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Ausgabe:

1993

Spalte:

67-68

Kategorie:

Praktische Theologie

Autor/Hrsg.:

Fuchs, Gotthard

Titel/Untertitel:

Scheitern und Glauben 1993

Rezensent:

Piper, Hans-Christoph

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Seite 1

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67

Theologische Literaturzeitung 118. Jahrgang 1993 Nr. 1

68

auf die Autorität der Offenbarung („christologische Begründung
") sind ins Wanken geraten. Das dokumentiert der II. Beitrag
eindrucksvoll, der an J. Habermas und W. Schulz die philosophische
Suche nach einer nachtraditionalen Moral veranschaulicht
, von einem „Pragmatismus im christlichen Sinnzusammenhang
" (37) und von der Aufgabe einer Kultursynthese
(58) spricht. Dieser Überblick stellt disparate Ansätze dar, welche
belegen, daß es derzeit keine gemeinsame, allgemein anerkannte
Grundlegung evangelischer Ethik mehr gibt. Ringeling
nennt dies treffend „offene Identität". Sollte dies also „postmodern
" sein? Oder ist der neue Titel des Beitrags „Wege in eine
,postmoderne' Moral" nur Verweis auf das Ende einer Moderne
, also Zeitdiagnose, aber noch kein Aufweis eines neuen
Weges?

Die Stärke der Beiträge R.s liegt in der Analyse von Fragestellungen
und Problemen. Der Bezug auf theologische Kriterien
bleibt weiterhin offen; das Leitmotiv lautet, im Anschluß an T.
Rendtorff, „Realisierung der Freiheit". Die instruktiven, zum
Teil an entlegenen Orten publizierten Aufsätze sind dankenswerterweise
in diesem Sammelband zugänglicher geworden.

Bonn Martin Honecker

der Tat kann Gott und sein Geist auch scheitern: aber dann
eben an menschlicher Hartherzigkeit und Verblendung (62).

Auch die Kirche kann scheitern, nämlich dort, wo sie in die
Irre geht (86), und ich kann an der Kirche scheitern: „Daß man
mir nicht zuhört, weil man auf meine Äußerung keinen Wert
legt, das ist wohl die häufigste Scheiternserfahrung, gerade in
der Kirche" (80).

Das Ganze läuft dann auf die Frage hinaus: „Ob Glaubende
auch ihr Scheitern als Gnade erfahren können" (98). Und wenn
dann Gescheiterte ihre Erfahrungen einbringen: „ist es da
gerechtfertigt - oder auch nur realistisch , den, der einem so
begegnet, als Scheiternden, als gescheiterte Existenz anzusehen
?" Damit ist die Absicht der Vff., dem Leser und der Leserin
den ganzen Ernst unausweichlichen Scheiterns vor Augen
zu f ühren, selbst gescheitert.

Unklare Diktion, ermüdende Redundanz, Serien von rhetorischen
Fragen irritieren die „nachdenklichen Leserinnen und
Leser", welche die Autoren vor Augen haben (9). Die Formulierung
: „der gekreuzigte Auferstandene" (101) hätte ihnen der
Verlagslektor nicht durchgehen lassen dürfen.

Hannover Hans-Christoph Piper

Praktische Theologie:
Seelsorge/Psychologie

Fuchs, Gotthard, u. Jürgen Werbick: Scheitern und Glauben.

Vom christlichen Umgang mit Niederlagen. Freiburg-Basel-
Wien: Herder 1991. 141 S. 8°. Kart. DM 19,80-. ISBN 3-
451-22425-9.

Die Autoren haben Leser vor Augen, „die sich auch den
.Brucherfahrungen' des alltäglichen Lebens wie den Grund-
aporien der Gegenwart im Lichte des christlichen Glaubens zu
stellen wagen"(9). Das Buch umfaßt vier Kapitel: I. Vom christlichen
Umgang mit Niederlagen, II. Gott und das Scheitern, III.
Scheitert die Kirche?, IV. Der verwundete Arzt. Für eine pa-
rakletische Praxis der Kirche.

Was verstehen die Vff. unter dem Begriff „Scheitern"? Da
werden in dem schmalen Bändchen derartig viele und divergierende
Phänomene und Erfahrungen angesprochen - angefangen
bei „abgebrochenen Beziehungen" bis hin zu den „zwei Drit-
tel(n) der Welt", „die wirtschaftlich und sozial vor sich hin
scheitern" (sie! 121), daß dem Leser und der Leserin eine Ori-
entierung schwerfallen dürfte. Dabei fällt auf, daß der Aspekt
des Tragischen, der mit dem Begriff des Scheiterns verknüpft
ist. nur sehr beiläufig berührt wird, nämlich mit dem Hinweis
auf Sisyphus (25f), freilich mit der Variante, daß der Felsbrocken
allmählich zu einem Kieselstein abgenutzt ist. Vier
Möglichkeiten, Erfahrungen des Scheiterns zu meiden und zu
verdrängen, die „ebenso der menschlichen Vernunft wie dem
christlichen Glauben widersprechen", werden aufgezählt (310-
„Kann Gott scheitern? Die Bibel antwortet unbekümmert (sie!)
mit Ja" (43). Gemeint ist dann aber: Er ist ein „Gott - voller
Einfühlung und Mitleiden, voller Empathie und Sympathie,
durch und durch mitbetroffen und in Mitleidenschaft gezogen
von der Not seines Volkes" (45). Hier ist dann auch erstmals
von den später noch häufig zitierten „Gnaden (sie!) des Nullpunktes
" die Rede. „Und noch, wagen wir es zu sagen, bis in
Auschwitz ist dieser Gott da: In Auschwitz und Dachau wurde
zu ihm gebetet, wurde zu ihm geklagt, wurde er angeklagt,
wurde er als Klagemauer wahrgenommen und glaubhaft" (45).
Keine Rede von dem fernen Gott, dem Deus absconditus! In

Pirich, Gustav: Franz Giftschütz (1748-1788) - der erste Wiener
Pastoraltheologe. Theologische Grundlinien in Leben
und Werk unter dem Einfluß des Jansenismus, der katholischen
Aufklärung und des Ultramontanismus. Würzburg: Seelsorge
/Echter 1992. 320 S. gr.8° = Studien zur Theologie und
Praxis der Seelsorge, 9. Kart. DM 48,-. ISBN 3-429-01420-4.

Den reichen Schatz der Geschichte zu heben ist auch für die
Pastoraltheologie unerläßlich. So ist es verdienstlich, daß sich
Gustav Pirich als Thema seiner Dissertation die Erkundung
eines der großen Männer des Anfangs der Pastoralthcologie als
Universitätsdisziplin gewählt hat: nämlich Franz Giftschütz. Et
war der erste Lehrstuhlinhaber dieses Faches an der Universität
Wien, an der durch die Theresianische Studienreform das l ach
Pastoraltheologie 1777 eingeführt worden war.

P. bringt dem Leser diesen großen Pastoraltheologen Wiens
in einer sehr anregenden Weise nahe, wobei seine Arbeit - was
bei Doktorarbeiten leider nicht immer der Fall ist - auch in der
Präsentation logisch und in der Sprache einleuchtend ist. Gekonnt
verflicht er die Lebensgeschichte von Franz Giftschütz
mit dem Enstehen seines Lehrbuchs - das erste, das in den k.k.
Erblanden zum universitären Unterricht offiziell vorgeschrieben
worden war. Sehr solid arbeitet P. auch den geistigen und
politischen Kontext dieser Pastoralthcologie auf, wobei er mehrere
Strömungen, die einander teils stützten, teils bekämpften
erörtert. Die jansenistisch-rigoristische und zugleich antijesuitische
Tradition, der Giftschütz selbst als Seelsorger zunächst
uneingeschränkt, später hingegen nur noch in abgeschwächter
Weise zugewandt war; die Aufklärung, deren Maximen für den
Entwurf seiner Pastoraltheologie weithin leitend waren (weshalb
Glückseligkeit, Belehrung und Besserung zentrale Begriffe
sind); den von den Ultramontanen bekämpften dezentralen
Febronianismus. der dem Slaal der Kirche gegenüber einen
Vorrang einzuräumen geneigt war - eine Strömung, die vom
staatskirchlichen Absolutismus zur Grundlage seiner Kirchenpolitik
gemacht worden ist. Giftschütz integriert - gleichfalls
Erbe der Aufklärung - in sehr toleranter Weise auch Ideen protestantischer
Pastoraltheologen, bei denen er insbesondere bezüglich
des „Amtes des Wortes" in die Schule gehen konnte.

Wortverkündigung und Liturgie sind für Giftschütz die beiden
großen Bereiche, für die er die Pastoraltheologie des Anfangs
zuständig macht, und das ganz im Gefolge der „Tabella-