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Ausgabe:

1993

Spalte:

903

Autor/Hrsg.:

Otto, Eckart

Titel/Untertitel:

- 910 Die Tora in Israels Rechtsgeschichte 1993

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903

Theologische Literaturzeitung 118. Jahrgang 1993 Nr. 11

904

nung) und die sich in der Regel durch Knappheit und Aktualität
auszeichnen.

Dem deutschen Kirchenhistoriker mag allerdings auffallen,
daß in diesen Verzeichnissen vor allem in Band VI die französische
Literatur teilweise stark überwiegt, so daß z.B. wichtige
deutsche Titel nicht genannt sind; selbst in dem Kapitel über
den Papst und Kaiser im 14. Jh. ist das der Fall (607). Auch
wird bei Gelegenheit ein ins Französische übersetztes deutsches
Buch in der fremdsprachigen Ausgabe genannt (VI/705), wie
man auch dem Fall begegnet, daß ein deutscher Quellentext in
französischer Übersetzung zitiert wird (VIII/147). Das sind gewiß
Ausnahmen und Versehen, die jedoch die französische
Grundlage des Werkes durchscheinen lassen und die deutsche
Bearbeitung als begrenzt erweisen.

Es liegt mir freilich fern, dies nur als einen Mangel hinstellen
zu wollen. Im Gegenteil ist angesichts des hohen Standards der
französischen Historiographie in der Gegenwart die französische
Prägung dieser Kirchengeschichte auch ein interessantes
Merkmal, und man wird ohne Umschweife feststellen müssen,
daß die deutsche Geschichts- und Kirchengeschichtswissenschaft
ein so gediegenes, diszipliniertes und umfassendes Werk
heute nicht zustande brächte. Dessen bedeutendsten Vorzug,
das Bemühen um eine allseitige Erfassung des Lebens der Kirche
, darf man unmittelbar auf französische historische Mentalität
zurückführen. Allerdings wird man auch gewisse Defizite
des Werkes in diesem Zusammenhang zu sehen haben.

Vor allem fällt auf, daß diese Kirchengeschichte ein merkwürdig
gebrochenes (oder auch ungeklärtes) Verhältnis zur Theologie
hat. In den Bänden VI und VIII sind Entfaltungen theologischer
Lehren und Motivationen ziemlich rar, in Band XII dagegen
treten sie in der angedeuteten Weise massiv auf. Undeutlich
aber bleibt jeweils der Ort, den die Theologie im Leben der Kirche
und der Christen einnimmt, so wie auch einzelne bedeutende
Theologen, d.h. solche, die mit ihrem Denken Nachfolge zu finden
und Überzeugung zu schaffen vermochten, nur selten als solche
gewürdigt werden. Es bleibt abzuwarten, ob und wie diese
Eigenart des Werkes, die ich als Defizit empfinde und mit französischen
Wissenschaftsbedingungen im Zusammenhang sehe,
in den zukünftigen Bänden, in denen das Problem sich teilweise
noch sehr viel deutlicher stellen wird, sich etwa fortsetzt.

Daß mit der französischen auch eine gewisse katholische
Vorprägung des Werkes verbunden ist, dürfte in dem Referat

der Inhalte deutlich geworden sein. Freilich sind in dieser Hinsicht
nur sehr zurückhaltende Feststellungen erlaubt. Denn der
„ökumenische Fortschritt", den diese „katholische" Kirchengeschichte
mit sich bringt, ist ganz unverkennbar, und die Lobsprüche
der Werbung sind insoweit durchaus im Recht, was
einem etwa beim Vergleich des neuen Werkes mit dem doch
nur wenige Jahrzehnte älteren Handbuch von Jedin ins Auge
springt, das beispielsweise vom Dreißigjährigen Kriege an den
Protestantismus so gut wie gänzlich ignoriert hatte. Hier dagegen
wird er nicht nur reich dargestellt, und nicht minder - was für die
kirchenhistorische Erkenntnis fast noch beachtlicher sein dürfte -
die Kirchenwelt der Orthodoxie, sondern es sind auch evangelische
Autoren (Bernard Vogler und Marc Lienhard in Band VIII,
Bauherot und Meier in Band XII) prominent an der Abfassung,
ja Planung und Leitung des Ganzen beteiligt. So sind auch in diesem
Fall die Defizite zumeist eher nur an Einzelheiten oder
Äußerlichkeiten festzumachen - daß etwa in Band VIII ein
Schlüsselereignis wie die Bartholomäusnacht fast nicht vorkommt
(482), oder in Band XII die Baltischen Staaten HUT im
Blick auf den Katholizismus Erwähnung finden (884f.; 894).
Auch bedarf eine Behauptung wie die, das europäische Land mit
den wenigsten Scheiterhaufen für Ketzer und Hexen sei im 16.
Jh. Italien gewesen (VIII/573), sehr der Interpretation.

Mit besonderem Nachdruck ist die Sorgfalt hervorzuheben,
mit der die drei Bände gestaltet sind; Druckfehler sind selten,
ebenso sachliche Fehler oder offenkundige Übcrsetzungsmängel.
Nur in einem Bereich häufen sich die Unordentlichkeiten, im
Abbildungsteil des Bandes VIII; hier sind auf Seite 58 und 104
die Porträts von Bucer und Vermigli verwechselt, auf S. 195
erscheint Heinrich VII. für Heinrich VIII., auf S. 666 und bei S.
685 begegnet zweimal dasselbe Bild mit unterschiedlicher
Legende, das Porträt Karl V. auf S. 706 stammt von Seisenegger,
nicht von Tizian. Daß auf einer Karte in Band XII S. 897 Österreich
als im Zweiten Weltkrieg von den Achsenmächten beset/t
dargestellt ist, darf man eher als Kuriosität buchen.

Ich beschließe den langen Bericht mit einem kurzen Fazit:
Diese neue Kirchengeschichte ist ein bemerkenswertes Werk
(oder verspricht, es zu werden). Sie erfreut, belehrt und bereichert
auch den sachverständigen Leser häufig und ärgert ihn nur
gelegentlich. Die kulturgeschichtliche Wende, die die Werbung
vom Erscheinen des Werkes erwartet, wird möglicherweise ausbleiben
.

Eckart Otto
Die Tora in Israels Rechtsgeschichte*

Die wissenschaftliche Beschäftigung mit den altorientalischen
und somit auch den biblischen Rechten hat in den letzten
Jahren eine deutliche Intensivierung erfahren. Daher ist es naheliegend
, in einer Rechtsgeschichte den Syntheseversuch zu
wagen. Frank Crüsemann, Professor für Altes Testament an der
Kirchlichen Hochschule Bethel (Bielefeld), legt in seinem Buch
„Die Tora. Theologie und Sozialgeschichte des alttestamentli-
chen Gesetzes"* eine solche Synthese für das israelitische Recht
vor. Ihm geht es aber bei seinem Vorhaben gerade nicht um eine
Bündelung von Ergebnissen, die in den letzten Jahren auf einzelnen
Feldern der israelitischen und altorientalischen Rechtsgeschichte
erzielt worden sind. Dem Vf. „erwies sich der Trend
zu immer stärkerer Spezialisierung der Forschung, wie er für
das atl. Recht in den letzten Jahren massiv einsetzte, als ambivalent
und teilweise kontraproduktiv" (Vorwort), so daß er auf die
Ergebnisse der Spezialuntersuchungen weithin verzichtet, sie
unberücksichtigt läßt oder ablehnt und durch eigene Thesen ersetzt
. Dann aber ergibt sich die Schwierigkeit, in einer Überblicksdarstellung
Thesen angemessen zu begründen. Zumal,
wenn man in Rechnung stellt, daß der Vf. keine Darstellung nur
für den Leser des Faches, sondern für den theologisch Interessierten
„außerhalb der Mauern der Fachwissenschaft" schreiben
will und sein Interesse, wie das Eingangskapitel zeigt, primär
kein nur rechtshistorisches, sondern „theologisches" ist, nämlich
eine Form „evangelischer Halacha" zu finden, die die Engführungen
im Gesetzesbegriff der reformatorischen Kirchen
überwinden soll.

Die Arbeit setzt mit der These ein, die Verbindung von Gottesrecht
und Gottesberg Sinai sei erst nachprieslcrschriftlich in den
tcronomistischer (dtr) Theologie vollzogen worden. Ohne die
Sinaiüberlieferung eingehender zu untersuchen, kommt der

* Crüsemann, Frank: Die Tora: Theologie und Sozialgeschichte det all
testamentlichen Gesetzes. München: Maiser 1992. IX, 496 S. gr.tk). Kart.
DM 79,-. ISBN 3-459-01953-0.