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Ausgabe:

1993

Spalte:

860-861

Kategorie:

Systematische Theologie: Dogmatik

Autor/Hrsg.:

Clements, Keith

Titel/Untertitel:

Freisein wozu? 1993

Rezensent:

Müller, Ulrich

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Theologische Literaturzeitung 118. Jahrgang 1993 Nr. 10

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donense ein, das s.E. von Bonhoeffer durch das „genus majesta-
ticum" interpretiert wird (190); in einem Unterabschnitt steht es
freilich neben dem „genus tapeinotikon" (197). In Unterscheidung
zu Karl Barth (204) hat Bonhoeffer eine „soziale Neufassung
der Naturenlehre" des Chalcedonense unternommen
(210). Auf dem Hintergrund neuzeitlicher „Mündigkeit" (212)
stellt A. das „Vor und mit Gott ohne Gott leben" heraus (217).

Es schließt sich an eine als „Positive Chrislologie" bezeichnete
Erörterung über Menschwerdung, Kreuzigung und Aufer-
wcckung (227), in der verständlicherweise das Sein Christi als
„Sein pro me bzw. ,für andere'" hervorgehoben wird (235). Zu
Recht hebt A. auch „Christus als Mitte" (256) und hier bes. den
„Geheimnischarakter der Mitte" (259) hervor, worauf er die
Überlegungen Bonhoeffers zur „Stellvertretung" folgen läßt
(268); sodann geht A. noch einmal auf Christus als „Mittler" ein
(291).

In seinen abschließenden Überlegungen wendet sich A. der
„Einzigartigkeit Jesu Christi" zu. Hierfür erörtert er zunächst
Bonhoeffers Verständnis von Wahrheit (305ff), deren „soteriolo-
gische Exklusivität" A. ebenso (307) wie er deren „Nichtverfüg-
barkeit" hervorhebt, weswegen das Ringen um sie den Menschen
„einerseits der eigenen Wahrheitserkenntnis gewiß sein, andererseits
aber auch die Bereitschaft mitbringen" läßt, sich „gegebenenfalls
der Häresie überführen zu lassen" (311); nach A. nennt
Bonhoeffer dies den „paradox relativ-absoluten Charakter der
Wahrheitsfrage" (311). Als personale Wahrheit versteht Bonhoeffer
nach A. Wahrheit „immer relational und funktional", ohne daß
sie „in diesen Relationen und Funktionen" aufgeht (314).

Zuletzt hebt A. die „israelitische Kontur der Christologie"
hervor, daß nämlich Jesus Jude „war" bzw. „ist" (328ff, 333f).
Jude, der die Christusfrage offenhält (328ff). Anders als Eberhard
Bethge ist A. der Meinung, Bonhoeffer habe schon früh,
1933, das Leiden Israels nicht mehr als Strafe für die Kreuzigung
angesehen (327 Anm. 120). Von hierher gehl A. auf die
„Inklusivität des exklusiven Sühneleidens Christi" ein (338),
daß also die exklusive Versöhnung durch das Kreuz (vgl. 339)
die „Inklusivität des Leidens Christi" nicht ausschließt (vgl.
341). A. spricht sogar von einem „doppelt inklusiven Charakter
", den das Leiden Christi trägt, nämlich einmal das Leiden
des passiv Leidenden, das Christus übernommen hat, sodann
das „aktiv übernommene Leiden derjenigen, die sich Christus
anschließen" (342). So bleibt, wie die dritte Strophe des
Gedichtes „Menschen gehen zu Gott in Seiner Not..." heißt,
„bei aller Inklusivität des Leidens Christi dessen Exklusivität"
gewahrt (343, vgl. 345). Dieser „Inklusivität" geht A. dann
noch einmal weiter nach (346), die ihm „innerer Zielpunkt"
nicht nur der Christologie, sondern der Theologie Bonhoeffers
überhaupt zu sein scheint (346). Sie behandelt er unter der
Überschrift „Konformitätstheologie", (346), womit „Konformierung
Christi" im Sinne eines Genitivus subjectivus gemeint
ist (348). Hier greift A. noch einmal das Thema „Stellvertretung
" auf (350f). Aus ihr resultiert das „Einander zum Christus
werden" (353).

Daß A. ein zentrales Thema der Theologie Bonhoeffers in
den Mittelpunkt seiner Untersuchung gestellt hat, ist unbestreitbar
, ebenso, daß es ihm gelingt, eingehender als jemals zuvor
das Thema „Geheimnis" in der Theologie Bonhoeffers überhaupt
wie speziell in der Christologie freizulegen. Auch im
zweiten Teil, der materialen Christologie, akzentuiert A. mit
Christus als Mitte und Stellvertretung wichtige Themen, in seiner
abschließenden Überlegung über die Einzigkeit Jesu Christi
geht er auch neue Wege.

Den größten Gewinn zieht man aus A.s Arbeit noch dort, wo
er genauer als zuvor Texte und ggf. auch Fiches auswertet, so
etwa die Verbindung des wichtigen Weihnachtsrundbriefes
1939 mit Karl Barths Überlegungen zum Geheimnis (202)
sowie die über die Arkandisziplin (bes. 153 mit Anm. 77).

Die durch die ganze Arbeit sich hindurchziehende vielfältigen Verweise
darauf, was alles bislang noch nicht geleistet ist, welche Aspekte die Forschung
noch nicht berücksichtigt, welche Texte sie außer acht gelassen hat,
weisen aber eher daraufhin, wieviel bislang in der Forschung schon erkannt
und aufgearbeitet worden ist. wenn auch nicht immer in der Genauigkeit,
die diese neuerliche Arbeit leistet.

Hinz.ukommen z.T. merkwürdige, z.T. befremdliche und z.T. schließlich
abwegige terminologische wie sachliche Formulierungen. „Desahsolutisie-
rung" (3()6f, von L. Swidler übernommen, vgl. H.-J. Abromeit, in: Pastoral-
theologie 80, 1991, 585) gehört sicher zur letzten Kategorie, ebenso auch
die Bonhoeffer zu Unrecht verkürzende Formulierung von einem „paradox
relativ-absoluten Charakter der Wahrheitsfrage" (311) Auch von einem
„personal-ontologischen Ansatz" der Christologie zu sprechen (92), führt
kaum weiter. Und daß die Wahrheit bei Bonhoeffer, wenn schon rational, so
auch funktional ist (314), wird man schwerlich erweisen können, ebensowenig
, daß das Geheimnis ein „sozialer Erfahrungsbegriff" ist (11).

Sodann dürften Abhängigkeiten überschätzt sein, wenn A. Bonhoeffers
Überlegungen zum „Geheimnis" maßgeblich auf Adolf von Harnack und
Georg Simmel zurückführt (38,40ff, 58, 80. 84, vgl. 18; 41-43).

Zentral scheint mir dann die Anfrage zu sein, ob das „Geheimnis" nach
Bonhoeffer tatsächlich aus der Sünde kommt (vgl. z.B. 93), daß Schani.
Verhüllen und Enthüllen für es zentral sind (vgl. 44ff, vgl. 54ff, 64, trotz. 46,
51, 117), wenn schon in „Schöpfung und Fall" von „Geheimnis" nicht die
Rede ist (45). Die schlechterdings fundamentale Auskunft, die A. auch wiederholt
anführt, lautet dahingegen, daß Gott (selbst) das letzte „Geheimnis"
ist (vgl. 12, 179, 239, vgl.45,99f, 136 u.ö.).

A. versperrt sich wohl den Zugang zu notwendigen Differenzierungen,
indem er „Geheimnis" grundsätzlich auf derselben Ebene ansetzt und nicht
unterscheidet, ob Bonhoeffer diesen Terminus im anthropologischen Kontext
, was ja auch vorkommt (etwa im Hinblick auf die Ehe), oder aber im
theologischen und hier im striktesten Sinn allein von Gott verwende! 1 )enn
auch der Deus revelatus bleibt ja noch der Deus absconditus (weswegen
Geheimnis und Verhüllung in diesem Zusammenhang nicht mehr in Übereinstimmung
zu bringen sind, vgl. I I6ff).

Sodann und schließlich fragt sich, ob die Kombination antithetischer Termini
weiterführt. Das exklusive Sühneleiden Christi zugleich inklusiv sein
zu lassen (3380. überdehnt diese Terminologie und läßt ihren spezifischen
Aspekt nicht mehr deutlich werden. Überdies läßt sich nicht mehr erkennen,
inwiefern A. sich absetzt von der „Notwendigkeit einer sog. Israel gegenüber
offenen und inklusiven Christologie", die s.E. Bonhoeffer zuwiderläuft
, aber Eberhard Bethge angelastet wird (335 mit Anm. 156). Das Hantieren
mit solchen Terminologien in dieser Art führt m.E. weder im Verständnis
Bonhoeffers noch der Theologie allgemein weiter.

Als besonderer Ertrag der Arbeit darf jedoch eine umfassen
de Behandlung von „Geheimnis" und „Arkandisziplin" bei Bonhoeffer
gewertet werden.

Gilching Ernst Feil

Clements, Keith W.: Freisein wozu? Dietrich Bonhoeffer als
ständige Herausforderung. Vorwort von C. Gremmels u. L.
Bethge. Bonn: Pahl-Rugenstein 1991. 250 S. 8° = Chriiterj in
der Gesellschaft. Kart. DM 29,80. ISBN 3-89144-055-3.

Nichts sollte mehr geschrieben werden. Bücher rezensieren?
Ausgeschlossen! Schweigen schien mir die einzig angemessene
Reaktion auf die erlittene „Diktatur des Proletariats" /u sein.
Unter diesem Vorbehalt las ich das Buch von Keith W. Clements
: „Freisein wozu?"

Und es hat Wirkung gezeigt. In der Beschäftigung mit diesem
Buch wurde die Sprache als unverzichtbare Grundlage des
Lebens neu entdeckt. Reden statt schweigen, reflektieren statt
resignieren. Dieses Buch ist ein Lehr- und Lebensbuch für alle,
die heute, in der Zeit des Umbruchs, Theologie studieren und
auch für jene, die sich mit einmal gegebenen Antworten nicht
für alle Zeit zufriedengeben. An einzelnen theologischen
Aspekten bekommen wir als Leser vorgeführt, wie Dietrich
Bonhoeffer gedacht und gehandelt hat. Der Autor führt uns
ohne Umschweife in die Mitte Bonhoefferscher Theologie und
schreibt: „Bonhoeffers Bedeutung liegt in seiner klaren Erkenn-
tis, daß ,Gott' immer unwesentlicher im menschlichen Leben
wurde und daß viele der christlichen Versuche. Gottes Ruf wie-