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Ausgabe:

1993

Spalte:

853-857

Kategorie:

Kirchengeschichte: Reformationszeit

Autor/Hrsg.:

Wicks, Jared

Titel/Untertitel:

Luther's reform 1993

Rezensent:

Kaufmann, Thomas

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Seite 1, Seite 2, Seite 3

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Theologische Literaturzeitung 118. Jahrgang 1993 Nr. 10

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um und macht aus ihnen durch eine fragwürdige oder falsche
Zuweisung von Schriften und Aktivitäten Kriegstreiber. Die
Straßburger Friedensmission des Casel (1525) vermag der Vf.
nicht zu erklären, die Apologie Bucers (1526) wird völlig übergangen
, obwohl sie Unionsformeln enthält (z.B. das cum pane).
Übrigens, wenn Bucer schon in der Praefatio vom 19. 3. 1527
„Einheitsmomente" nennt (s.o.), dann geschieht dies ein Jahr zu
früh, nämlich noch in der nichtirenischen Phase. Es sollen hier
nicht die ironischen Momente aufgezählt werden. Letztlich ist
sich der Vf. im Klaren, daß Bucer immer die manducatio Spiritual
is gelehrt hat und also immer eine Brücke zu den Wittenbergern
hatte. In Grund und Ursache dominiert das geistliche Essen
(245. 250). in der Instruktion für Casel wird es vertreten (324,
Anm. 319) und auch später taucht sie auf (382). Bei der Zusammenfassung
der Straßburger Abendmahlslehre (342ff.) will der
Vf. zwar von einer geistlichen Nießung sprechen, setzt sie aber
mit dem Glauben identisch und bezweifelt (gegen die meisten
Forscher) deren Gabecharakter; er will diesen für Bucers Theologie
bis 1528 nicht angewandt haben. (345, Anm. 428). Hier
liegt der Fehler. Er argumentiert wie Luther: Ohne manducatio
impiorum keine manducatio fidelium (ebd.). Die Stellen, die
von einer Stärkung des Glaubens im Abendmahl sprechen,
zählen offenbar nicht (z.B. 344). Hätte der Vf. den philosophischen
Gegensatz von Geist und Fleisch, Innerem und Äußerem
bei den Reformatoren befragt (erwähnt 244, 302, 404), dann
wäre die Mittelposition Bucers deutlich geworden.

Schon in der Einleitung seines etwas langatmigen Buches
greift der Vf. die Darstellung W. Köhlers, des „liberalen Adia-
phoristen" (6), in Bezug auf die Abendmahlsposition der Straßburger
an. Die Gegendarstellung ist nicht gelungen.

Ostbevern b. Münster Wilhelm H. Neuser

Wieks, Jared: Luther's Reform. Studies on Conversion and the
Church. Mainz: Philipp von Zabern 1992. IX, 351 S. gr.8° =
Veröffentlichungen des Instituts für europäische Geschichte
Mainz, Abt. Religionsgeschichtc, Beiheft 35. Kart. DM 78,-.
ISBN 3-8053-1273-3.

Mit diesem Sammelband legt der als Lutherkenner ausgewiesene
, an der Gregoriana in Rom lehrende Amerikaner Jared
Wieks sein Gesamtbild v.a. der frühen Entwicklung des Wittenberger
Reformators Martin Luther vor. Der Eingangsessay "Ap-
proaching Luther's Reform" wurde eigens für diesen Band verfaßt
; die übrigen Aufsätze stammen m.E. aus einer älteren
(1967) Arbeit über einen wenig beachteten Ablaßtraktat Luthers
von 1517 (87-116) vorwiegend aus den 1980er Jahren und wurden
für die neuerliche Veröffentlichung überarbeitet. Die elf
Aufsätze sind drei Kapiteln zugeordnet, die sachlich und chronologisch
aufeinander aufbauen. Teil I handelt von der geistlichen
und Frömmigkeitsdimension der Lutherschen Reformation
, also sozusagen von der Innenseite der reformatorischen
Wende, während Teil II eher deren Außenseite, Luthers reformatorische
Texte und die Auseinandersetzungen der Jahre 1517
und 1518 in den Blick nimmt. Teil III schließlich bietet zwei
Essays zur CA und zum Augsburger Reichstag von 1530. Ein
Verzeichnis der Erstveröffentlichung, eine Bibliographie und
v.a. ein umfängliches Verzeichnis der zwischen 1966 und 1991
erschienenen, auf Luther und die deutsche Reformation konzentrierten
Rezensionen W.s und ein Register runden den Band ab.

Der Eröffnungsaufsatz (1-14) legt die wesentlichen Elemente
des Wicksschen Zugangs zu Luther dar. Neben der Vorstellung
einer allmählichen geistigen Entwicklung Luthers von 1509 an,
die durch zunehmende Konversions- und Umbruchssymptome
und eine Zentrierung auf die persönliche Bußproblematik im
Jahre 1517 gekennzeichnet ist und in deren Verlauf Luther ein

"teacher of conversion and lifelong penitence" (2) geworden sei,
kann die v.a. gegen den katholischen Subjektivitätsvorwurf (vgl.
5; 117ff) gerichtete Interpretation der fides von der objektivsakramentalen
Heilsvermittlung her [fides sacramenti] als charakteristisch
gewertet werden. Auch die Dominanz der religiöstheologischen
Deutungsansätze, zumal der Kreuzestheologie,
der persönlichen Glaubensbeziehung, aber auch der Ekklesiolo-
gie beim Verstehen des Lutherschen Werkes - pointiert gegen
eine "social history of the Reformation" gestellt - können als
Proprium des von W. gewählten Zugangs gelten. Daß und inwiefern
sich der Vf. besonders der katholischen Lutherdeutung
seit Joseph Lortz verpflichtet weiß, aber auch, was er protestantischen
Forschern verdankt und warum er sich von zeitgenössischen
römischen Lutherstudien abgrenzt, die auf pejorative Pauschalurteile
über Luther abzielen, macht W. dankenswerter Weise
gleich am Eingang seines Buches deutlich.

Der erste Teil des Buches mit der Überschrift "Luther's Spiri-
tuality of Conversion" (15-86) enthält drei Aufsätze über die
zentralen Themen Rechtfertigungsglaube in Luthers Theologie,
Wortverständnis und das "simul justus et peccator". Dabei stellt
W., der die anhaltende theologische Bedeutung Luthers betont,
v.a. die zentrierende, das Ganze der Theologie neubestimmende
Rolle der Rechtfertigungslehre heraus.

Im ersten Aufsatz über "Justification and Faith in Luther's Theology"
fuhrt W. als Inbegriff des neuen Lebens, das im Glauben eröffnet wird, den
Schlüsselbegriff "Conversion" ein. Auch die die Jahre 1513-17 bestimmenden
Aspekte der radikalen Sündenerkenntnis und der lebenslangen Buße, die
bestimmenden Elemente von Luthers früher Demutstheologie hin zur Betonung
der fides sacramenti besonders seit 1518, stehen im Vordergrund.
Besonders instruktiv ist die systematische, an "De servo arbitrio" geschärfte
Übersicht Uber die entscheidenden Aussagen zur Rechtfertigungslehre (27ff)
in verschiedenen theologischen Sachzusammenhängen, die die kontrovers-
theologische Bedeutung der Rechtfertigungslehre nicht marginalisieren.
sondern in ihrer Bedeutung auch für die dogmengeschichtliche Entwicklung
des Katholizismus (zum Tridentinum - 40) herausstellen.

Der zweite Beitrag mit dem Titel "The Heart Clinging to the Word"
betont die existentielle Bedeutung v.a. der fides sacramenti in Luthers Theologie
und Frömmigkeit, nach der das menschliche Herz an Gottes Wort
hängt und in sich Christi Werk wirksam findet, aber auch in Gottes Wort
dessen Herz erkennt.

Der dritte, stärker systematisch angelegte Beitrag des erstenTeils "Living
and Praying as simul justus and peccator" betitelt, führt in aktuelle ökumenische
Diskussionszusammenhänge hinein und sucht die für die katholische
Theologie schwerlich akzeptable simul-Formel auch und gerade in ihrer biblischen
Fundierung materialreich verständlich zu machen. Gerade angesichts
der im gegenwärtigen dogmatischen Diskurs durchaus üblichen
Nivellierungstendenzen verdient die Einsicht, daß die Gegensätze „real" seien
(60), besondere Hervorhebung.

Der zweite Teil des Buches (87-222) bietet unter dem Titel
"Critical Reformation Tendencies and Responses to Luther"
einige v.a. auf die Jahre 1517/18 zentrierte Beiträge zu den
historischen Konflikten und Argumentationsprozessen, innerhalb
derer sich die reformatorischen Positionen des Wittenberger
Professors formten.

Der Beitrag über "Luther's Treatise on Indulgences 1517" handelt von
einem in der Forschung lange bekannten, aber wenig beachteten Traktat, den
Luther - wie W. überzeugend darlegt - am 31. 10. 1517 zusammen mit den
95 Thesen an Erzbisehof Albrecht von Brandenburg gesandt haben soll.
Inhaltlich sieht der Vf. den Traktat durch "the impressive Augustinian theology
of penance and spiritual progress"(88) gekennzeichnet. Das Schriftchen
, das Luther in einem aufregenden Orientierungsprozeß über die
Ablaßfrage im Frühherbst 1517 zeigt, wird in englischer Übersetzung und
mit ausführlicher analytischer Kommentierung dargeboten.

Der Aufsatz über "Fides sacramenti - fides specialis" zeichnet die
wesentlichen Elemente und Stationen der theologischen Entwicklung
Luthers am Beispiel der zentralen Texte des Jahres 1518 nach: Seit der Mitte
des Jahres 1518 sei eine Begründung des Heils auf das Absolutionswort
im Sakrament und den Glauben nachweisbar, die auch in den Auseinandersetzungen
der 1520er Jahre maßgebend bleibe. Dem Gespräch mit Cajetan
über Ablaß, sakramentale Absolution und fides sacramenti bzw. über die
fides specialis als Heilsglauben pro me wird eine Schlüsselrolle zuerkannt;
daß der Papstfrage freilich annähernd keine Bedeutung beigemessen wird,
verwundert etwas. Das Verständnis der fides entwickelte sich demnach im
Jahres 1518 von einem Begriff, der vorrangig auf die Buße bezogen war, zu