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Ausgabe:

1993

Spalte:

878-879

Kategorie:

Ökumenik, Konfessionskunde

Autor/Hrsg.:

Künkel, Christoph

Titel/Untertitel:

Totus Christus 1993

Rezensent:

Onasch, Konrad

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Seite 1, Seite 2

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Theologische Literaturzeitung 1 18. Jahrgang 1993 Nr. 10

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zeichnet sich durch die hervorragende Sachkenntnis aus, die
nicht nur den Touristen, sondern auch den Fachmann manches
lernen bzw. neu sehen läßt. Dabei läßt sich der Vf. von dem
Gedanken leiten, daß das Erleben der Verehrung der Heiligen in
ihrer lokalen Geschichte den Herzpunkt des jeweiligen Insellebens
berührt: Geschichte der Kirche fixierte sich im Osten,
sutcrn sie nicht Chronik im Rahmen Eusebianischer Reichstheologie
war, von vornherein in den Viten der Heiligen. Es entstand
,eine liturgische Kirchengeschichte in Hymnen'... Geschichte,
so bewahrt, blieb Eigentum der ganzen feiernden Gemeinde. Die
Anteilnahme schrumpfte nicht auf eine Gruppe historisch gebildeter
Spezialisten zusammen" (2 f.).

Behandelt werden neun Inselbereiche: Euböa, Zykladen, Do-
dekanea, Ägäische Inseln, Zypern, Kreta, Inseln des Saroni-
schen Meerbusens, Jonische Inseln sowie Sizilien. Beim Darlegen
der jeweiligen Heiligenüberlieferung anhand der Viten und
gottesdienstlichen Hymnen hat Heyer bewußt auf eine kritische
Scheidung von Geschichte und Legende verzichtet, „weil die
Orthodoxie selber nicht in eine Phase des kritischen Denkens
eingetreten ist. Der Leser aus dem Westen wird selbst merken,
wieweit er mit gutem Gewissen der Historizität des Berichteten
vertrauen darf und wo er sein Mißtrauen zu mobilisieren hat.
Gebildete Orthodoxe sind sich dessen bewußt, daß ihre Heili-
genviten legendäre Züge aufweisen, dies ihrem Glauben aber
nicht schadet. Sie übersetzen das historisch Anzweifelbare ins
Symbolische." (3)

Doch gelingt es Heyer, durch die Einordnung von Frömmigkeitsdarstellungen
in das historische Umfeld Leben, Wirken und
Bedeutung der behandelten Gestalten zu verlebendigen. So erlebt
der Leser gleichsam Episoden aus dem byzantinischen
Reich, auch am Kaiserhof, widersprüchliche Anliegen von Ost-
und Westkirche, Folgen der Kreuzzüge, Herrschaft von Arabern
und Osmanen, äußerlich vollzogene Konversion ganzer orthodoxer
Dörfer zum Islam bis hin zum Schicksal von Neo-Märtyrern
der Befreiungsbewegung im 19. Jh. Für Sizilien verbindet
sich dies mit Momenten des Neuerblühens unter der Normannenherrschaft
sowie mit Hinweisen auf albanische Traditionen.

Es ergibt sich eine Vielfalt von Bezügen. Auf Euböa entstand
für den 1730 gestorbenen Johannes „den Russen" zwischen 1930
und 1951 ein neuer Wallfahrtsort der Kirche von Hellas, um
„einem Heiligen zu danken, der, Nationengrenzen überschreitend
und Trennmeere zwischen Kontinenten überbrückend, das Allverbindende
der Orthodoxie zum Ausdruck bringt" (10). Mit der
Zykladeninsel Paros verbindet sich die Legende von der Gottesmutter
Zoodochos Pighi (lebendige Quelle), die in der Ikonographie
weite Verbreitung gefunden hat. Plastisch geschildert werden
die Folgen des 4. Kreuzzuges, das Verhältnis der Venezianer
zur Orthodoxie, ein halbes Jahrtausend katholischen Einflusses
mit der Jesuitenniederlassung auf Naxos. Der Leser wird vertraut
gemacht mit den verschiedenen Frömmigkeitsbewegungen und
deren Auswirkungen auf die Orthodoxie: z.B. der Kollyvades,
oder dem mit dem Wirken des Nikodemos Hagioritis sowie der
Athosmönche verbundenen Streit um die „häufige Kommunion",
an den die moderne eucharistische Bewegung der Zoi anknüpfen
konnte. Erwähnt seien ferner die in Zusammenhang mit dem
Evangelismos-Kloster auf Patmos gemachten Ausführungen zur
über Liturgie und hesychastisches Gebet hinausgehenden, an altkirchliche
Traditionen anknüpfenden Wahrnehmung karitativer
Aufgaben seit dem Ende des 2. Weltkrieges.

Somit erweist sieh dieses Buch in der Behandlung lokaler
Gegebenheiten als instruktiver, die üblichen kirchen- und theologiegeschichtlichen
Werke ergänzender Beitrag zur Geschichte
und Spiritualität des Mönchtums sowie zum Verständnis orthodoxer
Kirchlichkeit. Das Literaturverzeichnis benennt u.a. eine
große Anzahl weiterführender griechischer Literatur

Berlin Hans-Dieter Döpmann

Künkel, Christoph: Totus Christus. Die Theologie Georges
V. Florovskys. Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht 1991. 469
S. gr.8° = Forschungen zur syst. u. ökum. Theologie, 62. Kart.
DM 98,-. ISBN 3-525-56269-1.

Die umfangreiche Arbeit beschäftigt sich mit einem der
bedeutendsten orthodoxen Theologen der Gegenwart: Georges
Florovsky. Künkel bezeichnet ihn ein wenig übertrieben - jedenfalls
was die protestantische Theologie anbetrifft - als wegen
seiner zuweilen auch ungerechten Kritik „gefürchteten Denker"
(5). Hingegen ist es richtig, wenn er gleichzeitig feststellt: „Mit
großer Klarheit stellte er seiner eigenen Kirche und den Kirchen
der Ökumene Fragen, die bis heute auf ihre Beantwortung warten
".

In vier Großabschnitten mit insgesamt 11 Kapiteln und zahlreichen
Unterkapiteln hat der Vf. den immensen Stoff bewältigt.
I. Ziel, Methode und Ansatz der Untersuchung (11-27) entfaltet
die Prinzipien einer „werkimmanenten Interpretation", die angesichts
der Tatsache, daß „Florovsky selbst seine Gedanken nicht
geschlossen präsentiert" (23), ihre besonderen Fragen aufwirft.
Deren Lösung sieht K. darin, nur Florovsky selbst zu Worte
kommen zu lassen und darauf zu verzichten, „Gedankengänge,
die Florovsky selbst nicht entwickelt hat, gleichsam kongenial
einzufügen" (26). Daß dabei im Effekt ein punktmäßig abgehandeltes
Referat geworden ist, liegt in der Natur der Sache und
sollte eher als Leistung K.s gewertet werden. Das 2. Kap. dieses
Abschnittes begleitet Florovsky auf seinem Weg von Odessa
über Prag bis nach Harvard, ein Leben, das K. mit „Wirken für
die Identität der Orthodoxie"(91) umschreibt. Den systematischen
Ausgangspunkt der Theologie Florovskys charakterisiert
der Vf. dahingehend, daß es bei ihm „keine Aussagen über die
im Westen klassischen Fragen nach der Sagbarkeit und Denkbarkeit
Gottes" gibt, sondern daß er von Gott, Offenbarung und
Kirche „als von Realitäten" ausgeht (106). Dieses „prolego-
menalose Denken" ist wichtig für das Grundverständnis der
Theologie Florovskys, in der Offenbarung und religiöse Erfahrung
eine Einheit bilden.

Der II. Hauptteil: Die Offenbarung in Christus als Grundlage
der Theologie (109-276) geht aus von der Interpretation des
Chalzedonense durch den russischen Theologen, dessen doxolo-
gischer Charakter an anderer Stelle herausgestellt wird (404).
Aus der nahezu erdrückenden Fülle von Einzelbeobachtungen
soll hier nur auf das hingewiesen werden, was K. die aus der
inneren Ablehnung der „Satisfaktionstheorie Anselmscher Prägung
" zu verstehende „asymmetrische Christologie" Florovskys
beschreibt (145), „daß am Kreuz kein Mensch starb, sondern
Gott in seiner Menschheit". Einer gewissen Selbstsicherheit Florovskys
könnte man entgegenhalten, daß die Kirchenväter gegenüber
der Tatsache der „derelictio" Christi am Kreuz nur eine
„ausweichende Exegese" (W. Eiert) zur Verfügung hatten. Das
von K. in diesem Abschnitt penibel ausgebreitete Material sollte
Ausgangspunkt einer gründlichen protestantischen fruchtbaren
Kritik sowohl an Florovskys Christologie wie auch an seiner
Ekklesiologie sein. Angesichts der hier aufgezeigten Differenziertheit
der Aussagen wird das kein leichtes Unterfangen sein.
Das gilt nicht zuletzt hinsichtlich des „neopatristischen Programms
" mit seinen konstitutiven Elementen „Patristik, Katho-
lizität, Historismus und Hellenismus" (275), wobei immer wieder
Florovskys konkrete Frömmigkeit nicht übersehen werden
sollte. Wenn ich richtig sehe und K.s Referat verstanden habe,
ist diese „neopatristische Synthese" nichts anderes als eine, zugestanden
faszinierende Aktualisierung der „transfiguratio"-
Theologie und -Christologie der Ostkirche, diesem großartigen
alternativen Entwurf zu den Kategorien der ,justificatio" Augu-
stins und der beiden „westlichen" Kirchen.

///. Heilsgeschichte im Zeichen der Christusoffenbarung (277-
397) behandelt die Schöpfungslehre, die Anthropologie („Sünde