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Ausgabe:

1993

Spalte:

872-874

Kategorie:

Praktische Theologie

Autor/Hrsg.:

Thomé, Hans Erich

Titel/Untertitel:

Gottesdienst frei Haus? 1993

Rezensent:

Meier-Reutti, Gerhard

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Theologische Literaturzeitung 118. Jahrgang 1993 Nr. 10

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Der vorliegende Band stellt ein erstaunliches Bemühen vor
Augen, das gelungen ist. Ein Hochschullehrer schreibt ein in die
Erneuerungspraxis des einzelnen Christen und der Kirche weisendes
Buch, das auch der Nichttheologe als gut verständliches
Arbeitsbuch für die Praxis verwenden kann. Und doch ist es in
seinen Aussagen in intensiver Weise theologisch gefüllt - dabei
immer orientiert am biblischen Wort. Außerdem sind die Seminarabschnitte
in ihrem Aufbau in guter geistlicher Weise praktisch
-pädagogisch gegliedert. Dabei hebt der Autor Kernsätze
und zusammenfassende Aussagen deutlich im Druck hervor, so
daß der Benutzer dieses Arbeitsbuches auch die Möglichkeit hat,
sich von diesem Konzentrat her das Entscheidende einprägsam
und in Überschau vor Augen zu führen oder wieder neu ins
Gedächtnis zu rufen.

M. will mit diesem Arbeitsbuch wegführen vom isolierten
Dienst des Pfarrers und will Gemeindegliedern zu geistlicher
Entschiedenheit und Mündigkeit, zur Beheimatung in der
Gemeinschaft auch von Hauskreisen und Bibelkreisen und zum
Multiplizieren des Glaubens im gelebten Alltag und in gemeinsamen
Diensten, z.B. durch Aktionsgruppen, führen.

M. schreibt als Katholik, aber er betont, daß der Erfahrungshorizont
für dieses Glaubensseminar in der Zusammenarbeit so-wohl
mit katholischen als auch evangelischen Pfarrern liegt und das
Buch mit von einem vielfachen Austausch mit Studenten, Professoren
, Gemeindegliedern, Angehörigen von Orden usw. beeinflußt
ist. M. geht in seinen Darlegungen in bestimmten Bereichen auch
auf das evangelische Verständnis von Glaubensaussagen ein (z.B.
ausführlich bei der Beichte, 146ff). Auch wenn häufig offizielle
katholische Quellen zitiert werden, führt der Autor doch den
Seminarteilnehmer oder Leser immer wieder auf die Aussagen der
Bibel zurück und gibt von diesen her in didaktisch hilfreicher Weise
Wegweisungen, Klärungen und Ermutigung.

Im vorliegenden Buch wird die Überzeugung vertreten, daß
es angesichts der herkömmlichen kirchlichen Situation über die
Kindertaufe und auch die Firmung (bzw. Konfirmation) hinaus
zu einer bewußten Annahme der in der Taufe geschenkten Gnade
kommen muß. Für M. geht die für ihn so wichtige „Neu-
Evangelisierung" davon aus, „daß Gott das Herz des Getauften
schon berührt und ihm eine neue gnadenhafte Freiheit geschenkt
hat" (23). Die Neu-Evangelisierung zielt auf die „Hinführung
zur erneuten und vertieften Annahme der schon empfangenen
Taufgnade" (20). Über die einzelnen Verstehens- und
Lebensschritte will das Seminar die Teilnehmer zu einem klaren
Glaubensschritt führen. M. spricht von der „leibhaften Antwort
des Glaubens" und bettet dieses Geschehen ein in die „Feier
der Umkehrliturgie" (2421T), die einen bewußten Vollzug
von Umkehr und Hingabe beinhaltet.

Hinter allem Dargelegten spürt man nicht nur Sachkunde,
sondern eine reiche praxisorientierte spirituelle Erfahrung und
das brennende Verlangen nach einem geistlichen Neuwerden
der Kirche über den Weg des geistlichen Neuwerdens von Menschen
. Und das alles bleibt nicht einzelnen persönlichen Erlebnissen
, Führungen und Einflüssen überlassen, sondern wird als
ein systematischer, geistlich-dynamischer Weg in den Gemeinden
angeboten. Menschen werden geistlich ermutigend und aufbauend
an die Hand genommen und empfangen dabei in fundierter
Weise Glaubenslehre. Dieser Weg schließt auch das
Aufarbeiten von Vergangenem, von Erlebtem, von Belastungen
und Verletzungen, er schließt innere Heilungsprozesse, die Einbindung
in lebendige Glaubensgemeinschaft und die Zurüstung
zum Artikulieren des Glaubens ein. Die Stichworte auf diesem
Weg heißen hier bei M. in den ersten neun Wochen des Seminars
: Sinnerfahrung in Gemeinschaft; Begegnung mit dem
lebendigen Gott; Befreiung und Heilung; Feier der Versöhnung;
Jesus Christus - der einzige Zeuge Gottes; Kirche als Ort des
Geistes; „Ihr werdet meine Zeugen sein"; Feier der Umkehrliturgie
; Ausblick. Sehr offen und ermutigend gehl M. dabei auch

auf das Wirken des Heiligen Geistes und das Entdecken der
Gaben des Geistes, ihre Entfaltung und ihr Wirken ein.

Alles in diesem Handbuch Gesagte will Lehrgrundlage und
Hilfe zu einem geistlichen Weg miteinander sein - das ist vor
allem die Intention des Autors, aber es kann auch für den einzelnen
in einem zu Gott hin offenen Nachdenken eine geistliche
Therapie sein, die ihn zur Mitte des Glaubens, zur Freude des
Evangeliums, zur Erfüllung und Sinnfindung im Blick auf das
eigene Leben und zu gegründeter eschatologischer Hoffnung
führen will.

Das Buch bildet in seiner Weise einen Grundkurs des Glaubens
an, aber nicht nur mit dem Ziel einer intellektuellen
Akzeptanz, sondern eben als "Einübung in christliches Leben
und Zeugnis" als ein Sich-hinein-nehmen-lassen in den Strom
der Zuwendung und Liebe Gottes, in die Freude des Evangeliums
und die Sendung im Strom der missio Dei. Es weist uns in
Hinsicht auf die konfessionellen Unterschiede zuerst auf das
Gemeinsame hin - und das bedeutet für uns heute in einem
mehr und mehr sich entchristlichenden und von anderen geistigen
Mächten beeinflußten Land eine notwendige und helfende
Grundrichtung des Denkens und des Glaubensvollzugs.

Hohen Neuendorf b. Berlin Paul Toaspern

Thome, Hans Erich: Gottesdienst frei Haus? Fernsehübertragungen
von Gottesdiensten. Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht
1991. 300 S. gr.8o. Kart. DM 38,-. ISBN 3-525-60374-6.

Man muß heute scheinbar nicht mehr in die Kirche gehen, um
an Gottesdiensten teilzunehmen. „Die Zahl der Menschen, die
den Übertragungen von Gottesdiensten in Hörfunk und Fernsehen
zuhören oder zuschauen, ist inzwischen größer als die Zahl
der Gottesdienstbesucher." (5) Mit diesen Worten beschreibt der
Vf. einen Tatbestand, der von Gemeindepfarrern und -pfarrerinnen
als entmutigende Konkurrenz aufgefaßt, aber auch so interpretiert
werden könnte, daß „Kirche" im Zeitalter der Massenmedien
eben nicht nur an denjenigen gemessen werden darf, die
sonntags den Weg in die Gotteshäuser noch finden. Ist der medial
vermittelte Gottesdienst jedoch die Alternative, wenn die
primäre gottesdienstliche Kommunikation weithin nur mehr von
einem prozentual geringen Anteil der christlichen Bevölkerung
wahrgenommen wird? Die gesteigerte Übertragungspraxis der
letzten Jahre scheint dafür zu sprechen, daß die Kirchen die
Flucht in diese Richtung antreten. Oder lassen sie sich lediglich
unreflektiert bzw. aus Proporzgründen auf ein Angebot ein, das
implizieren könnte, daß attraktivere Sendeplätze und andere Sendeformen
kirchlichen Programmbeiträgen vorenthalten werden?

Die vorliegende Untersuchung trifft in eine aktuelle Situation
. Sie ist ein notwendiger und willkommener Beitrag zur Problematik
der Fernsehübertragung von Gottesdiensten wie kirchlicher
Fenseharbeit überhaupt. Es geht um die Frage, ob Übertragungen
den interpersonalen Gottesdienst ersetzen oder dessen
wesentliche Elemente auf der Strecke lassen. Der Vf. unternimmt
den Versuch, „die demoskopischen, medientheoretischen
und theologischen Sachverhalte" darzustellen, „um sie
dann zu einer Theorie der Praxis von Gottesdienstübertragungen
im Fernsehen zusammenzuzfügen." (5)

Teil I (15-86) breitet die Geschichte der Gottesdienstübertragungen
im Fernsehen sowie die Theorien der Übertragungspraxis
aus und lenkt den Blick auf die Zuschauer. Man muß sich
heute daran erinnern lassen, daß anfangs Fernsehübertragungen
von Gottesdiensten aus optischen Gründen nicht vorgesehen
waren. Dann setzten sie sich aufgrund pragmatischer Erfahrungen
doch durch. Man wollte aber von der Zahl und vom Sendeplatz
her nicht in Konkurrenz zu den Gemeindegottesdiensten
geraten. Das Fernsehen als Medium des Bildes verlockte zur Ent-