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Ausgabe:

1993

Spalte:

846-848

Kategorie:

Kirchengeschichte: Alte Kirche, Christliche Archäologie

Autor/Hrsg.:

Maier, Harry O.

Titel/Untertitel:

The social setting of the ministry as reflected in the writings of Hermas, Clement and Ignatius 1993

Rezensent:

Roloff, Jürgen

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Theologische Literaturzeitung 118. Jahrgang 1993 Nr. 10

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Nach dem Mittelplatonismus wird der Neuplatonismus vorgestellt
(116-121). „Neu... ist die starke Betonung der Einheit des
Seins und damit die Überwindung des sogenannten platonischen
Dualismus" (118). „Die Impulse, die der christlichen Theologie
ermöglichten, das trinitarische Problem zu lösen, gehen unmittelbar
von Plotin aus" (121). Diese erreichen die christliche
Theologie bei den Jungnizänern (168/169), unter denen Gregor
von Nyssa und kein anderer ein Ncuplatoniker ist (175-176). Ein
anderer Strang ist Marius Victorinus (199) und Augustin (220).
Aber auch die Mönche werden vom Neuplatonismus erfaßt; die
neuplatonisch geprägten Mönche, die die Feinde der vom Mit-
telplatoniker Origenes geprägten Mönche waren, mortifizierten
den Leib nicht, sondern heiligten den Leib: „Daraus ergab sich
die Bereitschaft... sich kirchenpolitisch zu engagieren" - mit
Knüppeln natürlich (181).

Während das trinitarische Problem sich auf Neuplatonisch
abschließend lösen ließ, enthielt das christologische Problem
(wie Mensch und Gott in einer einheitlichen Person) einen
unlösbaren „logischen Widerspruch". Das ist den Antiochenern
zu verdanken, weil sie „nach größerer Nähe zum biblischen
Denken" strebten, und dadurch stellt sich wohl die Unlogik ein.
„Der Unterschied zwischen Schöpfer und Geschöpf konnte nicht
gleichzeitig als überbrückbar und unüberbrückbar gedacht werden
, und die menschliche Natur des Erlösers konnte nicht
gleichzeitig den Menschen als Vorbild dienen und in der Einheit
der göttlichen Nautr aufgehen" (183). Theodor von Mopsu-
estia war offenbar einer Lösung ganz nah gekommen, aber:
„Theodor scheint über die im biblischen Denken vorgegebene
Einheit des Willens hinaus eine zumindest hypostatische Einheit
gelehrt zu haben..."(186). Nestorius hingegen war Opfer der
„Machtkämpfe zwischen den Patriarchen"; das werde aus der
Frömmigkeitsgeschichte entgegen kirchen- und dogmengeschichtlichen
Deutungsversuchen klar. Einerseits natürlich der
Marienkult; andererseits wegen seines Schutzes für die die Erbsündenlehre
leugnenden Pelagianer: „In Rom war man dem
Nestorius... darum feind." „Die Antiochener waren" nämlich
„gegenüber der Erbsündenlehre recht zurückhaltend, weil sie
Wert darauf legten, daß die menschliche Natur Christi unserer
Natur völlig gleich sei; diese menschliche Natur Christi mußte
aber völlig sündlos, auch ohne Erbsünde, gedacht werden"
(189). Die Formel von Chalkedon entsprach dann „dem biblisch
begründeten Denken der Antiochener... Sie widersprach aber
dem platonisch begründeten Denken der Griechen, für die die
Wirksamkeit der Erlösung geleugnet war, wenn der Erlöser
nicht einmal seine eigene Menschennatur zur Vergottung bringen
konnte" (226). Da sich aber aus der Formel von Chalkedon
auch ergab, daß die menschliche Natur Christi keine eigene
Hypostase besitzt, war - so Kraft - die Christologie für die Antiochener
unbrauchbar geworden; nun trug ja die menschliche
Natur Christi nichts Eigenes mehr zur Erlösung bei. Im Unterschied
zu Antiochenern gab es aber auch noch Griechen, und für
die Griechen war, wie zitiert, die chalkedonensische Christologie
ebenfalls unbrauchbar geworden, wurde es aber noch mehr
durch die monophysitische Korrektur, die Kaiser Justinian dekretierte
; denn die Fnhypostasic beschränkte die Vergottung auf
Jesus Christus als den einzigen Menschen. In diesem Dilemma,
daß die Christologie „nicht mehr für Aussagen über die Erlösung
zu brauchen" war, brachte - so Kraft - der Neuplatonismus
eine neue Lösung in Gang, um der Materie und damit der
Menschheit erlösenden Anteil am Sein zu verschaffen: „Das
geschah im Bilderstreit, bei dem es um die Frage geht, ob das
Heilige im materiellen Bild gegenwärtig sei, das heißt, ob die als
Abbild vom Heiligen gestaltete Materie durch das Urbild geheiligt
werde" (245), das ist, ob das Abbilden des Urbildes Christus
für jeden, der das Abbilden an sich vollzieht, Heiligung ist
(246). Ich habe diese Logeleien mit Vergnügen gelesen, hoffe
jedoch, daß sie keinerlei Folgen haben.

Da der gefällige Stil zu manchen treffenden Formulierungen,
gelegentlich auch Klärungen (z.B.Tertullian) führt, sollte beim
Lesen kritische Vorsicht walten. Während es z.B. als Forschungsstand
gelten darf, daß vor Decius kein Kaisergesetz das
Christein verbot, behauptet Kraft: „Das Gesetz, das das Verbot
formuliert, existiert zwar nicht mehr; es ist ...zusammen mit der
Erinnerung an seinen Urheber, Kaiser Domitian, getilgt worden"
(81; vgl. 42). Auf der gleichen Ebene liegt das Gedankenlesen:
Gegenüber der führenden Stellung Cyprians wollte der römische
Bischof seinen „Primat wiederherstellen, der in den Fragen des
Glaubens unangefochten war, in den Fragen der Sitte aber
außerhalb Italiens durchweg bestritten wurde. Er wählte dazu
einen Streitpunkt, der auf der Grenze beider Bereiche lag, die
Ketzertaufe" (111). Das Buch ist handlich, aber nach meinem
Urteil als Handbuch für Studenten ungeeignet und für Fachfremde
nicht zu empfehlen. Den Kennern, aber auch nur ihnen, viel
Spaß beim Lesen!

Göttingen Ekkehard Mühlenberg

Maier, Harry O.: The Social Setting of the Ministry as Reflec-
ted in the Writings of Hermas, Clement and Ignatius
.Waterloo: Wilfrid Laurier University Press 1991. VIII,
230 S. 8« = Dissertation SR, 1.

Diese in Oxford angefertigte Dissertation eines kanadischen
Vf.s bemüht sich um einen Zugang zu der Entstehungsgeschichte
der frühchristlichen Ämter, der abseits des breiten Weges
jener konventionellen Diskussion liegt, die durch Namen wie
Sohm, Hatch und Harnack sowie, in der jüngsten Vergangenheit
, Käsemann, Schweizer und v. Campenhausen bestimmt
war. Es ist, kurz gesagt ein Zugang von der Soziologie her, innerhalb
dessen der theologischen Theoriebildung lediglich eine
sekundäre Bedeutung eingeräumt wird.

Die methodische Basis dafür liefern P. Berger und Th. Luck-
mann (The Social Construction of Reality, London 1971) mit
ihrem Verständnis von Institutionalisierung als reziproker Typisierung
habitualisierter Aktionen. Demnach ist es eine soziologische
Gesetzmäßigkeit, daß innerhalb einer Gruppe bestehende
Handlungs- und Verhaltensweisen beim Verschwinden der sie
ursprünglich auslösenden äußeren Gegebenheiten, so vor allem
beim Generationenwechsel, durch legitimierende Formeln interpretiert
und damit perpetuiert werden. Indem soziale Strukturen
mit den zentralen Symbolen der Gruppe in Verbindung gebracht
und so Teil von deren „symbolischem Universum" werden,
gewinnen sie Beständigkeit und Unverletzbarkeit. Einen solchen
Interpretationsprozeß sieht der Vf. auch in den Aussagen über
Ämter und Gemeindeverfassung in den Dokumenten der nachapostolischen
Zeit am Werk: Es gehe in ihnen durchweg darum,
die in der Gründungsepoche, unter den Augen des Apostels, entstandene
gemeindliche Ordnungsstruktur zu bewahren und auszubauen
. Da die ursprünglichen Rahmenbedingungen und Voraussetzungen
für die dritte Generation nicht mehr verständlich
gewesen seien, sei es erforderlich gewesen, diese Ordnungsstrukturen
durch theologisch-spekulative Hilfskonstruktionen
dem „symbolischen Universum" zu integrieren. Die Anwendbarkeit
dieser Sichtweise steht und fällt mit einer schwierigen
historischen Voraussetzung, nämlich der der weitgehenden
Kontinuität der gemeindlichen Ordnungs- und Leitungsstrukturen
zwischen den paulinischen und den nachpaulinischen
Gemeinden. Denn nach dem weithin etablierten Konsens der
deutschsprachigen kritischen Forschung liegt eben hier der entscheidende
Bruch zwischen einer charismatischen und einer
frühkatholisch-institutionalistischen Ordnung. Demgegenüber
bestreitet der Vf., in engem Anschluß an B. Holmberg (Paul and
Power, Lund 1980) den charismatischen Charakter der paulini-