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1993

Kategorie:

Systematische Theologie: Dogmatik

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Theologische Literaturzeitung 118. Jahrgang 1993 Nr. 10

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schmiedet." (90) Und so interessieren den Autor auch im Neuen
Testament nur die „Lebensspuren Jesu", die auch schon im
Alten Testament zu erkennen waren und die sich in der Kirche
wieder entdecken lassen.

Auffallig, daß zum Schluß des vierten Kapitels bei der Auslegung
des Vaterunsers die Brotbitte als die „Drehachse" des Gebets
bezeichnet wird, daß der Autor das indianische Geschenksystem
des „Potlach" zur Interpretation heranzieht und daß sein
Fazit lautet: „Das Selbstinterpretationsmodell der Frauen und
der jüngeren Geschwister im Sippen verband hat uns jetzt in den
Bereich der sozialen Begegnungen, der Freundschaft und in die
Lebenswelt der Familie geführt." (126) Die Botschaft Jesu ist
also (nur) der Appell an die geschwisterliche Solidarität. Die
Theologische Hermeneutik predigt nur das Gesetz.

Das fünfte Kapitel „Hermeneutik unterwegs" zieht die begonnene
Linie aus in die Geschichte der Urkirche. Sprachlich fällt
hier besonders der unkonventionelle Sprachstil des Autors auf.
Seine Kritik an der Frauenfeindlichkeit des Apostels Paulus
„verdichtet" er in ein „Mhm". (139) Mancher Leserin wird das
als Einwand nicht genügen. In diesem Abschnitt weist der Autor
nun immer wieder auf „Medien" hin und bereitet damit ein späteres
Medienkapitel vor, wenngleich damit der Untertitel des
Buches widerlegt wird. Nach N. gibt es keinen zeitlichen Ablauf
von den Mythen zu den Medien. Die gab es zeitgleich schon am
Anfang. Gemeint sind hier aber nun nicht Medien im Sinn der
heutigen medienpolistischen Diskussion, also nicht nur Briefe
der Apostel oder Schriften der Kirchenväter, sondern auch der
Körper des Apostels selbst oder das Herrenmahl. Das Ergebnis
dieses Kapitels ist die Erkenntnis von der fraktalen Struktur der
christlichen Tradition. Im kleinen Bruchteil ist immer die Art
des Ganzen präsent. „Die Kontinuität der Muster wird gewährleistet
durch eine nicht abreißende Kette von Grenzüberschreitungen
nach dem Vorbild Jesu." (166)

Das sechste Kapitel „Chartres lesen" versucht, das alles auch
an dem Bauwerk einer Kathedrale zu bewähren. Das ist ein
Exkurs, der nur Kenner dieses Gebäudes interessieren wird.

Im siebten Kapitel „Religiöse Orientierungsmuster in der Moderne
" werden die verschiedensten Lebensäußerungen der
Gegenwart herangezogen, Literatur, Filme, Fantasy-Geschichte,
New-Age-Bewegung, und in ihnen nach den Lebensspuren Jesu
gesucht. (241) Die Frage wird vorsichtig bejaht.

Und das achte Kapitel „Theologische Hermeneutik in der
Postmoderne" soll alles bilanzieren. Zuerst geht es um die
Dekonstruktion Hermeneutischer Theologie. Dazu werden die
Gedanken vom Anfang des Buches aufgenommen. Dabei formuliert
der Autor jetzt deutlicher (und fragwürdiger), wenn er
z.B. fordert, „der Postmoderne den Mythos von Jesus Christus
so zu erzählen, daß seine Wahrheit erfahrbar wird". Und es geht
ihm um „die welterschließende Funktion des christlichen Mythos
von Jesus als dem Christus", die „ethisch wirksam" werden
soll.(258)

In einem zweiten Gedankengang wird eine theologische Medienhermeneutik
angeboten. Leider ist die Fachkenntnis des
Autors im Medienbereich offensichtlich dürftig. Der Medienbegriff
Nethöfels ist so verschwommen wie sein Mythosbegriff.
Und daß er Neil Postmans Medien-Moral-Predigten reproduziert,
paßt zu dem säuerlichen Moralismus, der sein ganzes Buch
durchzieht. (269) N. scheint die Diskussion um Postman nicht zu
kennen. Und wenn er feststellt „Medien bestimmen das theologische
Paradigma" (273), um sich dann den Kopf zu zerbrechen
über das Ende des Leitmediums Buch, dann paßt das einmal nicht
zu seiner eigenen früheren Verwendung des Medienbegriffs, und
außerdem beweist es wiederum die Unkenntnis der Fachdiskussion
über das Nebeneinander und die Komplementarität verschiedener
Medien. Es ist doch einfach nicht richtig, daß „durch die
Schrift die Face-to-face-Überlieferung als mythisch und abergläubisch
verdrängt und denunziert wird". (273)

Das Buch Nethöfels ist ein hochinteressanter Versuch, die
Sache mit Gott in der Sprache der Semiotik zu vertreten. Der
Autor hat sich (und seinen Lesern) damit viel Mühe gemacht.
Sympathisch, daß er selber nur von einer „relativen Berechtigung
der modernen semiotischen Unterscheidungen" spricht
(272). Zwingend ist es nicht, diesen Versuchen zu folgen. Aber
ohne Gefahren ist dieser Weg auch nicht. Das zeigt sich besonders
im zweiten Anhang von Michael Biehl. Nachdem in einem
ersten Anhang N. selber „Notizen zur Geschichte der Hermeneutik
" gemacht hat, versucht Biehl „Strukturalismus und Strukturale
Analyse" zu erklären. Da gibt er viele hilfreiche Literaturhinweise
und Begriffserklärungen. Aber er schreibt auch einen
verräterischen Satz. Um einen Text, z.B. ein Märchen, struktural
analysieren zu können, muß man ihn zuerst „normalisieren",
also auf einem semiotischen Prokrustesbett so dehnen oder stauchen
, daß er verwendbar wird. (314) Das soll an der Geschichte
von der Hure Rahab demonstriert werden. (Josua 2) Das muß
man schon, um es zu glauben, in allen Stufen nachlesen, wie
hier ein Text solange „wissenschaftlich" bearbeitet wird, bis er
hergibt, was gewünscht wird:

„Bedenken wir noch einmal die Standardinterpretation des
Aktanten-Modells, die Adressant, Adjuvant und Subjekt in enge
Beziehung bringt, so erhalten wir schließlich eine ganz neue
Erzählung. Josua war es nicht vergönnt, zum Lebensretter zu
werden; daß sich aber im Tun der Rahab, zu dessen Erzählhintergrund
sein Handeln wird, Gott tiefer offfenbart als im Kriegsgott
der Israeliten... - daran zweifeln wir nicht." (341)

Aber der Rez. erlaubt sich zu zweifeln, wenn die Willkür zum
exegetischen Prinzip erhoben wird.

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