen im 17. Jh., wofür
nicht nur J. Lightfoot (1602-1675) einsteht, sondern wofür erhebliche Ausstrahlung
im protestantischen Bereich nachzuweisen ist (vgl. in ds. Bd. auch
174.176.184 |Anm. 3].186.188ff. u.ö.). -3. Lagree/P.-F. Moreau zeigen in
»La leeture de la Bible dans le cercle de Spinoza« (97ff.) interdisziplinäres
Interesse an und Beschäftigung mit der Bibel in diesem Kreis, aber auch,
wie diese als „Pruepurutio philosophica" (104) zu beliebigem Gebrauch
verwandt werden konnte. - F. Laplanche vermittelt in »De'bats et combats
aulour de la Bible dans l'orthodoxie reformee« (117ff.) eine Übersicht Uber
den kirchen- und theologiegeschichtlich vermutlich bekanntesten Abschnitt
im thematischen- Bereich dieses Bandes, Streitpunkte. Kämpfe, Erschütterungen
von Calvin an über Bucer, Beza, J. Buxtorf (1564-1629), F. Turreti-
ni, Coccejus u.a. darstellend, aber auch exegetisch-theologische Diskussionen
erwähnend (etwa zu 2Thess 2 [1241; und zur Auslegung von Rom 5,12:
nicht auf Erbsunde beziehbar [134] und verdeutlichend. daß Coccejus energisch
zum (reformatorischen) Prinzip des Scriptura interpres sni zurücklen-
ken wollte (136), im Ergebnis: »La regard sur l'exegese reformee au 'grand
siecle permet de mieux distinguer les etapes du chemin qui mene de la
Reforme aux Lumieres« (139). - H. Graf Reventlow skizziert »L'exegese
humaniste de Hugo Grotius« (141 ff.> mit reichen Nachweisungen zur atl.
und ntl. Forschung des Juristen, dessen wissenschaftliches Interesse an der
Bibel wohl doch vornehmlich die historische, weniger die theologische Fragestellung
war, dessen methodische Überlegungen dabei aber der Zeit weit
voraus waren. - E. G. E. van der Wall zeigt in ihren Überlegungen zu
»Petrus Serrarius (1600-1669) et le millenarisme myslique« (155ff.), wie
sich spiritualisierende Mystik, Chiliasmus und »philojudäi'sme« zu tiefgreifender
Toleranz und zur Glaubensaussage einer .restitutio omnium' (Apo-
katastasis pant n) verbinden konnten (vgl. dies.. De mystieke chiliast Petrus
Serrarius (1600-1669) en zijn wereld, Diss. Leiden 1987). - J.-R. Armoga-
tbe set/l in »Critique biblique et hermeneutique spirituelle. L'interpretation
pieUste de la Bible entre le Collegium Philobihlicum (1687) et le Collegium
Orientale (1702)« 16911.) wichtige Akzente der anstehenden Fragestellung
im Pietismus und seiner Hermeneutik (wobei die methodische Differenziertheit
in den verschiedenen Bereichen theol. Forschung im Pietismus
wohl weitreichender ist, als die Kürze des Beitrags erkennen lassen kann).
A. Ages verdeutlicht in »Les etudes bibliques de Bernard Lamy« (I83ff.).
er lebte 1640-1715, daß dieser unvoreingenommen einer zeitgeschichtlichen
Erforschung des Judentums methodisch den Weg eröffnete und zur
historisch-zeitgeschichtlichen Eruierung (wohl erstmals'.') 'soziologische'
Fragestellungen einbezog (190; vgl. ders., The Image of Jews and Judaism
in the Prelude to the French Enlightenment, 1986). - J. D. Woodbridge deutet
zentriert »Richard Simon als le 'pere de la critique biblique'« (I93ff.),
und B. E. Schwarzbach verweist in »Les sources rabbiniques de la critique
biblique de Richard Simon« (2()7ff.) auf dessen intensives Studium des
Judentums, spürt Denkkategorien des Maimonides in seinem Werk auf und
zeigt seine ihn dabei leitenden Prinzipien: »identification, elimination de
traits non significatifs, et reduetion du surnalurel« (228). - P. Marsauche
behandelt in »Präsentation de Dom Augustin Calmet (1672-1757). Dissertation
sur les Possessions du Demon« (233ff.) interessant (gleichwohl etwas
zu breit) die im Untertitel angeführte Problematik in Calmets und seines
Interpreten L.-E. Rondets Werk (bis hin zu medizingeschichtlichen Hinweisen
) und zeigt allgemein für die Epoche zutreffend: »La periode 1650-1750
est essentielle dans l'histoire des liaductions et des commentaires de l.i
Bible pour l'Eglise catholique de langue franc.aise« (233), doch J. Gres-
Gayer »Un theologien gallican et l'Ecriture sainte. Le 'Projet biblique' de
Louis Ellies Du Pin (1657-1719)« (255ff.) verdeutlicht am Einzelfall, in
welcher Klemme sich das Verhältnis von Glaube und wissenschaftlicher
Einsicht in der angegebenen Zeit befinden kann. - Wie gewichtig biblische
Bezüge im Denken Descartes sind, wird von V. Carraud in »Descartes et la
Bible« hervorgehoben (277ff.).

Im /weiten Teil »Traduire« werden verschiedene Übersetzungen
und Editionen der Bibel im 17. Jh. vorgestellt und teilweise
deren Auswirkung im allgemein geistig-religiösen wie
philosophischen Bereich bedacht:

J. Baumgarten charakterisiert zwei jiddische Ausgaben aus Amsterdam
(1676 und 1678) (297ff.), J. Deprun vertieft Ex 3,14 im Horizont auslegender
Bibelübersetzung in »Comment l'Etre supreme entre dans la Bible«
(3l5ff.), F. Delforge skizziert den Weg protestantischer Bibelausgaben in
französischer Sprache (325ff.) und damit einen auch kirchengeschichtlich
bedeutsamen Bereich. - Bibelgeschichtlich und geistesgeschichtlich wichtig
erweisen sich »Les grandes Etapes de la publication de la Bible catholique
en frani;ais du concile de Trente au XVIlIe siecle« (341 ff.), die B. Che-
dozeau unter Einbeziehung der Geschichte des Index und im Aufweis auch
mancher Krisen aspektreich darstellt. - J.-P. Dufour zeigt Weg und Wir-
kungsgeschichte der King James Bible (361 ff.), während M. Bastiaensen in
»Bible. missions et iranologie. Le cas du Gazophylacium« (375ff.) Hinweise
auf ein so bezeichnetes italienisch-persisches Lexikon im Dienste der
Mission gibt. - In einer umfangreichen Erörterung vermittelt J. de Proyart
in »La Bible slave« (38311.) lehrreich Stationen und Einzelheilen (auch
Übersetzungsbesonderheiten) der einschlägigen Bibelausgaben.

Im dritten Teil »Representer« wird die Aufnahme der Bibel
in Kunst und Kultur aufgezeigt:

A. Michel zeichnet in »La grandeur et l'huniilitd. La Bible dans
l'estetique litteraire en France« (425ff.) ein Bild voller Sublimität, wonach
in der Bibelauffassung und der einzelner biblischer Gestalten in der literarischen
Ästhetik Frankreichs Mystik und Barock sowie Zeiten und Personen
in biblischen Epochen ineinandergreifen. - Dem entsprechen, wie A. Mantel
» aufzeigt, je nach literarischer Gestaltung und Form »Recits bibliques et
poesie religieuse en France"« (455ff.). - Einen kurzen, aber wichtigen
Überblick über »Le drame en Allemagne« und der dazu anstehenden Diskussion
von der Reformationszeit an bis ins 17. Jh. bietet J.-M. Valentin
(481 ff.>, woran sich eine geraffte, aber aufschlußreiche Skizze von M. B.
Smits-Veldt zu »La Bible et le theatre aux Pay-Bas« anschließt (495ff.; freilich
zu knapp, um dem glanzvollen 17. Jh. der Niederlande unter dieser Fragestellung
voll gerecht zu werden; doch vgl. dies., 563ff. in ds. Bd.). -
Wichtig, weil es die Ausstrahlungskraft der behandelten Epoche zeigt, ist
der Bericht Uber »La Bible en Amerique iberique« von M.-C. Benassy-Ber-
ling (5()5ff.; mit Abbildungen). - Biblischen Motiven und ihrer Verllech
tung in der geistlichen Musik Englands geht G. Vernet in »La Bible et la
musique sacree en Angleterre« weitgefaßt nach (519ff.), mit Recht festhaltend
: »La relation entre Bible et musique sacree au XVIle siecle partieipait
en effet des paradoxes qui avaient marque les rapports de la Bible et de
l'histoire pendant la Reforme et la Conlre-RcTorme« (52.3f.). - Zwei Beiträge
mit zahlreichen Abbildungen zur Bibel in der darstellenden Kunst (vornehmlich
Holland) beschließen diesen Teil: P. Jansen. »Promenade biblique
dans Amsterdam« (535ff.) und »Iconographie, etablie par H. Comic«
(549ff. = kurze Kommentierung).

Der vierte Teil »Lire« gilt im weitesten Sinne der Auswirkung
der Bibel auf das mit ihr konfrontierte Kirchenvolk gemäß
dem vorangestellten Lied des Dichters und Juristen David